Abwärtsstrudel

Der Krisenzyklus der Konjunktur hat begonnen

12.08.2008 / Kommentar von Joachim Bischoff / Richard Detje in "Sozialismus" vom 6.8.2008

Die gesamtgesellschaftliche Wirtschaftsleistung sinkt in Deutschland gegenwärtig stärker als von vielen Experten erwartet. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ging im zweiten Quartal im Vergleich zu den Monaten Januar bis März um 1% zurück. Sollte die Wirtschaft auch im dritten Quartal schrumpfen, wäre dieses Land der allgemeiner Definition folgend in kürzester Zeit vom Aufschwung in die Rezession gerutscht.

Im ersten Quartal hatte das BIP noch um 1,5% zugelegt. Dies hatte etliche Politiker zu der Einschätzung veranlasst, dass Europa, vor allem aber Deutschland, von der Rückwirkung der globalen Finanzkrise verschont bleiben würde. Doch neben vollen Exportbüchern sorgten veränderte Abschreibungsfristen und der milde Winter dafür, dass die Investitionen, vor allem die Bauinvestitionen, eine kurzfristige Stabilisierung erfuhren. Die grundlegenden weltwirtschaftlichen Probleme wie die anhaltende Finanzkrise, die Wirtschaftsflaute in den USA sowie die kräftig gestiegenen Preise für Energie und Lebensmittel waren dadurch nur übertüncht worden.

Das Auftragspolster, auf dem die Industrie sitzt, schrumpft relativ schnell. Zwar können die deutschen Exportbranchen ihre – nicht zuletzt durch jahrelange Lohndrückerei deutlich verbesserte – Wettbewerbsfähigkeit weiterhin gegenüber ihren Konkurrenten ausspielen, doch auch sie spüren die Abschwächung der Weltwirtschaft. Mehr noch: Angesichts der starken Exportabhängigkeit trifft eine weltwirtschaftliche Krise die Deutschen besonders hart. Die Unternehmen beginnen, sich nicht nur auf eine konjunkturelle "Delle", sondern möglicherweise auf eine längere Durststrecke einzustellen.

Auch in den USA entwickelte sich die Ökonomie zunächst positiv – nachdem dort für das erste Halbjahr eine Rezession erwartet worden war. Seit Jahresmitte jedoch verschlechtern sich die Perspektiven erneut. Der Ausgabenspielraum der Konsumenten ist beschränkt und die Arbeitslosigkeit steigt; der private Bau liegt darnieder, aber die Immobilienkrise hat längst auch die kommerziellen Bauten erfasst; die Wirkungen des Programms zur Konjunkturstützung sind begrenzt, weil viele Haushalte die Steuererstattungen zur Begleichung von Schulden statt zur Stärkung des Konsums verwenden, während die durch den niedrigen Dollarkurs beflügelten Exporte ein zu geringes Gewicht haben, um Wachstumsverluste im Binnenmarkt ausgleichen zu können.

Noch ist kein Ende der Immobilienkrise absehbar. Der Rückgang der Hauspreise hält unvermindert an und ist über den Subprime-Markt längst hinausgegangen. Hoffnungen auf eine Trendwende klammern sich daran, dass die Krise der Bauindustrie kaum noch tiefer absacken kann: Mittlerweile nähert sich die Bauwirtschaft einem Anteil am BIP von 3,5%, dem tiefsten Wert in den letzten 30 Jahren – im vierten Quartal 2005 hatte er noch 6,3% betragen.

Für Alan Greenspan, den ehemaligen Chef der US-Notenbank Fed, sind die eigentliche Überraschung nicht die Wachstumsraten der vergangenen Monate, sondern "dass es überhaupt noch Wachstum gibt" (Financial Times, 4.8.2008). Seine Einschätzung: "Diese Krise ist anders – ein Ereignis, wie es ein oder zwei Mal pro Jahrhundert vorkommt, tief verwurzelt in den Ängsten vor der Insolvenz großer Finanzinstitutionen". Durch die Liquiditäts-, Zins- und Konjunkturspritzen sowie die öffentlichen Beistandserklärungen sei das Risiko eines Systemcrashs verhindert, aber die Krise nicht überwunden worden. "Erst als staatlicher Kredit an die Stelle von privatem Kredit privater Banken trat, zunächst im Fall der britischen Bank Northern Rock, dann in den USA im Fall Bear Stearns, wurde ein Anschein von Stabilität an den Märkten wiederhergestellt." Erst wenn sich die US-Immobilienpreise wieder stabilisierten, nehme die Insolvenzgefahr ab; der Wert des privaten Wohneigentums dürfte sich aber erst dann erholen, wenn sich der immense Angebotsüberhang an Einfamilienhäusern infolge des Immobilienbooms weiter abbaue – so der Ex-Notenbanker.

Euro-Aufwertung, Abschwung der Weltwirtschaft und Finanzkrise – unter dem Druck dieser Belastungen geht die europäische Wirtschaft in die Knie. Die lange Zeit propagierte These von der konjunkturellen Abkoppelung von der Weltwirtschaft hat sich als Illusion erwiesen. Mittlerweile ist die Krise in etlichen europäischen Staaten angekommen. In Italien, der drittgrößten Volkswirtschaft der Euro-Zone (BIP-Anteil knapp 18%), lahmt die Wirtschaft bereits seit einem Jahr. Spaniens Wirtschaft, die viertgrößte im Euro-Raum (Anteil 12%), kühlt dramatisch schnell ab. Außerhalb des Euro-Raums, mit diesem aber eng verbunden, steht Großbritannien, das stärker als andere in den Sog der amerikanischen Immobilien-, Finanz- und Konjunkturkrise geraten ist.

Hoffnungen, dass sinkende Ölpreise zu einer Trendwende führen könnten, werden enttäuscht. Ein Nachlassen des Preisniveauanstiegs ist gerade Ausdruck schwächerer Nachfrage auf dem Weltmarkt – die Kriseneffekte setzen sich gegenüber den Inflationseffekten durch. Eine aktivere Geldpolitik, wie sie von den USA praktiziert wird, könnte deshalb stimulierend wirken. Allerdings erscheint ein solcher Schritt der Europäischen Zentralbank sehr unwahrscheinlich. Ein kleines Konjunkturprogramm, wie es Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) nicht zuletzt mit Blick auf die bayerischen Landtagswahlen ins Gespräch gebracht hatte, ist offenkundig politisch nicht durchsetzbar. Der Wirtschaftsflügel der CDU hat Parteichefin Angela Merkel mit scharfen Worten zu einer Kurskorrektur aufgefordert. "Frau Merkel hat nach und nach viele christdemokratische Positionen aufgegeben", kritisiert Josef Schlarmann, Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der Union. Es sei dringend nötig, dass die Partei endlich eine ausführliche Debatte über den wirtschaftspolitischen Kurs führt.

Die Gewerkschaften und DIE LINKE fordern ein massives öffentliches Investitionsprogramm und eine Stärkung der Masseneinkommen. Aber auch diese Vorschläge sind ohne politische Mehrheit. Die weitere Entwicklung ist vorgezeichnet: Die Steuereinnahmen gehen demnächst wieder zurück, die Arbeitslosigkeit steigt in den kommenden Monaten an und auch die Sozialversicherung wird erneut mit wachsenden Defiziten zu kämpfen haben. Bei einem kurzen Abtauchen der Konjunktur wird es nicht bleiben. Die Finanzkrise sorgt dafür, dass wir über einen längeren Zeitraum mit hartnäckigen Krisensymptomen zu kämpfen haben.

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