Die der SPD den Kampf ansagten

19.05.2008 / Von Günther Lachmann , Welt am Sonntag

Vor vier Jahren entstand die WASG. Heute ist sie Teil der Partei Die Linke, die in der kommenden Woche in Cottbus ihren ersten Parteitag feiert. Sie hat die Republik verändert

Die Aktion trug Züge einer Revolte. Auch wenn niemand auf die Straße ging, Parolen brüllte und Steine warf. Auch wenn im März 2004 so gar nichts an 1968 erinnerte. Diese neue Bewegung war weder jung noch intellektuell. Sie war aber eine, die innerhalb weniger Tage Tausende zusammenführte, die sich mit ihrem Namen dem Protest gegen die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder verschrieben.

Nicht im Traum hätte Thomas Händel gedacht, dass die von ihm an 500 Gleichgesinnte verschickte E-Mail solche Wirkung zeigen würde. Wenige Zeilen nur hatte er notiert und einen Aufruf zur Mitarbeit in einer "Initiative Arbeit & Soziale Gerechtigkeit" angehängt.

"Mein privates Faxgerät, auf dem die unterschriebenen Rücksendungen eingingen, ist dann ganz schnell abgeraucht", sagt Thomas Händel, der mit den Gewerkschaftern Klaus Ernst, Gerd Lobodda, Günther Schachner, Peter Vetter, Anny Heike und dem Hamburger Politik-Professor Herbert Schui zu der Gruppe der Aufrührer zählte. Und Anny Heike erinnert sich an ihre Sprachlosigkeit angesichts der "unendlichen Zustimmung": "Ich dachte nur: Was hast du da eigentlich angerichtet?" Am kommenden Wochenende auf dem ersten Parteitag der Linken in Cottbus wird sie sich das Ergebnis anschauen können.

Die sieben brachten von Bayern aus eine politische Bewegung ins Rollen, die inzwischen dabei ist, die politischen Koordinaten der Republik zu verändern. Sie rückt die Politik sämtlicher Parteien ein gutes Stück nach links und beeinflusst deren Sicht auf die Globalisierung genauso stark wie ihr Verhältnis zum Sozialstaat und die Einsätze der Bundeswehr im Ausland. Zuerst schloss sich den Leuten um Händel und Ernst eine Gruppe norddeutscher Intellektueller um den Wirtschaftswissenschaftler Axel Troost und die Attac-Frau Sabine Lösing an. Zusammen gründeten sie den Verein "Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit e.V." (WASG).

Sie gewannen den früheren SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine für sich und schließlich auch noch die PDS. Gemeinsam schufen sie die Partei "Die Linke", die in den Umfragen schnell nach oben schoss und inzwischen mit über 30 Prozent stärkste Partei in Ostdeutschland ist. Im Westen schaffte sie auf Anhieb den Einzug in vier Landtage. Und das alles geschah am Ende nur deshalb, weil eine kleine Gruppe unzufriedener Gewerkschafter im März vor vier Jahren dem SPD-Kanzler Gerhard Schröder den Kampf ansagte.

Wenn sich Die Linke in Cottbus zu ihrem ersten Parteitag versammelt, werden mit Klaus Ernst und Anny Heike allerdings nur zwei der sieben Aufrührer im immerhin 44 Köpfe zählenden Parteivorstand vertreten sein. Am weitesten hat es noch Ernst gebracht. Er ist stellvertretender Partei- und Fraktionsvorsitzender. Zusätzlich sitzen auch die Mitbegründer der WASG, Troost und Lösing, im Bundesvorstand.

"Gleich zu Beginn hatten wir im WASG-Vorstand beschlossen, dass nur ein Teil von uns in die parlamentarische Arbeit geht", sagt Händel. Die anderen sollten den Aufbau der Partei voranbringen. Günther Schachner und Anny Heike schufen die notwendigen Strukturen in Bayern. Beide sitzen heute im Landesvorstand der Linken. Als Peter Vetter in Ruhestand ging, organisierte er die Parteiarbeit in Hessen. Inzwischen ist er dort Mitglied des Landesvorstandes. Herbert Schui hingegen wurde zusammen mit Klaus Ernst und Axel Troost in den Bundestag gewählt.

Thomas Händel nahm, gemeinsam mit Ernst und Troost, die bundesweite Organisation in die Hand. Nebenbei stieg er zum stellvertretenden Vorsitzenden der Rosa-Luxemburg-Stiftung auf und arbeitet nach wie vor als Erster Bevollmächtigter der IG Metall Fürth. Einzig Gerd Lobodda zog sich im Rentenalter aus der aktiven Parteiarbeit zurück.

Bis auf einen sind sie also alle noch irgendwie dabei, die am 19. März 2004, es war ein Freitag, im Hotel "Arvena" im Nürnberger Stadtteil Langwasser erstmals ihre Initiative vorstellten. Schon Stunden vorher schoben sich Scharen von Journalisten in den viel zu kleinen Saal. Schließlich schien es bis zu diesem Tag undenkbar, dass Gewerkschafter, die jahrzehntelang Mitglieder der SPD waren, nun öffentlich eine Gegenbewegung zur rot-grünen Regierungspolitik ins Leben riefen.

"Die SPD hat sich", sprach Händel damals in die mindestens zwei Dutzend auf ihn gerichteten Mikrofone, "zur Hauptakteurin des Sozialabbaus und der Umverteilung von unten nach oben entwickelt." Damit müsse Schluss sein, forderte er, um dann das eigentlich Ungeheuerliche auszusprechen: Ansonsten könne aus der Initiative bis zur nächsten Bundestagswahl eine Alternative zur SPD entstehen. "Diese mögliche Entwicklung schließen wir ausdrücklich ein."

Während die Öffentlichkeit den Vorgang neugierig bestaunte, reagierte die SPD-Führung sichtlich pikiert. Der damalige Parteichef Franz Müntefering sprach abschätzig von einem "zusammengewürfelten Häuflein". Und im Norden höhnte der niedersächsische Oppositionsführer Sigmar Gabriel: "Das ist für die Sozialdemokraten nicht bedrohlich, wenn sich sechs Jungens in Bayern treffen und einen Aufruf unterschreiben."

Anny Heike unterschlug er einfach. Kleinreden war die Devise der Sozialdemokraten. Aber sie funktionierte nicht. Denn schon zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Frühjahr 2005, in deren Folge Schröder seinen Rücktritt erklärte, war die WASG am Start.

Getragen wurde ihr Erfolg seither vor allem durch den Unmut in der Bevölkerung über die Hartz-Gesetze. Ihre damalige Kritik am Steuersystem, der Gesundheitsversorgung, an der Bildungs-, Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik hat der Parteivorstand der Linken in seinem Leitantrag zum Parteitag in Cottbus weiterentwickelt. Darin spricht sich die Parteispitze unter anderem für Mindestlöhne von acht Euro, für eine auf höchstens 40 Stunden begrenzte Wochenarbeitszeit, den Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan, die Auflösung der Nato, die Einführung einer bedarfsorientierten Grundsicherung und die Investition von 50 Milliarden Euro jährlich in Bildung, Gesundheit, Umwelt, die kommunale Daseinsvorsorge und öffentliche Beschäftigung aus.

Aber es gibt noch andere Ziele. "Ich erwarte von dem Parteitag auch, dass die Partei aufhört, in Kategorien wie 'ihr' und 'wir' zu diskutieren", sagt Händel. Anny Heike drückt es anders aus: "Es gibt immer noch zwei Indianerstämme, die müssen zusammenkommen." Zwar ist die Vereinigung von WASG und PDS vollzogen, aber die innere Einheit scheint deshalb noch nicht erreicht. Axel Troost benennt die Unterschiede. "Der Westen ist eher visionär, der Osten für praktische Politik."

Klaus Ernst treibt noch etwas anderes um. "Wir dürfen nicht nur die Partei der Ausgegrenzten und Entrechteten sein", sagt er. "Wir müssen auch die Partei der Arbeitnehmer und des Mittelstandes werden." Ausgerechnet im Westen, wo sie vor vier Jahren mit so raschem Erfolg gestartet sind, diagnostiziert der Mitbegründer nun vereinzelt eine Realitätsferne und Neigung zur Selbstisolation, mithin also jene gefährliche Eigenschaft, an der jede Bewegung zerbricht, die über die Revolte nicht hinauskommt.

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