Paukenschlag aus der Schweiz - Nationalbanker geben Euro-Wechselkurs frei

Von Joachim Bischoff

18.01.2015 / sozialismus.de, 16.01.2015

Die Schweizer Nationalbank (SNB) hat den seit mehr als drei Jahren geltenden Mindestkurs von 1,20 Franken pro Euro überraschend aufgegeben. Diese Entscheidung war für die Unternehmen und BürgerInnen in der Schweiz ein Schock. Die Schweizer Währung schoss in die Höhe, der Euro verlor erheblich an Wert.

Die Wertpapierbörsen erreichten ein neues Kursniveau und die SNB musste zum Tagesausgang einen erheblichen Verlust (aktuell 60 Mrd.) auf ihre in den letzten Jahren aufgehäuften Euro-Guthaben bilanzieren.

Dem Schock wird für die Schweiz im laufenden Jahr eine wirtschaftliche Rezession folgen. Denn mit dem höheren Franken-Kurs werden Ausfuhren in den Euro-Raum und die EU verteuert. Die Einnahmen aus dem Export in die Eurozone, dem wichtigsten Handelspartner, werden schlagartig um ein Fünftel gesenkt. Die binnenwirtschaftlich bedeutende Schwerpunkt-Branche Tourismus dürfte gleichfalls fühlbare Einbußen erleiden.

Die SNB hatte die Euro-Kursuntergrenze im September 2011 zum Schutz der exportorientierten Industrie des Landes auf 1, 20 Euro festgesetzt und ihn zeitweise mit Devisenkäufen in Milliardenhöhe verteidigt. SNB-Präsident Thomas Jordan hatte bis Anfang Januar 2015 den Mindestkurs als unverzichtbar bezeichnet. »Der Mindestkurs ist absolut zentral, um eben adäquate, richtige monetäre Bedingungen für die Schweiz aufrechtzuerhalten.«

Die Nationalbanker hatten den Mindestkurs vor mehr als drei Jahren im Zuge der Euro-Schuldenkrise eingeführt, um die heimische Exportwirtschaft zu entlasten. Die Furcht vor einem Auseinanderbrechen der Eurozone hatte damals zu massiven Zuflüssen in den gern als sicheren Hafen angesteuerten Franken geführt. Die Notenbank reagierte mit dem Kauf von Devisen in zuvor unerreichtem Ausmaß.

Der Mindestkurs ließ sich mit den gängigen Methoden nicht länger gegen die Kräfte auf den Finanzmärkten verteidigen. Der Euro rauscht seit Monaten gegenüber dem Dollar in den Keller. Der Kapitalzufluss in die Schweiz ließ sich auch mit den Negativzinsen nicht stoppen; d.h. Banken müssen für Einlagen bei der Schweizer Notenbank Strafzinsen zahlen, was aber zugleich den Kapitalfluss und die Investitionsbewegung in der Schweiz behindert.

Hintergrund ist neben dem reichlichen Angebot an grenzüberschreitendem Geldkapital auch die unterschiedliche Entwicklung der Geldpolitik im Euroraum und den USA. Während in den USA eine erste Zinserhöhung seit der Finanzkrise erwartet wird, steht für die Europäische Zentralbank Ende Januar eine breit angelegte Ausweitung von Anleihekäufen ins Haus, also eine weitere Lockerung der Geldpolitik.

Kehrseite dieser ungewöhnlichen Geld- und Kreditpolitik ist die Verstärkung der Abwertungstendenz des Euro. Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte seit Mai 2014 durch Leitzinssenkungen und Wertpapierkaufprogramme den Wechselkurs des Euro gegen den US-Dollar um gut 15% gedrückt. Die SNB konnte sich ausrechnen, dass sie mehr Euro ankaufen müsste, um das Mindestniveau des Umtauschkurses zu verteidigen. Die SNB war aber nicht mehr gewillt, der EZB Paroli zu bieten, um den Wechselkurs zu verteidigen. Die Eurokäufe würden zu teuer für die Schweizer Notenbank. Andere und schärfere Maßnahmen wie Einschränkungen im Kapitalverkehr kamen gegenwärtig nicht in Frage.

Die SNB kündigte ergänzend an, dass der Strafzins auf Einlagen von Banken bei der Zentralbank erhöht wird. Der Zins für Guthaben auf den Girokonten, die einen bestimmten Freibetrag übersteigen, wird um 0,5 Prozentpunkte auf minus 0,75% angehoben.

Die Ankündigung der Schweizer Nationalbanker hat die Märkte kalt erwischt. Der Euro-Franken-Kurs wird künftig allein den Marktkräften überlassen. Experten gehen davon aus, dass sich die Talfahrt des Euro in den nächsten Wochen noch einmal beschleunigen dürfte – vor allem, wenn die EZB, wie derzeit erwartet, eine Ausweitung ihrer ultralockeren Geldpolitik beschließen wird.

Schon seit Wochen gab es in der Schweiz Debatten darüber, dass die Zentralbank ihren Kurs nicht länger durchhalten könne. Die Währungsreserven sind auf 495 Mrd. Franken angewachsen, 45% davon werden in Euro gehalten. Das war ein großes »Klumpenrisiko« und die Notenbank muss aus dieser Anlage jetzt große Verluste abschreiben. Keine andere Notenbank weltweit musste – gemessen an der Wirtschaftskraft des eigenen Landes – in der Vergangenheit so viel Euro kaufen wie die SNB. Und es wären künftig noch deutlich mehr geworden – zu viel, fand die SNB und beschloss einen radikalen Kurswechsel.

Begründet wird dieser und die Zäsur mit den Unterschieden bei der geldpolitischen Ausrichtung der wichtigsten Währungsräume. Diese Unterschiede hätten sich in jüngerer Zeit markant verstärkt, wobei die SNB erwarte, dass sich die Unterschiede weiter verschärfen werden. Als Spiegel dieser ungleichen geldpolitischen und konjunkturellen Entwicklung erscheint dabei die Abschwächung des Euro (und somit bis vor kurzem auch des Frankens) gegenüber dem US-Dollar.

Die SNB hat entschieden, sich aus der Zwangsjacke des Euro-Mindestkurses zu befreien. Die Entscheidung ist plausibel, aber auch die weitere Entwicklung bleibt riskant. Es werden weitere Dämme brechen und der Druck zur Aufwertung des Schweizer Franken wird zunehmen.

In der Tat wird die Geldpolitik namentlich in den USA, wo sich die wirtschaftlichen Rahmendaten in den vergangenen Monaten stetig verbessert haben, sukzessive gestrafft. In der Euro-Zone hingegen, in der eine breite gesamtwirtschaftliche Erholung nicht erkennbar ist, werden die geldpolitischen Zügel zusehends gelockert. Mit dem Ausgang der Wahlen Ende Januar in Griechenland und Mitte des Jahres in Großbritannien wird weiterer Zündstoff aufgehäuft. Der Euro-Raum und die EU bergen unter dem Blickwinkel der Finanzmärkte weiterhin viel Unruhepotenzial.

Die Entscheidung der SNB ist zweifellos ein Schritt in Richtung einer »Normalisierung« der Geldpolitik der Notenbanken. Die Märkte haben sich zu sehr an das Handeln der Zentralbanken im Krisenmanagement seit 2008 gewöhnt. Dass jetzt die Zeit kommt, in der der Geldhahn etwas zugedreht wird – wir sehen das in den USA und jetzt in der Schweiz –, führt zu Verwerfungen an den Märkten. Die Finanzmärkte sind dieses Mal überrascht worden. Es ist aber noch nicht das Ende einer Entwicklungsetappe.