BUCHTIPP: Franziska zu Reventlow - Leben nach eigener Fasson

Gunna Wendt folgt den bizarren Wegen der Franziska zu Reventlow

22.07.2008 / Von Klaus Bellin, Neues Deutschland

Sie sah blendend aus, hatte große, tiefblaue Augen, und das Herz war erfüllt »von der Sehnsucht nach einer schönen und freien Menschenwelt«. Franziska zu Reventlow war schon ein paar Jahre tot, als ihr Erich Mühsam in den »Unpolitischen Erinnerungen« ein ganzes Kapitel einräumte. Keiner ihrer Bewunderer kannte sie so lange wie er. Einst waren sie sich in Lübeck jeden Tag begegnet, er hatte die Komtess, die in paar Jahre älter war als er, immer höflich und respektvoll gegrüßt, aber beichten konnte er ihr seine Bewunderung erst später, als man sich im Münchner Café Luitpold, dem Treffpunkt der Schwabinger Bohème, wiedersah. Sie hatte sich inzwischen, wie er nun schrieb, »der brotlosen Kunst der Bildhauerei in die Arme geworfen«, war Mutter eines unehelichen Kindes und »lebte, wie es ihr paßte«. Mühsam pries ihre Tugenden, den herrlichen Lebensmut, ihre Missachtung der Konventionen und gesellschaftlichen Vorurteile, ihre Arbeitsenergie, »die sie heute zu simplen Näharbeiten, morgen zu Glasmalereien und dazwischen zu wertvollen Übersetzungen aus dem Französischen und zum Schreiben ihrer überlegen-humorvollen, stilistisch ausgezeichneten Novellen befähigte …«

Franziska zu Reventlow, 1871 in Husum geboren, gehört zu den leuchtenden Gestalten, die damals die Münchner Kunstszene bevölkerten. Keine war so wie sie, so unangepasst und rebellisch, so unbeirrt in ihrem Glücksanspruch und wild entschlossen, über ihr Leben selber zu bestimmen. Tapfer und unbeirrt ging sie ihren eigenen Weg. Dass er in die Armut führte, in Zeiten der Not, konnte ihre Grundsätze nicht erschüttern. Sie lebte schon eine Weile in München, als sie von ihren ersten Jahrzehnten in einem Roman erzählte. Rilke, entzückt von dem Buch, schrieb daraufhin 1904 seine Verehrung in einen Brief an die Titelheldin Ellen Olestjerne, der gleich mit einem Bekenntnis beginnt: »Ich finde, daß Ihr Leben eins von denen ist, die erzählt werden müssen …«

Die Biografen, wen wundert's, haben sich diese Geschichte einer Emanzipation im kaiserlichen Deutschland nicht entgehen lassen. Zu den zwei schmalen Büchern der letzten Zeit, die den Spuren der Franziska zu Reventlow nachgehen und noch immer lieferbar sind (verfasst von Franziska Sperr und Ulla Egbringhoff), ist gerade ein drittes hinzugekommen, eine lockere, leicht lesbare Lebensbeschreibung von Gunna Wendt, ein Buch, das sich souverän auf das reiche autobiografische Material der Reventlow stützt und zudem auf Briefe zurückgreifen kann, die noch nirgendwo zu lesen waren. Gut vorstellbar, dass die 300 Seiten dieser sympathischen Biografie den Wunsch wecken, nach diesem oder jenem Text der legendären Gräfin zu greifen. Zum Glück sind die meisten bequem (und für wenig Geld) zu haben. Nur die schöne, wunderbar edierte (auch erstaunlich preiswerte) Sammlung sämtlicher Werke in fünf Bänden, 2004 im Oldenburger Igel-Verlag erschienen, sucht man in den Buchhandlungen inzwischen vergebens. Sie ist vergriffen, leider.

Manchmal, wenn Franziska zu Reventlow Begebenheiten, Gedanken, Empfindungen ins Tagebuch schrieb, dachte sie wieder an die überstandenen Turbulenzen ihres Lebens, an die Zickzackwege, ihre Tränen und ihren Trotz und an die heftigen Versuche, die Fesseln loszuwerden. Sie sei wie jemand gewesen, notierte sie 1897, »der nicht normal seinen Weg gehen konnte, immer in Purzelbäumen«. Und zehn Jahre später heißt es: »Ich bin gelaufen, gelaufen, hingefallen, wieder aufgestanden. Aber immer dahinter das Gefühl, ich muß noch etwas Großes zusammenbringen.« Ihr steiniger Weg begann in einem Husumer Schloss und in der Gefangenschaft einer Familie, die ihr die Luft nahm und jede Bewegungsmöglichkeit. Sie rebellierte früh, ausgestattet mit einem »wahnsinnigen Uebermaß von Lebenskraft«, mit Fantasie und Kunstsinn, wehrte sich stur vor allem gegen alle Bestrebungen, sie auf die künftige Rolle als sittsame Frau und Mutter vorzubereiten. Die Zähmung, von dramatischen Drohgebärden begleitet, misslang. Franziska zu Reventlow ließ sich weder das Schreiben und Malen verbieten, noch den Spaß am Leben austreiben. Sie besuchte das Lehrerinnenseminar in Lübeck, interessierte sich weiter für moderne Literatur, floh nach Hamburg, lernte den Juristen Walter Lübke kennen, der ihr 1893 den Malunterricht in München ermöglichte und den sie im Jahr darauf auch heiratete. Die Ehe hielt, da sie von Treue nichts hielt, freilich nur kurze Zeit. Sie brach aus, wurde geschieden und 1897 Mutter eines vergötterten Sohnes. Nichts hielt sie nunmehr zurück, das Dasein und die Liebe auszukosten.

Sie sei geschaffen, bekannte sie 1899 im Tagebuch, »im Leben herumzutoben, alles an mich zu reissen u. masslos zu geniessen«. Aber sie stieß auch immer wieder auf Gegenwehr, wurde aus ihrer Wohnung geworfen, suchte erotische Abenteuer, verdiente sich den Unterhalt gelegentlich durch Prostitution, nahm diesen und jenen Gelegenheitsjob an, war mal Masseuse, mal Versicherungsagentin, dann wieder Aktmodell und fing an, für den Albert Langen Verlag Werke französischer Autoren zu übersetzen. Sie gab sich auch hier impulsiv und eigenwillig, legte jedes Mal ein rasantes Tempo vor und ließ sich nicht davon abbringen, Passagen, die ihr zu langatmig schienen, einfach zu kürzen oder ganz zu eliminieren.

Sie war, schnoddrig und geistreich, bald schon das zierliche Zentrum der Münchner Bohème, geschätzt, umschwärmt und gefeiert, auf der anderen Seite ständig bedroht von den Katastrophen des Alltags, der konstanten Geldnot und dem Unvermögen, »ordentlich zu leben«. Sie hause in einem schäbigen Atelier, notierte sie, und bringe es nicht fertig, Kleider und Schuhe zu kaufen. »Dafür trinke ich Sekt wann ich will und lebe einen Abend wie im Schlaraffenland und amüsiere mich.«

Franziska zu Reventlow spazierte als Hetäre, Femme fatale und Skandalgräfin durch München, und Gunna Wendt erzählt detailliert, wie sie zu diesem Ruf kam, wie sie sich, finanziell total ruiniert, schließlich breitschlagen ließ und einen reichen baltischen Adligen heiratete. Aus der Erbschaft wurde dann aber nichts, weil die Bank pleite machte. Doch man sieht hier auch die Schriftstellerin, die Autorin des Briefromans »Von Paul zu Pedro« (1912), des Schlüsselromans »Herrn Dames Aufzeichnungen aus einem merkwürdigen Stadtteil« (1913) mit dem intensiven Blick auf die Kunst- und Literatenszene in Schwabing, die Brief- und Tagebuchschreiberin, die ihre unzähligen Liebschaften protokollierte, die Essayistin, die sich am Jahrhundertbeginn für die Selbstbestimmung der Frauen einsetzte. Mit Vehemenz hat sie sich gegen die aufgezwungenen Verhaltensmuster gewehrt, die von den Mädchen »Artigkeit« verlangten und die Rolle der erwachsenen Frau auf den liebenden und sorgenden Beistand des Mannes reduzierten. Sie plädierte für die gemeinsame Ausbildung der Jungen und Mädchen, für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne der Arbeiterinnen, aber sie unterschied sich von der Frauenbewegung schon dadurch, dass sie Erotik und Sexualität aus ihrem Denken nicht verbannte. Das »lasterhafte Weib« war ihr allemal sympathischer als das »keuscheste Gretchen«.

Die letzten Jahre verbrachte Franziska zu Reventlow am Lago Maggiore, wo sich im Ersten Weltkrieg die Flüchtlinge aus Deutschland versammelten. Sie starb nach einem Sturz vom Fahrrad am 26. Juli 1918. Es ist 90 Jahre her. Erich Mühsam wollte ihren Tod nicht glauben. Und gestand ihr dann postum seine »innigste Verehrung«: »Sie trug, außer ihrem Namen, nichts an sich, was vom Moder der Vergangenheit benagt war.«
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Schriftstellerin, Lebenskünstlerin, alleinerziehende Mutter, Adlige und Königin der Bohème – eine Widerspenstige, die sich der Zähmung entzog: Franziska zu Reventlow. Gunna Wendt hat ihr die Biografie »Die anmutige Rebellin« gewidmet (Aufbau Verlag. 317 S., geb., 24,95 EUR).

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