"Patria o buitres" - Vaterland oder Geier

Von Otto König und Richard Detje

28.01.2015 / sozialismus.de, 27.01.2015

Die in Griechenland siegreiche Linke steht vor der Herausforderung, gegen eine humanitäre Katastrophe und wirtschaftliche Krise anzukämpfen, in einer Lage, in der sie massiv unter dem Druck der Regierungen des Euro-Finanzregimes und der internationalen Finanzmärkte steht. Die Lage ist einzigartig in Europa – aber nicht weltweit. Versuche der Befreiung aus abhängiger Verschuldung hat es immer wieder gegeben. Wir erinnern an die Entwicklung in Argentinien.

Es war der Finanzkonflikt des Jahres 2014 auf dem südamerikanischen Kontinent: Die »Geierfonds«, wie US-amerikanische Finanzspekulanten nicht nur in Lateinamerika genannt werden, versuchten Argentinien mithilfe der US-Gerichtsbarkeit in die Knie zu zwingen. Der Konflikt eskalierte im Juli vergangenen Jahres, als die New Yorker Ratingagentur Standard & Poor’s die um ihre nationale Souveränität kämpfende zweitgrößte Volkswirtschaft Südamerikas als »teilweise zahlungsunfähig« erklärte.

Die Hedgefonds NML Capital und Aurelius Capital Management, denen der Schweizer Soziologe Jean Ziegler ein »kriminelles« Vorgehen attestiert, weil sie Staaten als Geiseln nehmen, pokerten hoch. Jedoch mit dem Auslaufen der Rufo-Klausel (Rights Upon Future Offers) Anfang 2015 ist ihr Erpressungspotenzial zusammengeschrumpft. Argentinien hat in weiteren Verhandlungen die besseren Karten.[1]

Der südamerikanische Staat erklärte sich Ende 2001 nach dreieinhalb Jahren wirtschaftlicher Depression für zahlungsunfähig. Er konnte die Zinsen und Tilgungen für Staatsobligationen in Höhe von rund 100 Mrd. Dollar nicht mehr aufbringen konnte. Die Geierfonds witterten horrende Spekulationsgewinne und stürzten sich auf den vermeintlichen »Kadaver«.

Paul Singers NML Capital erwarb Staatsanleihen im Wert von 630 Mio. US-Dollar für den Ramschpreis von 48 Mio. US-Dollar. Die Strategie: gezielter Aufkauf der Anleihepapiere zu Ramschpreisen, um im Nachgang hohe Profite durch die Rückforderung des Nominalwertes zu erzielen. Bereits 1996 hatte der CEO des Hedgefonds des Elliott Management Corporation, Paul Singer, für 11,4 Mio. US-Dollar billig peruanische Staatsanleihen erworben und nachfolgend das Land vor US-Gerichten erfolgreich auf Bezahlung von 58 Mio. US-Dollar verklagt.

Der US-Amerikaner Kenneth B. Dart betrieb das gleiche Spiel vier Jahre früher gegen Brasilien und holte fast eine Milliarde aus dem Land heraus. Damit werden zahlungsunfähige Staaten unter Druck gesetzt, ein Neustart und eine nachhaltige Entwicklung verhindert, so der US-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, der derartige Strategien in seinem langjährigen Engagement bei der Weltbank hinreichend kennen gelernt hat. Seine Erfahrung: Hedgefonds sind keine langfristigen Investoren, sondern Spekulanten, die »Bomben auf das Finanzsystem werfen.« (Süddeutsche Zeitung vom 11.8.2014)

Nach zähen Verhandlungen erzielte die argentinische Staatsführung in den Jahren 2005 und 2010 eine Umschuldungsvereinbarung, in der knapp 93% der Gläubiger auf 65% ihrer Forderungen verzichteten. Sie bekamen »restrukturierte Bonds« (im Wert von etwa 35% der alten Obligationen) angeboten. Es war ein Musterbeispiel einer gelungenen Umschuldung. Das südamerikanische Land verschaffte sich mit dem radikalen Schuldenschnitt Luft. Mit einem von Venezuela gewährten 5-Milliarden-Dollar-Kredit konnten beim Internationalen Währungsfonds (IWF) vorzeitig die Schulden getilgt werden. Das Land befreite sich aus den Fesseln autoritärer Auflagen.

Die abgeschriebene Schuldensumme war hoch genug, um der argentinischen Volkswirtschaft die nötige Erholung zu ermöglichen. Nachdem das BIP nach 2005 zunächst um ein Viertel schrumpfte, kam es anschließend zu einem Aufschwung und nach drei Jahren wurde das Vorkrisenniveau wieder erreicht. Die Zahl der Armen ging bis 2011 um fast 75% gegenüber dem Tiefpunkt der Krise 2002 zurück. Die Ungleichheit konnte stark reduziert werden.

Le Monde diplomatique berichtete im Sommer 2014: »Die Unterstützung für Kinder aus armen Familien erreicht mittlerweile 3,5 Mio. Menschen, zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus wurden mehr als 400.000 Kredite vergeben und von dem Programm, das Jugendliche zum Abschluss der Sekundarschule führen soll, profitieren bereits 300 000 Schüler. 90% der Bevölkerung sind in das Rentensystem integriert – für Lateinamerika eine Rekordrate. Die Arbeitslosigkeit liegt auf dem historischen Tiefstand von 7%.« (11.7.2014)

7% der Gläubiger verweigerten sich dem ausgehandelten Schuldenkompromiss. Zu jenen, die mit ihren Forderungen die Übereinkunft gefährdeten, gehörten NML Capital und Aurelius Capital Management – beide Fonds klagten vor US-Gerichten auf Rückzahlung von 1,5 Mrd. Dollar, also den vollen Nennwert (plus aufgelaufener Zinsen) der von ihnen aufgekauften Ramsch-Obligationen.[2]

Hätte Argentinien die Forderungen der Hedgefonds bedient, wären möglicherweise weitere Forderungen in Höhe von über 100 Mrd. US-Dollar auf das Land zugekommen, was unweigerlich erneut einen Staatsbankrott nach sich gezogen hätte, da die Gläubiger, die sich an der Umschuldung beteiligt hatten, in diesem Fall ebenfalls bis 2015 neue Forderungen stellen konnten. Denn die in der damaligen Umschuldung vereinbarte und bis zum 1.1.2015 gültige RUFO-Klausel schrieb vor, dass Inhaber umgeschuldeter Anleihen nicht schlechter gestellt werden dürfen als Inhaber von nicht umgeschuldeten Anleihen.

Im November 2012 verschärfte der New Yorker Bezirksrichter Thomas Griesa die Situation. Die im Schuldenschnitt geminderten Anleihen dürften nicht bedient werden, bevor nicht die Forderungen der Hedgefonds erfüllt seien. Die US-Justiz sperrte die Raten, die Argentinien für die Besitzer umstrukturierter Schuldscheine termingemäß auf einem Konto der Bank New York Mellon (BNYM) hinterlegt hatte. »Es ist das erste Mal, dass ein Land willens und in der Lage war, seine Gläubiger zu bezahlen, jedoch von einem Richter daran gehindert wurde, das zu tun«, kommentierten Josef Stiglitz und Martin Guzman den Urteilsspruch, der auf Beifall der Wall Street stieß.[3]

Als im Frühsommer 2014 die Verhandlungen zwischen Argentinien und den Hedgefonds scheiterten, stufte die Rating-Agentur Standard & Poor das Land auf »teilweisen Zahlungsausfall« herab und verkündete die »technische Zahlungsunfähigkeit«. Begierig griffen die Medien die Nachricht auf und verbreiteten weltweit die Meldung, dass am Río de la Plata wie so oft das Geld ausgegangen sei, was jedoch nicht den Tatsachen entsprach.

Das argentinische Parlament verabschiedete daraufhin im September 2014 ein Gesetz, das den Zahlungsort der Auslandsschuld nach Buenos Aires verlegte, um über ein Treuhandkonto der staatlichen Bank Nación Fideicomiso in Buenos Aires oder Paris die am 30. September fällige Zahlung an »Altgläubiger« in Höhe von 200 Mio. US-Dollar zu ermöglichen (Amerika 21, 5.10.2014).

Entscheidend in dieser Auseinandersetzung war für Argentinien sowohl die Solidarität der lateinamerikanischen Länder als auch der wichtigsten Entwicklungsländer (G 77). Die Union südamerikanischer Staaten (UNASUR) kritisierte heftig das »Verhalten der Spekulanten, die Vereinbarungen zwischen Schuldnern und Gläubigern torpedieren und damit die finanzielle Stabilität auf internationaler Ebene« untergraben. Im September 2014 brachten die G 77- Länder gemeinsam mit China in die UN-Vollversammlung den Antrag ein, »ein neues Verfahren zur Umstrukturierung von Staatsschulden« zu beschließen.

Für diese Initiative stimmten 128 Länder, 16 dagegen – darunter die USA, Israel, Kanada, Australien, Großbritannien und Deutschland –, während sich 34, davon viele EU-Länder, der Stimme enthielten. Die UN wurde verpflichtet, ein rechtlich verbindliches Rahmenwerk für internationale Entschuldungsverfahren zu entwickeln, das Staaten ermöglichen soll, ihre Auslandschulden mit internationalen Gläubigern unabhängig von den Bedingungen des IWF zu verhandeln. Vorgesehen ist u.a., dass beim Bankrott eines Staates 66% der Gläubiger einer Lösung zustimmen müssen, die restlichen 33% hätten dann das Ergebnis zu akzeptieren.

Es waren gerade Länder des lateinamerikanischen Kontinents, deren Regierungen, getragen von starken Volksbewegungen, versuchen, der Bedrohung durch Hedgefonds die Stirn zu bieten und sich dem neoliberalen Diktat des IWF zu entledigen. Nicht nur die Abstimmung in der UN-Vollversammlung, sondern zuvor bereits die Ergebnisse des Gipfels der BRIC-Staaten, in denen fast die Hälfte der ganzen Erdbevölkerung lebt, in der brasilianischen Küstenstadt Fortaleza im Juli 2014 signalisieren eine selbstbewusstere und eigenständigere Haltung des globalen Südens. Statt finanzieller Auszehrung und Plünderung ihrer Länder machen sie den Staat mit Erfolg zum Motor der wirtschaftlichen Entwicklung.

Dieser Weg ist gerade in Ländern, deren Staatsapparat durch teilweise kriminelle klientelistische Interessen angefressen ist, extrem kompliziert. Die ganze Widersprüchlichkeit tritt in Argentinien zutage: auf der einen Seite erfolgreiche Programme gegen die humanitäre Katastrophe im vergangenen Jahrzehnt, auf der anderen Seite politische Intransparenz und mafiöse Praktiken. Die Demokratisierung des Staates erweist sich so als eine Bedingung für die soziale und ökonomische Erholung des Landes.

[1] Ralf Streck: »Staatspleite« Argentiniens demnächst beendet? Telepolis v. 3.1.2014.
[2] Vor dieser Attacke investierte NLM Millionen, um unter anderem die argentinische Fregatte LIBERTAD, das Flugzeug der Präsidentin TANGO 1 festsetzen zu lassen bzw. Bankkonten, wissenschaftliche Patente, chinesische Kredite und einen Satelliten zu krallen.
[3] www.project-syndicate.org, 30.7.2014.