Ein neuer Rassismus

GASTKOMMENTAR - Wohin die Diffamierung von Erwerbslosen führt

26.04.2008 / Katja Kipping, Freitag 17/2008

Sollen wir oder sollen wir nicht? Wenn ja, zu welchen Bedingungen? Diese Fragen werden gegenwärtig im Zuge einer Crossover-Diskussion erörtert. Ich möchte diesen Impuls aufgreifen und für die Sozialpolitik beleuchten. Ernsthaftes Nachdenken über eine Linksregierung setzt unter anderem voraus, dass es innerhalb der SPD zu einem Paradigmenwechsel in der Sozialpolitik kommt. Dazu gehört nicht nur eine Erhöhung der sozialen Leistungen, sondern ein grundlegender Wechsel der Philosophie im Umgang mit Erwerbslosen.

Zum Geist der Agenda-Reformen gehört eine Propaganda, die Erwerbslose als Schmarotzer stigmatisiert. Es ist ein bekanntes Muster: Um den Boden für Sozialabbau vorzubereiten, wird eine Anti-Faulenzer-Debatte angestoßen. Ex-Kanzler Gerhard Schröder glänzte einst mit der Aussage, es dürfe kein Recht auf Faulheit geben. Inzwischen bedienen SPD-Abgeordnete diese Argumentation etwas geschickter: Nicht mehr grobschlächtige Diffamierung ist angesagt, sondern Beschäftigte und Erwerbslose werden nun subtil gegeneinander ausgespielt.

Wann immer wir noch so kleine Verbesserungen vorschlagen, führen Sozialdemokraten Menschen an, die wenig verdienen und mit ihren Steuern die Erwerbslosen finanzieren. Dabei erwecken sie den Eindruck, die Sozialleistungsbeziehenden seien schuld an der schlechten materiellen Situation von Geringverdienenden. Das Gegenteil ist der Fall: Je prekärer die Situation von Erwerbslosen ist, um so eher sind die Beschäftigten zu Zugeständnissen bereit. Das Problem liegt nicht in der Alimentierung von Armen durch das allgemeine Steueraufkommen, sondern darin, dass die Beschäftigten vor allem den Reichtum der Reichen und die Managerabfindungen erarbeiten müssen.

Es ist ein perfider Trick der herrschenden Klasse, diejenigen, die fast nichts haben, gegen diejenigen auszuspielen, die noch weniger haben. Auch die SPD hat sich in ihren Versuchen, Beschäftigte gegen Erwerbslose auszuspielen, dieser Propaganda der Ausgrenzung verschrieben. Diese hat in dreifacher Hinsicht fatale Folgen: Erstens führt sie dazu, dass Erwerbslose, die schon unter Armut leiden, noch die Last aufgebürdet bekommen, unter dem Generalverdacht des Schmarotzertums zu stehen. Zweitens treibt die Diffamierung in der Praxis der Jobcenter schlimme Blüten. So bekommt, um nur ein Beispiel zu nennen, eine hochschwangere Frau plötzlich die Kosten der Unterkunft gekürzt, nur weil sie einer sich in Not befindenden Freundin ihr Wohnzimmersofa zur Verfügung stellte. Drittens betreibt, wer die Ausgrenzung von Erwerbslosen bedient, ein Spiel mit dem Feuer. Eine Studie des Soziologen Wilhelm Heitmeyer hat gezeigt, dass es eine wachsende Abscheu gegenüber Menschen gibt, die als "nutzlos" beziehungsweise als "Versager" gelten. Es existiert ein erhebliches Maß an Abwertung gegenüber Langzeiterwerbslosen und Obdachlosen.

So entsteht ein neuer Rassismus - der Nützlichkeitsrassismus. Zunehmende Übergriffe auf Wohnungslose sind die erste Folge davon. Erreicht die feindselige Einstellung gegenüber einer Menschengruppe eine gewisse Intensität, dann wird es gefährlich. Vor allem in Verbindung mit Abstiegsängsten entsteht eine explosive Mischung. Jede abwertende Äußerung in Talkshows oder Bundestagsdebatten über Erwerbslose verfestigt diesen Nützlichkeitsrassismus.

Die neue Linkspartei ist dem Erbe der Bewegungen gegen die Hartz-Gesetze verpflichtet. Sich auf eine Koalition einzulassen, ohne dass ein grundlegender Wechsel weg von der Politik der Schikanen gegenüber Erwerbslosen garantiert ist, hieße, dieses Erbe zu verraten.

Die Autorin ist Vizechefin der LINKEN und sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag

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