Den Mut verloren

Zur Vorgeschichte und den Folgewirkungen eines »unrealistischen Investitionsprogramms« der Partei Die Linke

12.04.2008 / Von Ulla Lötzer, junge Welt

In der Partei Die Linke wird über die Zukunft gestritten. Ralf Krämer, Michael Schlecht und Axel Troost haben als Antragsentwurf für den Cottbuser Parteitag (23. und 24. Mai) die Verabschiedung eines milliardenschweren Investi­tionsprogrammes vorgeschlagen. Teile des Parteikaders, vor allem aus Ostdeutschland, hatten dieses Programm im Vorfeld heftig kritisiert. Es sei nicht finanzierbar, unseriös und gefährlich, so einige Vorwürfe. Der Parteivorstand befaßt sich am heutigen Sonnabend u. a. mit diesem Antrag.

Vor dem Cottbuser Parteitag der Partei Die Linke ist ein Streit um die »richtige« wirtschaftspolitische Strategie entbrannt. Im Wahlprogramm der damals noch Linken.PDS von 2005 heißt es unmißverständlich: »Für die Zukunft vorsorgen bedeutet: mehr investieren in hochwertige Bildung und Erziehungseinrichtungen, in Wissenschaft und Forschung für zukunftsfähige Technologien und Produkte, die Arbeitsplätze schaffen. Wir brauchen Investitionen, die die öffentliche Daseinsvorsorge gewährleisten und einen sozial-ökologischen Umbau voranbringen. Deswegen ist ein umfangreiches, längerfristig angelegtes Zukunftsinvestitionsprogramm notwendig.«

Sucht man hinter eher unqualifizierten Vorwürfen wie »Luftschlösser«, »Populismus« und »ver.di-Antrag« nach dem Kern der Auseinandersetzung, so wird man bei Helmut Holter fündig. Erst formuliert er sein wirtschaftspolitisches Credo: »Gerade wir müssen nachweisen, daß nur ausgegeben werden kann, was durch die Gesellschaft erwirtschaftet wurde. Sonst bleibt an uns das Etikett der Umverteilungspartei kleben.«

Höhere Belastung der Vermögenden, also Umverteilung, gehört aber seit Jahren und völlig zu Recht zu den programmatischen Kernpunkten von Die Linke. Vermögensteuer, Börsenumsatzsteuer und eine wesentlich höhere Besteuerung von Erbschaften sind unverzichtbar, um die Chancen für sinnvolle Politik zu erweitern. Darüber kann es keinen Streit geben.

Wichtiger ist Holters Hinweis, daß es sich bei dem Zukunftsprogramm um ein reines Ausgabenprogramm handele und man es deshalb auch als solches bezeichnen solle. Dahinter versteckt sich der oft gehörte Vorwurf, in der »neuen Linken« würden die keynesianischen Konzepte der 70er Jahre neu aufgelegt: Milliardenschwere Ausgabenprogramme zur Stimulierung der Nachfrage ohne Rücksicht auf die zentrale Aufgabe der Haushaltskonsolidierung.

Hier hilft ein Blick in die Vorgeschichte des Zukunftsprogramms: In den Jahren 2005–2006 hat die Bundestagsfraktion unter meiner Federführung ihre Forderungen für wesentliche Zukunftsbereiche diskutiert – mit vielen Fachreferentinnen und -referenten, Arbeitskreisen, auch Landtagsabgeordneten. Es wurden Bedarfe für einen sozial-ökologischen Umbau ermittelt, innovative Einstiegsprojekte gefunden und diese auch seriös mit Geldbeträgen und den zu erwartenden Beschäftigungswirkungen untersetzt. Nicht zuletzt floß die Expertise von kommunalen Spitzenverbänden, dem Wuppertal-Institut, ver.di und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in die Arbeit ein. Neben neuen zukunftsträchtigen Konzepten, etwa dem Energiesparfonds des Wuppertal-Institutes, wurden zentrale Projekte der Linken gebündelt: Vom Ausbau der Kinderbetreuung über die Modernisierung der kommunalen Krankenhäuser bis zur öffentlich geförderten Beschäftigung.

Im nächsten Schritt wurde in einer ökonometrischen Wirkungsstudie abgeschätzt, welche gesamtwirtschaftliche Folgen ein solches Programm haben würde. Im ersten Jahr würde ein Ausgabevolumen von 40 Milliarden Euro schon 600000 Arbeitsplätze, vor allem im Handwerk, im öffentlichen Dienst und im öffentlich geförderten Bereich schaffen. Nach vier Jahren wüchse die Beschäftigung auf über eine Million zusätzliche Arbeitsplätze. Das kurbelt das Wachstum an, gibt ihm eine sozial-ökologische Richtung, entlastet die Sozialversicherungen und steigert die Erträge aus der Einkommensteuer, aber auch aus den Gewinnsteuern der privaten Unternehmen bereits im ersten Jahr um rund 20 Milliarden Euro. Im weiteren Verlauf würde dieser Wachstumspfad zu Überschüssen in den staatlichen Haushalten füheren.

In den vergangenen Monaten kam das ursprüngliche Konzept in die Mühlen der Finanzpolitiker. Es wurde gestritten um Hebesätze, Börsen­umsätze und Steuergruppen. Dabei gingen die zentralen Botschaften und anscheinend auch der Mut verloren, endlich den Einstieg in den sozial-ökologischen Umbau (der Gesellschaft, d.Red.) zu wagen.

Ich halte dagegen: Das Programm stärkt die Binnennachfrage und ist gerade vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Wirtschaftskrise von zentraler Bedeutung. Der Einstieg in den sozial-ökologischen Umbau ist zudem nicht nur notwendig, sondern auch finanzierbar und sozial gerecht, denn er erwirtschaftet zusätzliche Steuereinnahmen, trägt zur Sanierung der Sozialversicherungen bei und schafft Beschäftigung. Das finanzpolitische Credo von uns »Populisten« lautet, daß nur eine offensive Ausgabenpolitik nachhaltig den Abbau von staatlichen Defiziten gewährleistet.

Im Kern geht es um die Frage: Schaffen wir den Wechsel weg von der Jagd nach Weltmarktanteilen hin zu einer binnenmarktorientierten Wirtschaftspolitik? Wir leben nicht auf Kosten der nächsten Generation, wenn wir dieses Geld in öffentliche Infrastruktur, Krankenhäuser, Altenpflegeeinrichtungen und Bildungsinstitutionen investieren, die noch lange genutzt werden. Das Gegenteil ist richtig. Wie wenig der Vorwurf des Luftschlosses trägt, zeigt auch der europäische Vergleich: Seit 1970 ist in Deutschland der Anteil der öffentlichen Investitionen am Bruttoinlandsprodukt von 4,8 auf 1,4 Prozent im Jahr 2006 gesunken. In den USA ist der Anteil doppelt so hoch, in der EU liegt er bei 2,4 Prozent.

Unsere Autorin ist Abgeordnete des Deutschen Bundestages, sowie Sprecherin für Globalisierung und internationale Wirtschaftspolitik der Fraktion Die Linke

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