Werner Rügemer,
2012 im transcript Verlag, Bielefeld.
ISBN 978-3-8376-1977-5, Preis 18,80 Euro
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Brandbeschleuniger Rating-Agenturen
Rating-Agenturen stehen nicht erst seit der jüngsten Finanzmarktkrise sowie den schlechteren Noten für die Länder im Zentrum der Eurokrise in der Kritik. Sie haben ihre wichtige Rolle der Informationsbeschaffung über versteckte Risiken in Kreditkomplexen und undurchsichtig gehaltenen Finanzmarktprodukten gründlich missbraucht. Im Mittelpunkt dieses monopolistischen Marktes stehen die großen Drei: Standard & Poor´s, Moody´s und Fitch. Abgesehen von wenigen Rechtfertigungen ist die öffentliche Kritik übermächtig. Frei von Haftung und gesamtwirtschaftlicher Verantwortung dienen sie den Interessen ihrer Eigentümer, vor allem den Hedgefonds und den Investmentbanken, denen sie direkt oder indirekt gehören. Dabei gelten die Interessen der Wall Street als Messlatte der Benotung.
Die Triebkräfte, die Instrumente und die gewollten Auswirkungen sind wegen der best gehüteten Intransparenz über die Geschäftspraktiken nur sehr schwer erkennbar. Da kommt das Buch von Werner Rügemer über die Rating-Agenturen sehr gelegen. Der „interventionistische Philosoph“, wie er sich selbst etikettiert, und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat von Attac hat erstmals in dieser Dichte die für die Beherrschung der Finanzmärkte zu überwindende Lücke an Informationen über das Benotungs-Informationsmonopol geschlossen. Mit einer eindrucksvollen Struktur wird gut lesbar die „organisierte Geheimniskrämerei“ über dieRating-Agenturen durchbrochen. Dabei steht die Überschrift „Einblicke in die Kapitalmacht der Gegenwart“ für sein Programm. Rating-Agenturen werden als zentraler Bestandteil im heutigen Geflecht des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus identifiziert. Es geht darum, „das Entstehen und Wirken von Ratings erstmalig detailliert und zusammenhängend darzustellen“. Seine ziemlich anspruchsvolle Zielsetzung hat er am Ende auch eingelöst. Damit liegt erstmals eine umfassende Analyse des systemischen Charakters dieser von gewinnwirtschaftlichen Interessen geleiteten Informationsanbieter vor. Bisher kaum erschlossene Detailinformationen werden präsentiert. In einer beeindruckenden Dichte gelingt es ihm, die komplexen Zusammenhänge empirisch zu fundieren. Der „intervenierende“ Systemkritiker konzentriert sich auf: die Entstehung, die Instrumente, die innere Arbeitsstruktur bei der seriellen Produktion der folgenreichen (Fehl-)Urteile, die Quellen der Profitabilität dieses Geschäftsmodells, die systematisch gepflegte Intransparenz sowie die mangelnde Haftung für Fehlentscheidungen. Die inneren Triebkräfte dieses Gewerbes spürt er auf, in dem er die in sich verschachtelte Eigentümerstruktur offenlegt. Dem laufenden Text sind zehn Infokästen mit „Institutionen Portraits“ hinzugefügt worden. Sie reichen von „Was tun Investmentbanken bzw. Hedgefonds?“ bis zur kritischen Wertung des durch die G-20-Gruppe getragenen „Financial Stability Board“.
Die Geschichte der Rating-Agenturen, die Rügemer erzählt, beginnt recht harmlos. Henry Vanrum Poor, dessen Name die 1941 verschmolzene Rating-Agentur „Standard & Poor´s ziert, hatte 1868 den Anlegern Informationen über die zu erwartende Wirtschaftlichkeit von US- Eisenbahngesellschaften im „Manual of the Railroads of the United States“ geliefert. Heute ist das massiv ausgeweitete Informationsangebot zur Bonität von Krediten, Aktien, Anleihen, Finanzmarktprodukten und von Staaten (oftmals ohne Auftrag) kaum noch zu überschauen. Es dominiert eine monopolistische Anbieterstruktur, die Wettbewerb nahezu ausschließt. Die drei Großen sind: Standard&Poor´s mit 40%, Moody´s ebenfalls mit 40% und Fitch, die heute mehrheitlich einem französischen Geschäftsmann gehört, mit 15% des Gesamtumsatzes. Grundsätzlich zeigt sich ein Widerspruch. Zum einen schaffen die Rating- Agenturen Informationen, über die der Käufer nicht verfügt. Sie sollen das „asymmetrische Informationsdefizit“ überwinden. Diese Bereitstellung von Informationen ist eine über den Märkten liegende quasi-staatliche Aufgabe. Hier muss Verlässlichkeit gewiss sein. Zum anderen wird diese eher öffentliche Funktion zum Geschäftsfeld privatwirtschaftlicher, gewinnorientierter Unternehmen. In diesem Widerspruch hat das ganze Elend dieser „Rating-Agenturen“ seinen Ursprung. Es sind die Verwertungsinteressen, die zu mangelnder Transparenz über die Benotung und zu Fehlurteilen führen. Rügemer belegt eindrucksvoll, dass der Aufschwung der Rating-Agenturen durch die neoliberale Politik die Entfesselung auf den Finanzmärkten ausgelöst hat: (1) Die „Drei Großen“ erhielten 1975 durch die Börsenaufsichtsbehörde in den USA ohne spätere Kontrollen das „Gütesiegel“. Verbunden war damit der Freispruch von der Haftung für Fehlurteile. (2) 1995 erfolgte die Umstellung für die Bezahlung der Rating-Agenturen: Nicht die Kunden, sondern die Kreditgeber und die Produzenten von komplexen Finanzmarktinstrumenten zur Verschleierung der Risiken zahlen die Beratungsgebühr und versuchen deshalb direkt oder indirekt Einfluss auf die Notenvergabe zu nehmen. (3) Die Politik hat verbindlich festgelegt, dass Mindestnoten durch die Rating-Agenturen in entsprechenden Gesetzen und Verordnungen berücksichtigt werden müssen.
Um die eigentliche Gewinndynamik dieses Geschäftsfeldes zu erfassen, gelingt es Rügemer erstmals, die verschachtelte Eigentümerstruktur dieser Agenturen offenzulegen. Für die großen Drei wird gezeigt, wie Eigentümer der Agenturen auch Miteigentümer der großen Banken und multinationalen Konzerne sind. Dazu das Beispiel: Standard&Poor´s gehört dem Großkonzern Mc Graw Hill. Dessen Eigentümer sind die Hedgefonds, wie „Capital World“. Diese Hedgefonds gehören wiederum Investmentbanken und anderen Hedgefonds. Dabei ist etwa die „Capital Group“ nicht nur an Standard & Poor´s, sondern auch an Moody´s beteiligt. Dieser Eigentümerkomplex ist die Voraussetzung dafür, dass etwa für höchst risikoanfällige Anlageprodukte auf der Basis mehrfach verpackter Hypothekenkredite beste Noten geliefert werden. Da wundert es nicht, dass die Brandsätze der jüngsten Finanzmarktkrise mit besten Noten ausgezeichnet wurden. Diese Brandbeschleuniger „Rating-Agenturen“ müssen bis heute nicht Verantwortung und Haftung für diese Schrottproduktion übernehmen.
Systematisch verweigerte Transparenz über die Art der Benotung, dubiose Geschäftspraktiken im Milieu monopolistischer Konkurrenz sowie die fatalen Folgen der haftungsfreien Fehlberatung machen einen grundlegenden Reformbedarf sichtbar. Die Vorschläge reichen vom Verbot bis hin zur kontrollierten Regulierung. Bei den Alternativvorschlägen verliert das Buch zu den „Einblicken in die Kapitalmacht der Gegenwart“ an Argumentationskraft. Hier schlägt die grundsätzliche Kritik Rügemers an den Mechanismen des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus durch. Rating-Agenturen sind aus seiner Sicht Ausdruck eines Systems, das es grundlegend zu ändern gilt. Der machbare Reformkanon fällt daher spärlich aus. Dazu gehört der Verzicht auf Rating-Urteile, wie sie Gesetze und Verordnungen vorschreiben. Die Europäische Zentralbank hat hier die Pionierrolle übernommen. Sie kauft heute Staatsanleihen mit Ramschstatus, wenn dies der Stabilisierung der Finanzmärkte dient. Weitere Forderungen sind: Offenlegung des Geschäftsmodells und der Notenbildung,Übernahme der Verantwortung durch Haftung, Schaffung wettbewerblicher Strukturen. Interessant ist die Konkurrenz durch eine erste Rating-Agentur in China, deren Konzept im Widerspruch zu den Interessen der angloamerikanischen Finanzoligarchie steht. Rügemer interessiert bei der Kritik der Rating-Agenturen jedoch mehr die Veränderung des kapitalistischen Systems. Deshalb fordert er konsequent, „der Arbeit Würde und Recht zu verschaffen“, „die persönliche Verantwortung“ zu stärken und eine grundlegende „Demokratisierung“, die es den Finanzakteuren verbietet, „die tatsächlich geltenden Gesetze“ zu diktieren.
Diese Analyse der Rating-Agenturen ist Pflichtlektüre allerdings nicht nur im Kreis der Kritiker des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus. Den Akteuren in den Investmentbanken und den Hedgefonds sowie in der von den Finanzmärkten getriebenen Politik wird die Lektüre dieses Pionierwerks empfohlen. Auch die mit wenigen Ausnahmen die Kritik an den Rating-Agenturen verdrängenden Wirtschaftsmedien sowie die Wirtschaftswissenschaft, die auf den Finanzmärkten immer noch von vollkommener Information ausgeht, sollten sich von diesem Buch produktiv provozieren lassen.
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