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PFLEGEREFORM - Etwas mehr Geld, ein bisschen Entlastung und alles beim Alten

15.03.2008 / Ulrike Baureithel, Freitag 11/2008

Im Sommer 2007 hatte Ulla Schmidt ihren Gesetzesentwurf zur Reform der Pflegekasse vorgelegt. Neben Kritik im Detail hoben Experten und Verbände hervor, dass viele Neuregelungen auch "in die richtige Richtung" gingen. Neben der Erhöhung der Pflegestufen fanden die wohnortnahen Pflegestützpunkte, das Pflegezeitgesetz und die Maßnahmen zu Qualitätsverbesserung in der Pflege Zustimmung. Koalitionsdissens gab es um die Einrichtung der Pflegestützpunkte. In dieser Woche steht die Pflegereform wieder auf der Tagesordnung des Bundestages.

Sie müsse manchmal aus dem Haus rennen und eine Runde durchs Viertel drehen, berichtete einmal eine Betroffene auf einer der vielen einschlägigen Tagungen, damit ihr nicht "die Hand ausrutsche" gegen die quengeligen Kinder oder die sperrige Alte. Diesen Rat geben sonst Psychologen Männern, wenn sie zu häuslicher Gewalt neigen. Der Unterschied ist nur, dass die Oma oder der Opa nach einem solchen Aggressionsabbau dann vielleicht schon ins Bett gemacht und die Kinder etwas angestellt haben.

Dennoch werden gebrechliche oder behinderte Angehörige möglichst lange zuhause behalten. Das hat nicht nur mit der oft unbefriedigenden Situation in den Heimen oder mit schlechtem Gewissen zu tun, vielfach erfahren Menschen die Pflege als bereichernd. Vorausgesetzt, sie werden unterstützt und können sich die Verantwortung teilen.

2,13 Millionen Menschen waren im Jahre 2005 pflegebedürftig. Unter den über 80-Jährigen sind es über 60 Prozent. Nur knapp 30 Prozent aller Pflegebedürftigen werden in Heimen versorgt, der größte Teil in häuslicher Umgebung. Nur jeder dritte Pflegehaushalt in Deutschland erhält Unterstützung durch einen professionellen Dienst. Ein Drittel derer, die pflegebedürftige Menschen zuhause betreuen, sind über 65 Jahre alt, knapp 60 Prozent zwischen 40 und 65.

Nackte Zahlen, in der Regel in Form von Grafiken, Tortendiagrammen und Zahlenkolonnen aufbereitet. Sie sollen das sinnfällig machen, was man eigentlich weiß, aber nicht wahrhaben will: Dass die Pflegebedürftigen immer älter werden, immer später ins Heim kommen. Dass die Betreuenden - in der Regel Frauen - entweder selbst schon mit Altersproblemen zu kämpfen haben oder der so genannten "Sandwich"-Generation angehören, die noch Kinder erzieht und die ganz Alten schon mitversorgt. Und dass man - pflegend oder pflegebedürftig - selbst einmal betroffen sein könnte.

Mit der Reform der Pflegeversicherung hatte Gesundheitsministerin Ulla Schmidt allen Beteiligten Verbesserungen in Aussicht gestellt. Eine solide Finanzierung sollte die Pflegekasse zukunftsfest und generationengerecht machen, die seit 1995 eingefrorenen Leistungen sollten erhöht und auf die bislang unberücksichtigte Gruppen ausgeweitet werden. Ein kieznahes, unabhängiges Beratungsnetz (so genannte Pflegestützpunkte) wollte den betroffenen Menschen schnelle Hilfe leisten. Den Berufstätigen wurde eine der Elternzeit vergleichbare Pflegezeitregelung versprochen. Und last not least will die Gesundheitsministerin die stationären und ambulanten Dienstleister stärker kontrollieren, um das Qualitätsniveau zu heben.

Es wäre ungerecht zu behaupten, dass das, was nun in abschließender Lesung im Bundestag verhandelt wird, überhaupt keine Verbesserungen bringen würde. Längst überfällig ist die Anhebung der drei Pflegestufen und des Pflegegeldes (s. Übersicht) sowie die Dynamisierung der Leistungen ab 2015. Wenn sich viele hier auch mehr gewünscht hätten, werden nun künftig sowohl Heime als auch diejenigen entlastet, die Angehörige zuhause versorgen. Unbedingt zu begrüßen ist es, dass sich die Politik endlich von ihrem nur auf körperliche Einschränkungen bezogenen Pflegebegriff verabschiedet und Demenzkranke und "Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz", wie das im Fachjargon heißt, in den Kreis der Versicherten einbezieht. Diese können, auch ohne Pflegestufe, nun zwischen 460 und 2.400 Euro jährlich erhalten. Außerdem soll das persönliche Pflegebudget, das in Modellversuchen bereits im Behindertenbereich erprobt wurde, gestärkt werden.

Dass die Reform allerdings auf eine langfristig tragfähige Finanzgrundlage gestellt würde, war ein Jahr vor Bundestagswahlen kaum zu erwarten. Mit der Erhöhung des Pflegebeitrags um 0,25 Prozentpunkte auf 1,95 Prozent (Kinderlose: 2,2 Prozent) sah die Koalition offenbar die Grenze des Zumutbaren ausgereizt. An der nun absehbaren Versorgungslücke mäkelt nicht nur die arbeitgebernahe Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, die einen dramatischen Anstieg des Beitrags prognostiziert und bekanntlich für eine kapitalgedeckte Zusatzversicherung votiert. Kritisiert wird etwa seitens der Gewerkschaften, dass wieder einmal versäumt wird, die privaten Pflegekassen für einen Ausgleich heranzuziehen.

Eine erhebliche Verbesserung der Situation pflegender Angehörigen hätte das ursprünglich geplante Pflegezeitgesetz gebracht. Doch aus den jährlich zehn Tagen Pflegeurlaub für die Akutpflege sind zehn Tage Freistellung ohne Lohnfortzahlung geworden. Wer länger pflegen will, kann dies - bis zu sechs Monate - beim Arbeitgeber beantragen, ohne deshalb eine Kündigung fürchten zu müssen, jedenfalls auf dem Papier. Eine der Elternzeit entsprechende Verdienstausfallsregelung gibt es nicht. Ob am Ende der Arbeitgeber nicht "dringende Gründe" gegen eine Freistellung vorbringen und die Auszeit verweigern kann, wird wohl erst im Bundestag abschließend entschieden werden.

Dass sich in den letzten Monaten der Koalitionsstreit vorwiegend auf die von Ulla Schmidt geplanten Pflegestützpunkte konzentrierte, ist nicht nur dem Widerstand der Länder anzulasten, die fürchteten, auf der Finanzierung sitzen zu bleiben (siehe Beitrag unten). Grundsätzlich stellt sich bei der Pflege - wie übrigens auch in anderen Bereichen des Gesundheitssystems - die Frage, wie weit der Einfluss der Sozialkassen bei der Beratung, aber auch bei der Qualitätsprüfung gehen darf.

Um letztere ist im vergangenen Herbst ein heftiger Streit entbrannt, nachdem erhebliche Mängel in der stationären und ambulanten Pflege öffentlich wurden. Umstritten ist nicht nur, wie oft eine Einrichtung oder ein Dienstleister überprüft, ob die Prüfung vorher angemeldet wird und die Prüfberichte danach zugänglich sind - in der Gesetzesvorlage wachsweich geregelt -, sondern auch, wer prüfen soll. Bislang ist der offiziell unabhängige, aber von den Krankenkassen bestellte Medizinische Dienst, zusammen mit der Heimaufsicht der Länder, dafür zuständig. Verbände und Selbsthilfegruppen fordern, in das Qualitätsmanagement eingebunden zu werden, schon aufgrund der Erfahrung, dass sich die Pflegekrähen gegenseitig kein Auge aushacken.

Das ist aber auch deshalb sinnvoll, weil der Geist des Gesetzes darauf abhebt, das zivilgesellschaftliche wohnortnahe Engagement zugunsten der Pflege zu stärken. Das aber steht in Widerspruch zu den wenig transparenten und bürokratischen Strukturen eines Medizinischen Dienstes, der ausschließlich im Auftrag der Sozialkassen arbeitet.

Die Pflege der Zukunft ist auch, aber nicht ausschließlich ein Finanzproblem. Wer motiviert werden soll, zeitweise aus dem Beruf auszusteigen oder sich im Kiez für Alte und Behinderte zu engagieren, der sollte auch das Gefühl haben, dass dies honoriert wird in Form von Einfluss auf die Strukturen. Und davon ist die auf Paternalismus fußende Sozialverfassung dieses Landes weit entfernt.

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