Vorabbewertung zur Urteilsverkündigung des Bundesverfassungsgerichts am 5.5.2020 in Sachen Verfassungswidrigkeit des EZB-Staatsanleihenankaufs

28.04.2020 / Rudolf Hickel

Am 5.5.2020 gibt es die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Klage auf Verfassungswidrigkeit des Programms zum Ankauf von staatlichen Anleihen der Mitgliedsländer durch die Europäische Zentralbank (EZB)

Der Ursprung: „What ever it takes…“

Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) beschließt am 4.3.2015 (geänderte Fassung 11.1.2017) innerhalb des erweiterten Ankaufprogramms „Expanded Purchase Programme (EAPP)“ das gewichtigste Unterprogramm zum Ankauf staatlicher Anleihen der Mitgliedsländer, das Public Sector Purchase Programme (PSPP).

Hintergrund: Diese geldpolitische Offensive geht auf die am 26.7. 2012 in London durch Mario Draghi angekündete Strategie zurück: „Within our mandate, the ECB is ready to do whatever it takes to preserve the euro. And believe me, it will be enough“.[1] Am 6.9.2012 wurden die Modalitäten der in Aussicht gestellten Outright Monetary Transactions (OMTs) (geldpolitische Outright-Geschäfte) durch den EZB-Rat beschlossen. Gegenüber diesen OMTs ist das am 22.6.2015 beschlossene,„erweiterte Programm zum Ankauf von Vermögenswerten“ (Expanded Asset-Purchase Programme, EAPP) zu unterscheiden. Im Mittelpunkt dieses EAPP vor allem zur Abwendung von Deflationsrisiken und zur Senkung der Realzinsen steht der Ankauf der Staatsanleihen von Mitgliedsländern durch die EZB allerdings ausschließlich auf den Sekundärmärkten.

Ziel dieses Ankaufprogramms von Staatsanleihen

Begründet wird der Ankauf der auf den Sekundärmärkten gehandelten Staatsanleihen im Eigentum der Banken mit den gewollten Wirkungen: Die Realzinsen senken, durch billige Liquidität für die Banken den Anreiz der Kreditvergabe an Investoren erhöhen, mit der Bekämpfung der Deflation die Zielinflationsrate von unter, aber in der Nähe von 2% erreichen.

Verfassungsklage vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerG)

Zu den Klägern gehören radikale Gegner des Euro-Systems wie Bernd Lucke, Peter Gauweiler und Hans-Olaf Henkel. Ihrer Auffassung nach sind wegen Art 123 AEUV die bisherigen Ankäufe von Staatsanleihen verfassungswidrig, denn es handle sich um eine Finanzierung der Staatsschulden durch die EZB (geldpolitische Staatsfinanzierung)

Ablauf:

1. Nach einer Anhörung hält das BVerG im Urteil vom 18. Juli 2017 fest:

  • Die Kläger erhalten Recht. Der EZB-Ankauf jeglicher Art von Staatsanleihen ist auch bezogen auf das Grundgesetz verfassungswidrig.
  • Allerdings wird wegen EU-rechtlicher Grundfragen die Entscheidung zur „Vorabentscheidung dem EUGH“ vorgelegt.

2. Der EUGH stellt mit seinem Urteil vom 11.12.2018 gegen das BVerG die Verfassungskonformität der Käufe von Staatsanleihen durch die EZB im Rahmen Art. 123 AEUV fest. In diesem Urteil wird betont, dass die durch die EZB vorgegebenen Ziele durchaus erreicht worden seien. Vor allem wird die gelungene Stabilisierung des Eurosystems hervorgehoben. Damit habe die EZB ihren geldpolitischen Auftrag erfüllt.

3. Am Dienstag, dem 5.5.2020, entscheidet das BVerG endgültig. Prognose: Das BverG wird sich wohl dem Urteil des EUGH anschließen und damit seine Bewertung vom 18. Juli 2018 korrigieren. Zu erwarten ist jedoch, dass auch zur Minimierung des Gesichtsverlustes einige schärfere Bedingungen an diese Geschäfte der EZB gefordert werden. So könnte der Zeitraum zwischen dem Handel der emittierten Staatsanleihen und deren Ankauf durch die EZB präzisiert werden.

Würde das BVerG nicht dem Urteil des EUGH folgen, dann müsste durch die verfassungsrechtliche Lage im ökonomisch stärksten Land des Eurosystems mit massiven Erschütterungen gerechnet werden.

Und wie verhält sich die EZB?

Die EZB hat sich durch den Verfassungsstreit nicht aufhalten lassen und ihre Ankaufaktivitäten ausgeweitet.

1. In der EZB-Bilanz belief sich im März d. J. der Gesamtbestand gekaufter Staatsanleihen (PPBS) auf knapp 2,136 Billionen Euro. Dagegen fallen die Ankäufe von gedeckten Schuldverschreibungen, von Asset-Backed-Securities und Unternehmensanleihen im Gesamtankaufprogramm (EAAP) deutlich geringer aus. Insgesamt werden seit November 2019 wieder monatlich pro Monat 20 Mrd. Euro für Ankäufe durch die EZB ausgegeben.

2. Mit dem Mitte März beschlossenen Pandemie-Notfallankaufprogramm (Pandemic Emergency Purchase Programme – PEPP) wird ein Zusatzvolumen für den Ankauf von staatlichen Wertpapieren im Umfang von 750 Mrd. Euro hinzugefügt. Das gilt solange, bis „die Phase der Coronavirus-/COVID-19-Krise überstanden ist, keinesfalls jedoch vor Jahresende bis Ende 2020“. Damit werden zusätzlich in großem Umfang auch Staatsanleihen aufgekauft. Übrigens sind bei diesem Programm erstmals wieder griechische Staatsanleihen durch die EZB dezentral kaufbar. Die Verteilung auf die einzelnen Länder erfolgt allerdings nach dem jeweiligen Kapitalschlüssel der nationalen Zentralbanken.

FAZIT:

Auch unterstützt durch umfangreiche empirische Untersuchungen wird der geldpolitische Nutzen dieser massiven Ankäufe von Wertpapieren seit 2015 mit einem derzeitigen Bestand von knapp 2,7 Billionen Euro belegt: Die Realzinsen sind massiv reduziert worden, die Banken verfügen über billige Liquidität, und die Kreditnachfrage für Unternehmensinvestitionen ist zumindest leicht gestärkt worden. Allerdings ist die gesamtwirtschaftliche Nachfrage vor allem im Bereich der Investitionen noch zu schwach, um die aktuell niedrige Inflationsrate in Richtung Zielinflationsrate von unter, aber nahe bei 2% anzuheben. Hier zeigt sich, dass die Wirksamkeit der extrem expansiven Geldpolitik durch eine nachhaltige Finanzpolitik mit einem Zukunftsinvestitionsprogramm gestärkt werden muss. Die Dringlichkeit von Stützungs- und Konjunkturprogrammen gegen die Folgen der Corona-Wirtschaftskrise erhöhen den Druck auf staatliches Handeln für die Gesamtwirtschaft.

[1]„Im Rahmen unseres Mandats ist die EZB bereit, alles Notwendige zu tun, um den Euro zu erhalten. Und glauben Sie mir, es wird genug sein.“