Nach dem Parteitag - eine neue Entwicklungsetappe

Von Axel Troost

14.06.2015 / 15.06.2015

Mit dem Parteitag der LINKEN wird ein neues Kapitel eröffnet. Zurecht hat der angekündigte Rückzug Gregor Gysis von der Position des Fraktionsvorsitzenden große mediale Aufmerksamkeit gefunden. Die schnelle Klärung der Nachfolge in der Fraktionsspitze mit Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch erspart der Partei und Fraktion eine langwierige Personaldebatte. Mit der neue Führung können Partei und Parlamentsfraktion einen verstärkten Anlauf für die Bewältigung der auch von Gregor Gysi benannten Aufgaben angehen.

DIE LINKE hat sich, im Gegensatz zu den übrigen europäischen Staaten, mit Ausnahme Griechenlands und Spaniens, im politischen Parteienspektrum bei 9 bis 10 Prozent konsolidiert. Das ist aber keine Garantie für einen weiteren Entwicklungspfad, wie die Zerfallsprozesse vormals starker linker Parteien und Bündnisse jenseits der Sozialdemokratie in Frankreich, Italien und anderswo zeigen. Dies gilt umso mehr als es auch in Deutschland einen schleichenden Erosionsprozess des politischen Systems gibt und die rückläufige Wahlbeteiligung einen Ausstieg vor allem der Unterschichten aus der politischen Willensbildung signalisiert. Zudem sehen wir ein Anwachsen des rechten und rechtspopulistischen Sektors, das im Wesentlichen auf eine Verunsicherung und Bewegung der unteren Mittelschichten zurück zu führen ist. Seit der großen Krise 2008 hat sich die Berliner Republik zur erklärten europäischen Hegemonialmacht gemausert und trägt erheblich dazu bei, dass ein möglicher Politikwechsel hierzulande und in ganz Europa auf noch größere Hindernisse trifft.

Trotz der verfestigten Hegemonie des Neoliberalismus könnten wir weiterkommen in der Zusammenarbeit innerhalb und außerhalb des Parlaments von SPD, Grünen, Linkspartei, Gewerkschaften sowie Sozial- und Umweltverbänden. Unsere strategische Option ist nicht Regierungsbeteiligung als Selbstzweck. Wir wollen ein breites Bündnis – letztlich mit dem Ziel eines Politikwechsels –, um den neoliberalen Zeitgeist zurückzudrängen und eine Phase der Regulierung und Steuerung der kapitalistischen Verhältnisse einzuleiten. In der Tat liegt das größte Hindernis für einen Politikwechsel nicht auf dem Terrain der Außen- und Sicherheitspolitik, sondern weit schwieriger stellt sich eine Verständigung auf dem Gebiet der Verteilungspolitik dar. Ohne Korrekturen in der Steuerpolitik und der Verteilung der Finanzmittel unter Bund, Ländern und Kommunen werden wir keine nachhaltigen Schneisen in den neoliberalen Wildwuchs schlagen können. Dafür müssen Debatten und entsprechende Initiativen organisiert werden. Die Zusammenarbeit muss sich entwickeln; die politischen Kräfte brauchen Anstöße aus Gewerkschaften und sozialen Bewegungen als soziale Reformtreiber. Die gegenwärtig dringenden Themen sind unstrittig

Der dramatische Investitionsstau

Insgesamt beträgt der von den Kommunen wahrgenommene Investitionsrückstand laut KfW-Kommunalpanel rund 132 Mrd. Euro. Unter dem über Jahrzehnte aufgewachsenen Investitionsstau leiden besonders die finanzschwächeren Städte und Kommunen. Vor diesem Hintergrund begrüßt der Deutsche Städtetag das Investitionspaket von 3,5 Mrd. Euro für finanzschwache Kommunen, was aber angesichts steigender Flüchtlingszahlen und der Gesamtsumme nur ein „Tropfen auf dem heißen Stein“ sein wird. Nahezu jede dritte Kommune schreibt rote Zahlen. Nach Angaben der KfW sind die Ausgaben der Kommunen in den vergangenen zwölf Jahren vor allem durch Personalkosten und soziale Transferleistungen stark gestiegen.

Der Investitionsstau ist nach den Ergebnissen der Umfrage sehr ungleich verteilt. So gibt es nach Angaben der befragten Kämmerer bei der Kinderbetreuung kaum noch Rückstände. Grund: Bund und Länder haben den Ausbau der Kinderkrippen mit speziellen Förderprogrammen massiv unterstützt. Doch gleichzeitig haben sich die Defizite in anderen Bereichen vergrößert. So verzeichnet jede vierte Kommune Rückstande bei Bau und Sanierung von Straßen und Brücken. Bei Schulen und Erwachsenenbildung sehen sich 24 Prozent in Verzug. Bei Sportstätten und Schwimmbädern hingegen liegt diese Quote bei lediglich acht Prozent. „Je weiter notwendige Sanierungen und Investitionen in die Zukunft verschoben werden, desto teurer wird es am Ende“, warnt die KfW.

Die Beseitigung der chronischen Unterfinanzierung von Kommunalhaushalten setzt eine grundlegende Gemeindefinanzreform voraus. Ohne diese verkommt kommunale Selbstverwaltung zu einem Instrument der Durchsetzung von sogenanntem alternativlosem Sozial- und Kulturabbau. DIE LINKE fordert aber ein Ende der vermeintlichen Sachzwang-Logik. Aus einer finanzpolitischen Vergeblichkeitsfalle führt das Ausspielen von berechtigten Interessen gegeneinander nicht hinaus. Zugleich stehen LINKE KommunalpolitikerInnen hier und heute in kommunaler Verantwortung, ohne sich den Problemlagen vor Ort nur mit Verweis auf dringend erforderliche politische Veränderungen im Bund und in den Ländern verweigern zu können.

LINKE Kommunalpolitik muss das Spannungsverhältnis zwischen berechtigten Erwartungen in den konkreten kommunalen Problemlagen und den durch eine falsche Politik auf anderen Ebenen hierfür eng gesteckten Grenzen aushalten. Das erfordert, vertretbare Prioritäten zu setzen, die Ursachen und Verantwortlichkeiten für begrenzte Handlungsspielräume klar zu benennen und mit Einwohnerinnen und Einwohnern und zivilgesellschaftlichen Initiativen einen intensiven und ehrlichen Dialog hierüber zu führen.

Der Umgang mit der steigenden Zahl von Flüchtlingen

Bisher stellt der Bund 2015 und 2016 jeweils 500 Millionen Euro bereit, um Länder und Kommunen bei der Aufnahme von AsylbewerberInnen zu entlasten. Zur Bewältigung der steigenden Flüchtlingszahlen stockt der Bund seine Hilfen für Länder und Kommunen auf und beteiligt sich ab 2016 dauerhaft an den Kosten. Die „pauschale Hilfe“ soll im laufenden Jahr auf eine Milliarde Euro verdoppelt werden. Ab 2016 werde sich der Bund „strukturell und dauerhaft an den gesamtstaatlichen Kosten“ beteiligen, „die im Zusammenhang mit der Zahl der schutzbedürftigen Asylbewerber und Flüchtlinge entstehen.“

Der scheidende Präsident des Städtetages Ulrich Maly (SPD) betont, es sei richtig, dass sich Bund und Länder verstärkt um die Menschen aus Europa kümmerten, die überwiegend vom Westbalkan kommen und kaum Aussicht hätten dauerhaft zu bleiben. Die Kommunen könnten sich auf die anderen konzentrieren, die vermutlich dauerhaft blieben. Die Integrationsarbeit würden die Kommunen tragen, aber sie benötigten Unterstützung von Bund und Ländern für den Bau von Wohnungen, Sprach- und Integrationskurse, die Gesundheitsversorgung, Kitas und Schulen sowie die Arbeitsvermittlung.

Die knappen Mittel der Kommunen verführen zu finanziellen Verrenkungen und Argumentationen, die vor allem zu Lasten der Menschen gehen, denen eine Lebensperspektive in den ökonomisch darniederliegenden Ländern des Balkan (Kosovo, Albanien, Mazedonien) fehlt. Ebenso trifft es die diskriminierte Minderheit der Sinti und Roma, die in allen Ländern Süd-Ost-Europas Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt sind. Die Zerstörung der Staaten im Nahen Osten wird die Zahl der Rettung suchenden Menschen auch hier noch steigern. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ging zuletzt davon aus, dass bis Jahresende mehr als 450.000 Asylanträge gestellt würden. Das wären doppelt so viele wie im vergangenen Jahr.

Es ist Maly aber zu zustimmen, wenn er eine erhöhte Integrationsleistung fordert. „Wir können das. Die deutschen Städte haben das unter Beweis gestellt mit Millionen von Gastarbeitern und Millionen Spätaussiedlern.“ Die Zahlen seien nicht das Problem. Doch müsse die Politik Ängste überwinden und „den Pegidas dieser Welt die Stirn bieten“, betonte Maly mit Blick auf die islamkritische Protestbewegung, die von Dresden ausgegangen ist.

Unter diesem Blickwinkel unterstütze ich die Argumentation des DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann, der auf dem Parteitag der LINKEN in Bielefeld angesichts „des sich gravierend veränderten Parteienspektrums in Deutschland“ dazu einlud, relevante gesellschaftspolitische „Themen gemeinsam (zu) diskutieren, lasst uns da, wo wir Kontroversen haben, diese offen miteinander austragen, immer im Interesse gute Lösungen, gute gemeinsame Politiken zu entwickeln (...). Es ist eine Illusion zu glauben, uns in Deutschland kann es auf Dauer gut gehen, wenn es anderen Menschen in anderen europäischen Mitgliedstaaten schlecht geht. Und wem es zurzeit besonders schlecht geht, sind die südeuropäischen Länder und Griechenland, weil sie einer Austeritätspolitik ausgesetzt sind, wo wir dringend einen Politikwechsel brauchen. Diese neoliberale Austeritätspolitik hat nicht zur Heilung geführt, sondern hat die Mitgliedstaaten im Süden geradezu in den Abgrund gedrängt…, was bedeutet, dass wir uns mit Politikalternativen auseinandersetzen müssen, wenn wir auch Antworten geben wollen auf den wachsenden Rechtsradikalismus, auf Fremdenfeindlichkeit.“

DIE LINKE machte einen großen Schritt nach vorn, wenn es Partei und Parlamentsfraktionen gelänge, diese Anregungen aufzunehmen und weiterzuentwickeln zu praktischen Vorschlägen. Ich stimme Gregor Gysi durchaus zu, wenn er fordert: „wir sollten diesbezüglich offensiver, fordernder werden und SPD und Grüne stärker unter Druck setzen. Mit Anbiederung hat das nichts zu tun, sondern mit dem Wunsch nach schnellen realen gesellschaftlichen Veränderungen. Veränderungen erreicht man auch in Opposition, aber eben nur deutlich schwieriger und langwieriger. Und wenn Sondierungen oder Koalitionsverhandlungen scheitern, dann darf dies nicht an uns liegen, sondern an SPD und bzw. oder den Grünen.“

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