Leben mit Nulldefizit

Das »System Staatsverschuldung«. Teil II (und Schluß): Das Ziel »schuldenfreie Bundes- und Landeshaushalte« führt letztenendes zur wirtschaftlichen Stagnation

01.09.2008 / Karl Mai, junge Welt

Im Teil I des Artikels (siehe jW-Thema vom 30./31.8.)[1] wurden wichtige Daten zur Staatsverschuldung angeführt, knapp deren Quellen und grundsätzliche Wirkungen verdeutlicht sowie wichtige Argumente pro und kontra Staatsschulden aufgezeigt. Im Teil II werden die öffentlich diskutierten Konsequenzen aus der Verschuldungslage beleuchtet und perspektivische Fragestellungen der Entschuldung erörtert. Eine kritische Bewertung der Staatsverschuldung findet sich am Schluß.

Es wurde bereits deutlich: Die Anhänger der positiven volkswirtschaftlichen Effekte der laufenden Kreditverschuldung des Staates stützen sich auf historische Erfahrungen und makroökonomische Einsichten. Diese Richtung plädiert dafür, den investiven Langzeitnutzen kreditfinanzierter Infrastruktur für Wirtschaft und Bevölkerung mittels einer Neuverschuldung im erforderlichen, aber begrenzten Umfang zu erhalten. Die daraus resultierende Zinslast für den Fiskus wird nicht problematisiert, sondern bei steigenden Wachstumsraten als »tragfähig« erkannt.

Die Gegner der Staatsverschuldung bilden die andere Richtung, die sich vordergründig besorgt zeigt, durch die steigende Zinslast vorgeblich den haushälterischen »Entscheidungsspielraum« über die Ausgaben zu verlieren. Sie lehnt daher weitere Kredite des Staates als laufenden finanzierungstechnischen Regelfall mit differenzierten Argumenten ab. Im Hintergrund spielen hier auch neoliberale Leitlinien zur Senkung der Staatsquote mit, also Senkung jenes Wertes, der sich aus dem Verhältnis zwischen Staatsausgaben und Bruttoinlandsprodukt (BIP) ergibt. Die herrschende Politik bevorzugt hierbei Argumente, die sie gerade für opportun hält. So z.B. wird bei der Entwicklung der Staatsquote nicht zwischen den engeren Staatsausgaben und den Sozialleistungen differenziert, wodurch leicht ein verzerrtes Bild der Höhe der Staatsquote entsteht.

Mit Härte Sparziele durchsetzen

Gegenwärtig wird in Deutschland offiziell eine Politik zur Erreichung eines »Nulldefizits« auf der Haushaltsebene von Bund und Ländern betrieben, die auf künftige Staatskredite konsequent verzichtet. Während der Bundeshaushalt und einige Länderhaushalte dieses Ziel erst noch erreichen wollen, haben manche Bundesländer dank außerplanmäßiger Steuereinnahmen im Jahr 2007 dieses schon zu vermelden (siehe Tabelle 1).

Zunächst entfallen die jährlichen Neuverschuldungen, und damit wächst auch nicht die Zinslast über den bestehenden Höchststand hinaus, von Marktschwankungen der Zinsraten abgesehen. Die Zinslast bleibt in letzter Höhe so lange erhalten, bis die Gesamtschulden durch echte Tilgungen sinken. Ein Nulldefizit wird allgemein als bloßer Übergang zur Phase der echten Gesamtschuldentilgung verstanden. In der Zwischenzeit bewirkt das Nulldefizit, daß die Zinslast vollständig aus Steuermitteln zu refinanzieren ist, ebenso wie die öffentlichen Investitionen in die Infrastruktur prinzipiell auf steuerliche Finanzierungen zurückgeführt sind, analog den sonstigen Staatsausgaben. Hier drohen deswegen den erforderlichen humanitären Investitionen und auch den sozialen Staatsausgaben weitere Stagnation oder Kürzungen.

Auch den ostdeutschen Bundesländern, die sich künftig unter noch erschwerten regionalen Finanzierungsbedingungen befinden, ist das permanente Nulldefizit als Ziel auch für die Folgejahre politisch auferlegt. Bei Stagnation des Angleichungsprozesses Ost-West, bei bevorstehender Rückführung der Finanzierungen aus dem »Solidarpakt II« bis 2019 und bei weiteren absehbaren Bevölkerungsverlusten bestehen hier ungünstige Erwartungen der Wirtschaftsforschung für die Haushaltsentwicklung. Fallen die Transfers aus dem »Solidarpakt II« in die neuen Bundesländer im investiven Bereich schrittweise weg, kann diese Lücke durch verbleibende Landesmittel (z. B. auch durch den horizontalen Finanzausgleich der Länder oder durch verminderte EU-Zuweisungen) kaum geschlossen werden.

In den neuen Bundesländern kumulieren sich dann also 1. wegfallende Neuverschuldungen, 2. hohe rein steuerfinanzierte Zinszahlungen, 3. rein steuerliche Finanzierungen der staatlichen Infrastruktur und 4. (ab 2009) absehbare reduzierte West-Ost-Transfers bzw. ausfallende EU-Zuweisungen.

Die dann erforderlichen Finanzierungskompromisse führen voraussehbar zu Kürzungen aller ausgabenseitigen Etatposten in den Gebietskörperschaften, insbesondere im humanitären Bereich. Damit wächst der Zwang zur Sonderfinanzierung mittels Verkauf oder »Leasing« von öffentlichem Eigentum an Private in den Ländern und Kommunen beträchtlich. Gleichzeitig bestehen die üblichen Risiken aus Mindereinnahmen im Konjunkturabschwung.

Die neoliberalen »Sparkommissare« haben es eilig: Wo das Nulldefizit – auch in den alten Bundesländern – noch nicht erreicht ist, sind knappe Fristen für dessen Erreichung gesetzt. Mit Härte werden die Sparziele durchgesetzt und »Konsolidierung« schrittweise erzwungen, auch wenn deshalb die Wachstumsraten des BIP absinken. Es sollen rasche Erfolge erzielt werden, solange noch keine neue Wirtschaftskrise im Land besteht. Dabei ist klar, daß schon ein anhaltendes »Nulldefizit« zumindest Stagnation bewirkt oder Rückschritte im kulturellen und investiven Ausgabenbereich der Haushalte erfordert. Letztere führen zu schrumpfenden Bauaufträgen, Insolvenzen von Bauunternehmen und zu Einbrüchen in den Vorleistungsbranchen der Bauwirtschaft.

Diese Politik der Ausgabenkürzungen findet – besonders in den neuen Bundesländern durch die oben gezeigte Kumulierung von negativen Wirkungsgrößen – kein nahe absehbares Ende. Erklärterweise soll sie übergangslos zu einer konsequenten Gesamtentschuldung fortgeführt werden, die in den langfristigen Finanzprojektionen bereits vorgegeben wird.

Schrittweise Gesamtentschuldung

Noch vor dem faktischen Eintritt der Europäischen Währungsunion (EWU), also vor dem 1. Januar 2002, konnten europäische Staaten rein rechtlich im Alleingang ihre Staatsschuldpapiere und Kreditschulden mit einem Zinsmoratorium belegen, d. h. die Zinszahlungen einfrieren sowie die Tilgungen aussetzen. Ein solcher Akt gegen die Interessen der privaten Gläubiger des Staates (Geschäftsbanken, Bürger als Geldkapitalbesitzer, ausländische Gläubiger) ist in der EWU versperrt, daher gibt es nur noch die Entschuldung durch Tilgungsraten. Auch die mildere Form eines nur befristeten Moratoriums für Zinsen ist in der EWU nicht mehr möglich.

Setzt also die ratenweise Schuldentilgung effektiv und laufend ein, dann wird nur noch die Restschuldhöhe verzinst und die Zinslast hieraus sinkt schrittweise bis auf Null – bis zum Ende jeder Tilgung. Die Tilgung kann 30 Jahre, 50 Jahre oder länger dauern, je nach Einsatz von verfügbaren Tilgungsmitteln pro Jahr. In diesem langen Zeitraum bleiben Zinszahlungen bestehen, die ihrerseits bis zum Zahlungsende zu einer gewaltigen Gesamtsumme anwachsen. Die ursprüngliche Gesamtschuld wird so von der kumulierten Zinslast verdoppelt oder zumindest weit übertroffen, je nach Tilgungszeitraum.

Dieser Zinslastperspektive kann durch maximale Verkürzung der Tilgungszeiträume entgegengewirkt werden, sofern die Tilgungsraten schrittweise oder entsprechend erhöht werden. Dies führt jedoch dazu, daß im Tilgungszeitraum keinerlei Entlastung des Haushalts aus der fortschreitenden Tilgung möglich wird – es werden über Jahrzehnte bis zuletzt keine wirklichen finanziellen »Handlungsspielräume« für den Fiskus gewonnen. Den ostdeutschen Bundesländern droht direkt diese Perspektive mit ansteigenden Tilgungsraten, falls hier zusätzlich gefordert wird, daß der demographische Rückgang die Pro-Kopf-Verschuldung nicht automatisch anheben darf, was nur mit jährlich gezielt steigenden Tilgungen zu verhindern wäre.

Ein Sonderproblem besteht zweifellos in der Tilgung der hohen Auslandskredite des Fiskus, die zu einem Verlust an jährlich verfügbarem Volkseinkommen inländischer Verwendung führt. Hierbei fließen jährliche Rückzahlungen und Zinsen aus dem binnenländischen Endverbrauch ab, wodurch sich die inländische Konsumtion ebenso wie die Sparquoten bzw. die möglichen Investitionen Jahr für Jahr vermindern. Die Tilgung der Auslandsschulden der öffentlichen Haushalte wirkt wie ein inländisches Kürzungsprogramm, weil sie durch übrige private Forderungen der deutschen Wirtschaft an ausländische Schuldner nicht einfach oder direkt verrechnet werden könnten.

Insgesamt führt das Problem der ratenweisen Gesamtentschuldung durch Tilgungen zur fortgesetzten Einschränkung bzw. Überforderung der öffentlichen Haushalte und hätte gravierenden Abbau im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialsystem flächendeckend oder subregional zur Folge, ebenso im Nahverkehr und in der Kulturlandschaft. Lebensqualität und Zukunftsfähigkeit der betroffenen Regionen verfallen, was politisch kaum akzeptabel ist. Wenn hohe Tilgungsraten zusätzlich jedes Jahr auf den globalen Finanzmarkt strömen, steigt dessen Labilität weiter an, solange sonst noch ein kritisches Überangebot von anlagesuchendem Geldkapital existiert.

Verschuldungsverbot

Es ist nicht auszuschließen, daß eine Kreditaufnahme auch notwendig wird, sobald sich die Finanzierungsfähigkeit des Fiskus sehr kritisch verringert oder gravierende Notstände auftreten. Daher wäre es völlig kontraproduktiv, ein absolutes juristisches Verschuldungsverbot zum neuen, bindenden Grundsatz in die Verfassung von Bund und Ländern aufzunehmen. Praktisch könnte daraus nur folgen, daß die Durchsetzung des Verfassungsverbots von Kreditaufnahmen dann zu abermaligen rigorosen Kürzungen auf der Ausgabenseite der öffentlichen Haushalte zwingt, um neue Defizite zu vermeiden.

Die Verfechter des Verfassungsverbots von Staatsschulden, angeführt vom Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg, Günther Oettinger (CDU), wollen um jeden Preis verhindern, daß sich wirtschaftlich schwächere Bundesländer über fiskalische Schulden finanzieren können, dadurch ihre wettbewerblichen Strukturnachteile abbauen und damit die hervorstechende Anziehungskraft der bestehenden reichen Bundesländer gefährden. Die Herausbildung von nationalen Wachstumsregionen zu Lasten der zurückbleibenden Regionen erscheint diesen Exponenten als normale Zukunft innerhalb der regionalen Differenzierungen in der EU.

Wird das bestehende Gebot der Verfassung zu einem föderalen Ausgleich der Wirtschaftskraft dagegen ernst genommen, vor allem unter dem Aspekt der in Ostdeutschland noch bestehenden strukturellen Entwicklungsrückstände im Gefolge der Deindustrialisierungsphase nach der Vereinigung, ist die Ablehnung eines strengen Verschuldungsverbots zwingend. Damit entsteht die Frage nach einer begrenzten Neuverschuldung nach Maßgabe einer »Schuldenbremse« mit entsprechenden Kriterien.

Die parteipolitischen Vorschläge zur Begrenzung im Rahmen der »Schuldenbremse« offenbaren die generelle Absicht, die Neuverschuldung sowohl in struktur- als auch in konjunkturpolitischer Sicht eng zu limitieren, zusätzlich die Beschlußfassung an breitere Zustimmung im Parlament zu binden und sogar einen gesonderten »Finanztopf« einzuführen, welcher Ein- und Auszahlungen für die Länder extra reglementiert. In einer neuen Veröffentlichung von ver.di zur »Schuldenbremse« kann man über die Spannbreite der Vorstellungen nachlesen: »Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat dazu beschlossen, daß sie eine strukturelle Verschuldung überhaupt nicht zulassen will, also 0 statt 0,5 Prozent (wie das Finanzministerium). Die FDP will sogar völlig verbieten, daß Neuverschuldung eingeplant wird, auch nicht in Konjunkturkrisen, nur in Sondersituationen wie Naturkatastrophen. (...) Die SPD will eine strukturelle Verschuldung von 0,75 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zulassen. Das ist mehr als das Finanzministerium will, aber deutlich weniger als heute möglich ist. Auch die konjunkturellen Verschuldungsmöglichkeiten sowie das Ausgleichskonto (=internes Konto für Investitionskontrolle – K. M.) will die SPD flexibler gestalten als das Finanzministerium. Die Grünen wollen konjunkturelle Verschuldung zulassen sowie strukturelle in Höhe der staatlichen Nettoinvestitionen (=Investitionen mit Abzug von »Abschreibungen« – K. M.). Bisher ist Verschuldung zulässig in Höhe der staatlichen Bruttoinvestitionen (=Investitionen ohne Abzug von »Abschreibungen« – K. M.) und darüber hinaus, wenn das Parlament eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts festgestellt hat. Dies ist ein erheblich größerer Spielraum. Die Linke hält die bisherigen Regelungen für hinreichend und lehnt eine neue Schuldengrenze ab. Sie will lediglich die Verpflichtung strenger fassen, bei guter Konjunktur die Verschuldung zurückzufahren« (ver.di, Wirtschaftspolitische Informationen, 5b/2008).

Die gegensätzlichen Standpunkte erschweren einen politischen Konsens im Bundestag zur Begrenzung der fiskalischen Verschuldung. Die Aufgabe linksorientierter Politik besteht darin, die neoliberalen Tendenzen zur Senkung der Staatsquote am BIP zu stoppen und die nachhaltige Finanzierungsfähigkeit des Sozialstaats zu sichern.

Nachhaltige Haushaltspolitik

Ein Übergang zur konsequenten Tilgung der Gesamtschuld gegenüber den privaten Gläubigern reduziert das BIP-Wachstum, führt zur volkswirtschaftlichen Stagnation, im Extremfall zur Strangulation. Faktisch müßte die Gesellschaft nicht nur den Gegenwert für die staatlich kreditierte Infrastruktur an die privaten Gläubiger zurückzahlen, sondern daneben auch die Zins- und Zinseszinslast aufbringen, die für die Schulden in der Tilgungsphase bestehen. Bemerkenswert ist, daß die Makroökonomie hierfür keine Modelle entwickelt hat, die den negativen Effekt der fiskalischen Gesamtentschuldung simulieren.

Indessen zeigt sich ein »Silberstreifen am Horizont« für die nominellen Gesamtschulden – die realwirtschaftliche Last bestehender Schulden sinkt absolut im Langzeitraum infolge fortgesetzt steigender Preisinflation, aber auch relativ infolge der tendenziellen produktivitätsbezogenen Einkommenssteigerungen. Diese reale Last sinkt mit fortschreitendem Zeitverlauf durch »Entwertung« beträchtlich ab, was die Befürwortung einer bemessenen Neuverschuldung erleichtert.

Ein perspektivischer Leitgedanke linksorientierter Politik besagt: Die Wachstumspolitik des Staates ist wieder stärker auf die steuerliche Finanzierung einzustellen, und eine ausreichende binnenwirtschaftliche Verwendung des Volkseinkommens und damit verbundener Kaufkraftanteile sind abzusichern. Dies zielt künftig wieder auf eine Zunahme der Steuerquote bis auf den EU-Durchschnitt ab. Sobald sich die Masseneinkommen hinreichend im Zuge der Produktivitäts­entwicklung erhöhen, sinken auch die relativen »überschüssigen« primären Kapitaleinkommen. Falls dann die Steuerpolitik in ausreichendem Maße auch noch frei verfügbare Geldeinkommen abschöpfen kann, reduziert sich ein Zwang zur Nutzung der Staatsverschuldung ebenso wie der Drang zu weiteren jährlich ins Ausland abfließenden Kapitalexportüberschüssen. Politisch ist dazu erforderlich, die Tendenz der »Shareholder«, d. h. der Aktionäre, zu stoppen, den gesamten Zuwachs steigender Wertschöpfung je Beschäftigten primär im Kapitalinteresse anzueignen und die realen Löhne stagnieren zu lassen. Dies setzt einen politisch stärkeren Einfluß der Gewerkschaften zur produktivitäts- und inflationsgerechten Lohnerhöhung für die Arbeitnehmer voraus.

Bleibt in der Perspektive ein ausreichendes BIP-Wachstum realistisch, ist statt eines starren Defizitlimits eine »Tragfähigkeitsregel« für eine zulässige Zunahme der Staatsverschuldung geboten, die einen funktionellen Kompromiß zwischen der laufenden Höhe der Realzinsen, den realen Wachstumsraten und der Höhe der Schuldenstandsquote, gemessen am BIP, ausdrückt. Diese Regel müßte die Einnahmen- und Ausgabenseite der Haushaltsentwicklungen sinnvoll integrieren und unter Kontrolle halten. Den internationalen Steuersenkungswettlauf gilt es zu beenden. Der Fiskalpolitik sind wirksame Obergrenzen zu setzen, ohne sie lahmzulegen. Die konkrete Arbeit an diesem Konzept steht auf der Tagesordnung.

Im anderen Falle, wenn die stagnativen und/oder krisenhaften Konjunkturverläufe in Verbindung mit globalen und auch nationalen Ungleichgewichten bzw. Leistungsbilanzdefiziten oder regionalen Strukturdefiziten eskalieren, wenn umweltbedingte Verluste, Klimawandel und kriegerische Katastrophen schwere Rückschläge, anhaltende Belastungen oder Entwicklungsbremsen hervorrufen, wird die harte Fixierung auf ausgeglichene öffentliche Haushalte auch in Zukunft verfehlt werden: »Haushalte sind kein Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck.« Der Zweck wird gemäß dem BRD-Grundgesetz an der Lebensqualität und dem Lebensniveau der Bürger in den Regionen gemessen.

Damit ist der Leser zur Antwort auf die Frage vorbereitet, wie die Staatsverschuldung heute zu bewerten ist. »Die öffentliche Verschuldung ist durchaus normal und zum Teil auch sinnvoll« (Reiner Clement u.a., S. 539). Diese »salomonische Antwort« besagt schon, daß bei »Wenn und Aber« eine Antwort erfolgen soll, die als vertretbar gilt. Es sind also in der Normalität der Staatsverschuldung jene Extreme zu vermeiden, die sie »sinnlos« machen können. Das Optimum liegt dort, wo der volkswirtschaftliche Nutzen eindeutig überwiegt, um den Ausgabenteil »Zinslast« zu tragen. Dies wird zunächst immer situationsabhängig zu bewerten sein, muß aber unter Abwägung der gesellschaftlichen Vor- und Nachteile weiterer Verschuldungen erfolgen. Solche Flexibilität führt uns wiederum zur Sichtweise der fiskalischen »Tragfähigkeit« der Schulden, die für die Praxis bisher keine wirklich anerkannte Rolle gespielt hat und auch in der gegenwärtigen öffentlichen Diskussion zumeist vermieden wird. Hierzu hat die Finanzwissenschaft geeignete, wenn auch komplizierte Formeln entwickelt. Die Politik kann sich dagegen nicht auf stark vereinfachende Kriterien zurückziehen und ohne tragfähiges Konzept erfolgreich sein – der Sozialstaat darf nicht das angestrebte politische Opfer des ideologischen Leitbildes des Neoliberalismus werden.

1 Quelle: für Schuldenstand und Nettokreditaufnahmen Synopse zur Entwicklung der Verschuldung der Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen vom 3.3.2008

Literatur

– AG »Alternative Wirtschaftspolitik« (Bremen): Memorandum 2008, Köln 2008

– Dieter Brümmerhoff: Finanzwissenschaft, München 2007, 9. Auflage

– Ulrich Busch: Am Tropf. Die ostdeutsche Transfergesellschaft, Berlin 2002

– Reiner Clement u. a.: Grundlagen der Angewandten Makroökonomie, München 2004, 3. Auflage

– Jürgen Kromphardt: Grundzüge der Makroökonomie, München 2006

– Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK): Schuldenbremse eine Wachstumsbremse?, IMK-Report vom 29. Juni 2008

Links:

  1. https://www.axel-troost.de/de/article/2754.investition_in_die_zukunft.html