Talfahrt ist kein Schicksal

18.08.2008 / Von Rudolf Hickel, Neues Deutschland 8.8.2008

Der plötzliche Wechsel der Vorzeichen bei der konjunkturellen Entwicklung verblüfft. Es ist noch nicht lange her, da wurden Jubelmeldungen über die boomende Wirtschaft verbreitet. Jetzt ist diese unverantwortliche Propaganda für einen unerschütterlichen Aufschwung dabei, in sich zusammenzubrechen. Bleibt die Bundesregierung bei ihrer Illusion eines sich selbstverstärkenden Booms, dann droht der Absturz der Konjunktur. Muss dies als unabwendbares Schicksal hingenommen werden? Die Antwort rückt zwei eng miteinander verbundene Fehlentwicklungen in den Vordergrund: Die hoch gelobte Exportwirtschaft, deren Stärkung sich die Gesamtwirtschaft mit ihren Beschäftigten sowie die Politik in den letzten Jahren unterzuordnen hatten, wird plötzlich zum Problem. In Folge der sich verlangsamenden Weltkonjunktur verliert die deutsche Exportwirtschaft spürbar an Aufträgen. Hinzu kommt der überbewerte Euro, den die Unternehmen zeitverzögert
spüren. Gegenüber diesen Zuwachsverlusten der Exportwirtschaft ist klar, dass die Binnenwirtschaft die konjunkturelle Führungsrolle übernehmen muss. Sie ist jedoch unter dem neoliberalen Primat der unternehmerischen Gewinnförderung zusammengestaucht worden.

Der als Konjunkturretter gelobte private Konsum bewegt sich seit Jahren zwischen Stagnation und Schrumpfung. Die Ursachen sind klar. Auch durch viele Maßnahmen der Politik fehlt es in den einkommensschwachen Schichten bis hin zur Mittelschicht an Kaufkraft. Die Masseneinkommen sind in den letzten sechs Jahren nur knapp mit einem Prozent gewachsen. Die Kaufkraft der Arbeitseinkommen, also die Effektivlöhne abzüglich der öffentlichen Abgaben sowie unter Berücksichtigung der Inflation, war in den letzten Jahren rückläufig. Die Verteuerung der Energiepreise zwingt zur Einsparung von Ausgaben an anderer Stelle. Der jüngste Aufschwung wird von einer deutlich ungleichen Einkommensverteilung begleitet. Seit 2003 haben die Beschäftigten gegenüber Unternehmenseinkommen und Vermögen Verteilungsverluste hinnehmen müssen. Das
Phänomen Wirtschaftsaufschwung ohne wachsende Arbeitseinkommen ist neu.
Die Politik muss sich endlich wieder ihrer konjunkturellen Verantwortung in Verbindung mit ökologischen Aufgaben stellen. Viele andere Länder zeigen, was zur Stärkung des privaten Konsums vor allem bei den Einkommensschwachen getan werden kann. In den USA werden aus einem Konjunkturprogramm mit rund 150 Mrd. Dollar unterhalb eines persönlichen Jahreseinkommens von 75 000 Dollar Schecks für Steuerrückzahlungen und andere Steuererleichterungen verteilt. In Italien müssen die Energieunternehmen auf ihre Extraprofite eine Art Robinhood-Steuer zahlen. Aus den Einnahmen werden Heizungszuschüsse oder Rabattmarken an die Einkommensschwachen weitergegeben.
Es stellen sich die folgenden Aufgaben einer gesamtwirtschaftlich, sozial und ökologisch verantwortlichen Politik: Abbau der Steuerbelastung im unteren Bereich der Lohneinkommensbezieher, Wiedereinführung der Vermögensteuer, eine sozial ausgestaltete Mehrwertsteuer sowie der Abbau monopolistischer und damit preistreibender Macht im Energiesektor, vor allem aber die Auflage eines »Zukunftsinvestitionsprogramms
« ist dringend geboten. Am Ende steigen durch die Vermeidung einer Wirtschaftskrise die Staatsschulden nicht, Steuereinnahmen werden mobilisiert und öffentliche Investitionen in Umwelt und Bildung für bessere Lebens- und Produktionsverhältnisse der künftigen Generationen begonnen.

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Immer freitags: In der ND-Wirtschaftskolumne erläutern der Philosoph Robert Kurz, der Ökonom Harry Nick, die Wirtschaftsexpertin Christa Luft und der Wissenschaftler Rudolf Hickel Hintergründe aktueller Vorgänge.

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