Nicht jenseits der Lokführer-Romantik

08.08.2007 / Von Ingo Groepler-Roeser, Berliner Umschau

Die Lokführer streiken und es hört sich an, als stünden überall Räder still. Schwere Eisenrosse schnauben auf den Bahnsteigen aus und schweigen für Minuten. Der Mann mit der Kohle im Gesicht sieht aus dem Fenster und lächelt dem kleinen Jungen auf dem Bahnsteig zu. Der mit schief in der Stirn hängender Mütze und halblangen Hosen ist stolz, mit dem Lokführer zu sprechen, der noch eben am Stummel einer Zigarette zieht und an der schräg über ihm hängenden Schlaufe das „Tut, tuut" herbeizieht, um die dampfende Lok langsam aber kraftvoll aus dem Bahnhof zu schieben.

Doch diesmal ist es anders. Die Bahn ist nicht mehr auf dem Vormarsch, wie damals – in der Idylle dieser Amerika-Romantik, als sie sich durch Indianergebiete zum Gold fraß. Doch das wusste der kleine Junge nicht. Auch heute noch stehen Jungs und Mädels auf den Bahnhöfen und bestaunen begeistert die Ungetüme, von denen sie meist nur wissen, dass der Mann im Fahrerhaus (heute: Cockpit) ein ganz besondrer sein muss. Das Lokführerhaus, ein nie bezwungener Mythos für kleine und große Leute. Darin muss viel Unbekanntes herrschen, Knöpfe blinken, überall pustet Dampf aus den Leitungen und hinten, im Schacht glüht die Kohle ...

Inzwischen ist die Bahn ein (trans)kontinentales Unternehmen mit viel Macht über die öffentliche (Un)Ordnung, bestimmt Reiserouten und –ziele, regelt den Verkehr zur Arbeit, transportiert öffentliche Güter, erhöht jährlich die Preise, feuert Leute, verkauft die Schienen, vermietet ihr Kommunikationsnetz an Mobilfunkbetreiber und macht Gewinn.

Natürlich kostet so eine Bahn auch Geld. Jährlich fließen Milliarden in das teilstaatliche Unternehmen. Die Reisebedingungen sollen stetig verbessert werden und nicht erst seit dem plötzlichen Bekanntwerden des Klimawandels ist die Bahn der Renner. Die Autoindustrie weicht hoffentlich bald einem ausgebauten Streckennetz der Bahn und immer mehr Reisende sollen erkennen, dass es neben dem Zeitgewinn anstelle von Staus auf Autobahnen und bei der Durchfahrt durch verkehrsüberlastete Städte ein zusätzlicher Gewinn von Reisequalität ist, wenn man nebenbei noch Kaffee schlürfen und im Netz surfen kann. Damit der Kaffee aber nicht aus der Tasse ‚schwappert' und die Leertaste vom Laptop nicht zum Haltegriff im rasenden Zugabteil wird, erwartet der Passagier eine möglichst kontinuierliche Fahrtgeschwindigkeit, reibungsloses Anfahren und Bremsen, kurz: die ganze Aufmerksamkeit und Wachsamkeit des Lokführers.

Die jahrelange Ausbildung zum Lokführer reicht allein nicht. Nach- und Weiterbildungskurse, Kenntnisse des Streckennetzes und ein Leben, oft weit und lange weg von zu Hause, gehören zum Alltag der Lokführer. Jedes Mal, wenn sie in den Zug einsteigen, tragen sie Verantwortung für Familien, Urlaubsreisende und dafür, dass Leute pünktlich zur Arbeit kommen, Termine wahrnehmen können – und sicher an ihr Reiseziel gelangen. Es ist traurig, dass in Deutschlands Politik und Wirtschaft dieser Berufsstand keine solche Anerkennung mehr erfährt, dass Bahnchef Mehdorn sich ohne Umstände leisten kann, wie ganz nebenbei ein elementares Recht der Arbeitnehmer anzuzapfen, als sei es ihm unverständlich, dass derlei überhaupt existiere.

Gewiss ist die Bahn ein Unternehmen von zentraler öffentlicher Bedeutung. Gewiss auch wirbt sie damit, einer zukünftig notwendigen Umweltpolitik Rechnung zu tragen.

Personenbeförderung ist einer der wichtigsten öffentlichen Bereiche überhaupt und trägt damit wesentlich zum Sinn einer Gesellschaft bei, den viele erst dann verstehen, wenn sie auf die öffentlich bereitgestellte Beförderung von A nach B angewiesen sind. In den von der Bahn und Mehdorn herbeigeführten Auseinandersetzungen um die uneingeschränkte Verfügung der Züge auch während des Streiks wird diese Komponente ihrer zentralen Bedeutung zwar als Argument rasch herbeigezogen, aber als ebensolche aus der Sicht verantwortungsvoller Lokführer seitens der Gegner des Streiks vernachlässigt.

Wie aber anders als über einen Streik – eine Arbeitsniederlegung – sollen Betroffene auf sich aufmerksam machen? Es geht um das vorletzte Recht, soziale und berufsgruppenspezifische Veränderungen zu erstreiten. Und zwar notfalls auch gegen das Interesse einer möglicherweise desinformierten und künstlich aufgebrachten Öffentlichkeit, logischerweise auch in diesem Falle gegen das innerbetriebliche Interesse des Arbeitgebers.

Wenn Mehdorn sich erinnern könnte, wie auch er einst fasziniert zum Fahrerhaus aufgeschaut hat, um ein Lächeln des gestressten Lokführers zu erhaschen, spätestens dann wäre ihm klar, welchen gesellschaftlichen Stand die Lokführer der Bahn in diesem Lande haben.

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Informationen zum Streik der Lokführer bei der Deutschen Bahn:

Lokführergewerkschaft (GDL) im Internet: http://gdl.de[1]

Unterstützung des Lokführerstreiks: http://www.trueten.de/[2]

Links:

  1. http://gdl.de/
  2. http://www.trueten.de/

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