Verfall des Optimismus?

Von Axel Troost

04.01.2016 / 04.01.2016

Die Meinungsforschungsinstitute signalisieren zum Jahreswechsel eine bemerkenswerte Stimmungsverschlechterung der bundesdeutschen Bevölkerung. Die Bundesbürger starten erstmals seit Jahren nicht mit Optimismus ins neue Jahr. „Es gab in der Nachkriegszeit nur sechsmal einen vergleichbaren erdrutschartigen Verfall des Optimismus: während der Koreakrise und der beiden Ölkrisen, während der Rezession 1992/93, nach den Attentaten des 11. September in den USA sowie beim Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzmarktkrise“, stellt Renate Köcher vom Institut Allensbach fest. Mehr als jeder Zweite blickt sorgenvoll in die Zukunft. Sicherlich: im Zentrum des Alltagsbewusstseins steht die ungelöste Flüchtlingsfrage. Knapp die Hälfte der Bundesbürger ist über die Flüchtlingssituation in Deutschland sehr besorgt, nur sieben Prozent beunruhigt die Entwicklung überhaupt nicht. 70 Prozent halten die Bewältigung der Flüchtlingswelle für eine der größten Herausforderungen, mit denen Deutschland konfrontiert ist.

Die stark ausgeprägte Beunruhigung ist aber nicht direkter Ausdruck der ökonomischen Entwicklung. Drei Viertel der Bundesbürger rechnen laut Allensbach damit, dass ihre materielle Lage in den nächsten fünf Jahren stabil bleibt oder sich weiter verbessert. Dennoch erwarten viele Erwerbstätige zusätzliche Belastungen und fürchten ihren Lebensstandard nicht halten zu können. Hier deutet sich auch ein Zusammenhang von Zukunftserwartung mit dem Aufwärtstrend des Rechtspopulismus an: Der Rechtstrend bei Wahlen in Polen, Frankreich, Ungarn, Österreich, Schweden, Großbritannien, Dänemark oder der Schweiz zeigt in ganz Europa die große Verunsicherung der Bevölkerung, die Angst um den eigenen Wohlstand hat, sich vor Überfremdung fürchtet und nationale Interessen in den Vordergrund stellt.

Auch die regelmäßige Umfrage unter den „Führungskräften“ kommt zum Jahreswechsel zu einem eher skeptischen Ausblick auf 2016. Die Mehrheit der Befragten (60 Prozent) findet nicht, dass die Währungsunion das Schlimmste bereits hinter sich habe. Die Skepsis der Eliten in Bezug auf die Zukunft der Euro-Zone hat zugenommen. Besonders Sorgen bereiten ihnen die Entwicklungen in Frankreich, Griechenland und Italien.

Man sollte diese Stimmungsbilder nicht überbewerten. Aber eine Eintrübung oder gar ein Einbruch der Hoffnungswerte hat Konsequenzen für die Politik. Im Kontrast dazu stehen die Einschätzungen der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute. So blickt beispielsweise das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) positiv in die Zukunft und erwartet bis zum Jahr 2020, dass die deutsche Wirtschaft jedes Jahr ordentlich wachsen werde. Für dieses und nächstes Jahr hatten die IWH-Ökonomen bereits ein Wachstum von 1,7 und 1,6 Prozent prognostiziert. Die Wirtschaftsforscher erwarten in den Jahren darauf – von 2017 bis 2020 – eine Zunahme des Bruttoinlandsprodukts um jeweils 1,5 Prozent. Die Wissenschaftler rechnen mit einer wieder etwas besser laufenden Weltwirtschaft, von der in der „mittleren Frist wieder leichte Impulse ausgehen“. Die Konjunktur werde aber weiterhin von der starken Binnennachfrage angetrieben.

Immerhin widerspricht die IWF-Chefin Lagarde dieser optimistischen Wirtschaftsprognose. Ich denke der Internationale Währungsfonds liegt näher an der Wirklichkeit. Das Wachstum des Welthandels hat sich deutlich verlangsamt und der Rückgang der Rohstoffpreise stellt rohstoffbasierte Volkswirtschaften vor enorme Probleme – eben nicht nur Russland oder die Öl-Scheichtümer sondern auch Brasilien und Venezuela. Ein Grund, warum die Weltwirtschaft derart lahmt, ist, dass auch sieben Jahre nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers die Finanzstabilität noch immer nicht gewährleistet ist. In vielen Ländern weist der Finanzsektor nach wie vor Schwächen auf – und in den Schwellenländern nehmen die Finanzrisiken zu.

Auch in der Euro-Zone sind nach wie vor Schlechtwetterwolken über den Finanzmärkten auszumachen. Staaten und Banken laborieren mit notleidenden Krediten im Volumen von 900 bis 1200 Milliarden Euro – einem der großen ungelösten Probleme, die die Finanzkrise hinterlassen hat. Die Banken müssen in die Lage versetzt werden, ihre Kreditvergabe an Unternehmen und Haushalte auszuweiten, und so die Wirksamkeit der lockeren Geldpolitik erhöhen und die Wachstumsaussichten verbessern.

Der Internationale Währungsfonds warnt zurecht vor einem Ausstrahlungseffekt der Entwicklung in der VR China. Die Gesellschaft verfolgt eine Umstellung zu einer eher verstärkten binnenwirtschaftlichen Entwicklung. Ein Ausstrahleffekt dieser Umstellungen zeigte sich im Sommer, als Befürchtungen über das Tempo des chinesischen Wirtschaftsabschwungs die Rohstoffmärkte unter Druck setzten und erhebliche Währungsabwertungen in einer Reihe rohstoffexportierender Länder auslösten. Zu Beginn von 2016 sehen wir erneut die negativen Rückwirkungen auf die chinesischen und internationalen Wertpapierbörsen.

Die IWF-Chefin resümiert: „All dies bedeutet, dass das weltweite Wachstum 2016 enttäuschend und ungleichmäßig ausfallen wird. Und auch die mittelfristigen Aussichten haben sich abgeschwächt, weil geringe Produktivität, alternde Bevölkerungen und die Folgen der globalen Finanzkrise das Wachstum bremsen. Nach wie vor belasten hohe Schulden, niedrige Investitionen und schwache Banken einige der hochentwickelten Volkswirtschaften insbesondere in Europa, und viele Schwellenländer sehen sich nach dem auf die Krise folgenden Kredit- und Investitionsboom nun einem Anpassungsdruck ausgesetzt.“

Es wird also mit Sicherheit auch 2016 für die Reform-Politik keinen einfachen Parkspaziergang geben, so die Metapher von Alexis Tsipras. Ja, die Herausforderungen, vor denen die Welt 2016 steht, sind groß. Doch mit der richtigen Politik, Führung und Zusammenarbeit können wir sie bewältigen. Die entscheidende Frage ist allerdings: was ist die richtige Politik?

Die LINKE sollte sich stark machen für eine massive Aufstockung der UN-Hilfsprogramme für Flüchtlinge, denn diese leiden nach wie vor an chronischer Unterfinanzierung. Die Bundesregierung ist mit den Beschlüssen des „Flüchtlingsgipfels“ den Forderungen von Ländern und Kommunen nach finanzieller Entlastung bei der Versorgung von Flüchtlingen entgegen gekommen. Der Bund wird 2016 wesentliche Teile der Kosten für die Versorgung und Unterbringung der Kriegsflüchtlinge und AsylbewerberInnen übernehmen. Und dennoch: Die Finanzzusagen sind zwar „ein Schritt in die richtige Richtung“, aber nicht ausreichend!

Es ist falsch Strukturanpassungen der nationalen Ökonomien in der Euro-Zone einseitig durch eine in ökonomische Depression führende Lohnsenkungs- und Austeritätspolitik erzwingen zu wollen. Nicht die gemeinsame Währung ist der Angelpunkt für die Fehlentwicklung, sondern die unzureichenden Ausgleichungs- und Steuerungsprozesse, inklusive der Beschränkungen der europäischen Zentralbank.

Die Bauelemente einer Alternative vertritt die LNKE seit langem: Notwendig ist ein Mix von Wachstumsanreizen über öffentliche Investitionen und Sanierungsmaßnahmen für die öffentlichen Finanzen durch eine sozialgerechtere Steuerpolitik. Außerdem brauchen wir Strategien gegen Europas interne Ungleichgewichte und Deutschlands enormen Leistungsbilanzüberschuss.

Das Kernproblem einer hartnäckigen Depression in der EU und der wachsenden Ungleichgewichte ist die unzureichende gesellschaftliche Nachfrage. Die Unternehmen investieren nicht genug in neue Anlagen oder Ausrüstung und sie schaffen daher zu geringes Lohneinkommen oder überhaupt zu wenig Arbeitsplätze.

Es geht um Eingriffe in die Verteilungsverhältnisse – letztlich selektive Steuererhöhungen in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit. Denn Europa braucht Strukturreformen, aber eben nicht so wie es die Verfechter einer Konsolidierungspolitik fordern. Die Alternative zur Konsolidierung läuft darauf hinaus, über eine Erhöhung der Steuern für höhere Einkommen, Vermögenserträge und angesammelte große Vermögen öffentliche Güter und Dienste, die vom privatkapitalistischen Sektor nicht ausreichend bereitgestellt werden – Dinge wie Verbesserung sozialer Sicherheit, Bildung, Gesundheitsvorsorge und öffentliche Infrastrukturen – zu finanzieren. Es geht letztlich um eine steuerfinanzierte Ausgabenpolitik.

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