Im Schatten des Brexits

Von Michael Schlecht

21.07.2016 / linksfraktion.de, 20.07.2016

Der Brexit trifft die EU auch deshalb so hart, weil die sogenannte Eurokrise bis heute nicht nachhaltig überwunden ist. Er wird den Handel erschweren. Doch viel schlimmer sind bestehende wirtschaftliche Schieflagen in der EU.

Der Brexit hat die Europäische Union schlagartig wieder in den Krisenmodus versetzt. Er trifft die EU auch deshalb so hart, weil die sogenannte Eurokrise bis heute nicht nachhaltig überwunden ist. Eine der maßgeblichen Ursachen, die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse, ist nicht überwunden. Im Gegenteil: Deutschland eilt von einem Leistungsbilanzrekord zum nächsten. Die fragile wirtschaftliche Lage in Europa seit Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise droht wieder in sich zusammenzubrechen.

Die Finanzbranche der City of London bangt um ihre wirtschaftliche Existenz. Doch um ihre Arbeitsplätze müssen nicht nur hochbezahlte Banker bangen, auch für Beschäftigte in anderen Ländern geht es um ihren Arbeitsplatz und ihre Bezahlung. Großbritannien ist eng wirtschaftlich verflochten mit den anderen Staaten in der EU. Acht Prozent der deutschen Exporte gehen nach Großbritannien, damit ist die Insel der drittgrößte Exportpartner Deutschlands. Das macht vier Prozent gemessen am deutschen Bruttoinlandsprodukt. Ein Teil dieser Exporte droht mit dem Brexit wegzufallen. Das abgewertete Pfund verteuert deutsche Waren auf dem britischen Markt und erschwert so deren Absatz. Die Wiedereinführung eines Handelsregimes verteuert durch Warenanmeldung und ähnliches die Kosten der gehandelten Waren zusätzlich. Werden wieder Zölle erhoben, dann führt dies zu weiteren wirtschaftlichen Problemen.

Das abgewertete Pfund verteuert auch den Griechenland- oder Spanienurlaub der Briten erheblich. Der ein oder andere wird seine Reisepläne überdenken. Dies kann erheblich Auswirkungen beispielsweise auf den Tourismus in Griechenland haben. Jeder achte Tourist in Hellas kommt aus Großbritannien.

Brisant ist der Brexit aber auch deshalb, weil die eigentlichen wirtschaftspolitischen Schieflagen innerhalb der EU im Schatten des Brexit vollends zu verschwinden drohen. Seit dem Jahr 2000 summieren sich die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse auf mehr als zwei Billionen Euro. Die Kehrseite dieser Überschüsse ist die Verschuldung in Ländern, gerade auch in denen der Eurozone.

Geradezu zynisch ist, dass die deutsche Regierung einerseits stolz ist auf den Leistungsbilanzüberschuss und gleichzeitig die Verschuldung in anderen Ländern kritisiert. Dieser gigantische Leistungsbilanzüberschuss ist die Folge des Lohndumpings in Deutschland in den 2000er Jahren. Die Lohnstückkosten, die sowohl die Entwicklung der Produktivität als auch die Entwicklung der Löhne abbilden, stagnierten beziehungsweise sanken in Deutschland. Erst in den letzten Jahren sind sie wieder gestiegen. 2015 lagen sie rund 15 Prozent über dem Niveau des Jahres 2000. Damit bewegen sich die Lohnstückkosten in Deutschland unter denen der meisten anderen Euroländer.

Bei ihnen stiegen die Lohnstückkosten von 2000 bis 2008 an; in Griechenland beispielsweise um 44 Prozent, damit waren griechische Waren gegenüber deutschen nicht mehr wettbewerbsfähig. Mit der brutalen Austeritätspolitik wurden die Lohnstückkosten in Griechenland um ein Drittel gesenkt. Trotzdem liegt damit der Anstieg der Lohnstückkosten in Griechenland 2015 gegenüber 2000 immer noch um 15 Prozentpunkte über dem in Deutschland. Um den Preis der Zerstörung der Binnennachfrage, auf die die griechische Wirtschaft sich viel mehr stützt als die deutsche, wurde der vergebliche Versuch unternommen wieder international wettbewerbsfähig zu werden. Klar ist: Der eigentliche Täter ist Deutschland. Die immer noch zu niedrige Binnennachfrage in Deutschland infolge des Lohndumpings verwehrt den Eurosüdländern wichtige Entwicklungsimpulse, weil so geringe Importe aus diesen möglich sind. Durch die massiven Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands wird der Eurokurs, trotz massiver Interventionen der EZB hoch gehalten und ist damit zu hoch, insbesondere für die Eurosüdländer. So wird auch ein Herauswachsen aus der Krise durch Exporte erschwert und gleichzeitig bleibt Griechenland weit offen für zum Beispiel chinesische Import. So kommt es, dass selbst Zwiebeln aus China sich gegen die heimische Produktion durchsetzen können.

Die Bekämpfung der Korruption und einer verfehlten Bürokratie in Griechenland ist ein ehrenvolles Ziel der griechischen Regierung. Aber auch zusammen mit diversen anderen Verbesserungen der Angebotsseite dürfte es kaum möglich sein, die griechische Wirtschaft und damit die griechische Bevölkerung aus ihrer Misere zu befreien. Für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung ist nicht nur ein Ende der Austeritätspolitik – wie sie ja auch Sigmar Gabriel proklamiert – notwendig. Vielmehr brauchen wir die Steigerung der Binnennachfrage durch höhere Löhne und Sozialleistungen. Und es bedarf eines massiven Drucks auf Deutschland, seinen unfairen Außenhandel aufgrund des Lohndumpings aufzugeben, damit auch die griechische Wirtschaft, aber auch die vieler anderer Euroländer wieder wettbewerbsfähig wird.

Während meiner jüngsten Reise in Griechenland im Rahmen der Delegation mit Wirtschaftsminister Gabriel gewann ich den Eindruck, dass die griechische Regierung gerade diese deutsche Verantwortung ausblendet und sie nicht in den Gesprächen als Forderungen an die deutsche Seite thematisiert. In der Verantwortung der deutschen Wirtschaftspolitik wurden mit der von der SPD betriebenen Agenda die Löhne für viele Menschen zusammengeprügelt. Dass Sigmar Gabriel davon nichts wissen will, ist bedauerlich, verwundert jedoch kaum noch.