Soziale Ungleichheit zurückdrängen

Von Axel Troost

02.01.2015 / zukunftskongress2015.die-linke.de, 20.12.2014

Aus dem Sondervotum dreier Richter_innen zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts am 17.12.2014 zur Erbschaftsteuer:

„Wir stimmen der Entscheidung zu, sind aber der Ansicht, dass zu ihrer Begründung ein weiteres Element gehört: das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG. Es sichert die Entscheidung weiter ab und macht ihre Gerechtigkeitsdimension erst voll sichtbar. Die Erbschaftsteuer dient nicht nur der Erzielung von Steuereinnahmen, sondern ist zugleich ein Instrument des Sozialstaats, um zu verhindern, dass Reichtum in der Folge der Generationen in den Händen weniger kumuliert und allein aufgrund von Herkunft oder persönlicher Verbundenheit unverhältnismäßig anwächst. Dass hier auch in Blick auf die gesellschaftliche Wirklichkeit eine Herausforderung liegt, zeigt die Entwicklung der tatsächlichen Vermögensverteilung. Verwies schon Böckenförde in seinem Sondervotum zur Vermögensteuer für das Jahr 1993 darauf, dass 18,4 % der privaten Haushalte über 60 % des gesamten Nettogeldvermögens verfügten, lag dieser Anteil bereits im Jahr 2007 in den Händen von nur noch 10 %. Die Schaffung eines Ausgleichs sich sonst verfestigender Ungleichheiten liegt in der Verantwortung der Politik - nicht aber in ihrem Belieben. Wie der Senat schon für die Gleichheitsprüfung betont, belässt die Verfassung dem Gesetzgeber dabei einen weiten Spielraum. Aufgrund seiner Bindung an Art. 20 Abs. 1 GG ist er aber besonderen Rechtfertigungsanforderungen unterworfen, je mehr von dieser Belastung jene ausgenommen werden, die unter marktwirtschaftlichen Bedingungen leistungsfähiger sind als andere.“

Viele kapitalistische Hauptländer, zu denen auch die Bundesrepublik Deutschland gehört, sind nicht nur geprägt durch eine krasse Ungleichheit der Einkommen aus Kapitalvermögen zugunsten der obersten Ränge der Gesellschaften.

In einem Bericht der Organisation der Industrieländer OECD (zur OECD gehören 34 Länder, die in erster Linie Industriestaaten sind) heißt es: Die Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland ist heute größer als vor 30 Jahren. Verdienten die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung Mitte der 1980er Jahre fünf Mal so viel wie die ärmsten zehn Prozent, liegt das Verhältnis heute bei 7:1.

Die wachsende Ungleichheit in der Verteilung der Einkommen wird auch in Deutschland noch getoppt von der Ungleichheit in der Verteilung der Vermögen. So lag das geschätzte durchschnittliche Vermögen der privaten Haushalte nach einer Untersuchung der Bundesbank bezogen auf den Zeitpunkt Ende 2010 bei brutto 222.200 Euro. Abzüglich der Verschuldung – also netto – waren es 195.200 Euro.

Die drastisch angewachsene Ungleichheit bei den Primäreinkommen (Arbeits- und Erwerbseinkommen) hat zum einen viel mit der Herausbildung atypischer, prekärer Beschäftigungsverhältnisse und einem deutlichen Machtverlust der Gewerkschaften zu tun. Zu geringe Lohnsteigerungen oder sogar Lohnsenkungen und die Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen haben in Deutschland dazu geführt, dass die Lohnsumme hinter den Kapitaleinkommen zurückgeblieben ist. Die Lohnquote ist im langfristigen Verlauf deutlich gesunken.

Zum anderen ergibt sich die Ungleichheit – vor allem bei den Vermögen – aus der die Reichen begünstigenden Steuerpolitik: Abschaffung Vermögensteuer, Steuersenkungen für Unternehmen und Vermögensbesitzer, Erbschaftsteuer.

Jetzt warnt selbst die OECD: Die zunehmende Ungleichheit habe einen „merklich negativen Einfluss“ auf die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung. In Deutschland sei das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von 1990 bis 2010 um rund 26 Prozent gewachsen. Wäre die Ungleichheit bei den Einkommen in diesem Zeitraum gleich geblieben, hätten es demnach fast sechs Prozentpunkte mehr sein können. Die Auswirkung auf das Wachstum rührt laut OECD vor allem vom immer stärkeren „Auseinanderdriften der ärmsten 40 Prozent vom besser gestellten Rest der Bevölkerung“. Die Ärmeren investierten in der Regel weniger in Bildung – das beeinflusse die soziale Mobilität und die Ausbildung von Kompetenzen. OECD-Generalsekretär Angel Gurría schlussfolgert: „Unsere Analyse zeigt, dass wir nur auf starkes und dauerhaftes Wachstum zählen können, wenn wir der hohen und weiter wachsenden Ungleichheit etwas entgegensetzen… Der Kampf gegen Ungleichheit muss in das Zentrum der politischen Debatte rücken.“

Die LINKE plädiert entschieden dafür, den Kampf gegen die Ungleichheit in den Mittelpunkt des politischen Handelns zu rücken. Auch die OECD widerspricht dem Argument, dass soziale Ungleichheit eine unverzichtbare Begleiterscheinung einer „Leistungsgesellschaft“ wäre. Eine Umverteilung von oben nach unten mittels Steuern und Transfers dient nicht nur einer gerechteren Gesellschaftsordnung, sondern schafft die Bedingungen für eine ausgeglichene Entwicklung der Gesellschaften. Eine solche Verteilungspolitik müsse sich vor allem auf Familien mit Kindern sowie auf junge Menschen konzentrieren und deren Lernchancen verbessern.

Auch den weiteren Schlussfolgerungen der OECD-Untersuchung folgen wir gerne: Maßnahmen zur reinen Armutsbekämpfung reichen nicht aus. Vielmehr sei auch ein breiter Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen wie guter Bildung und Gesundheitsversorgung nötig. Die OECD fordert auch den Übergang zu nachhaltigen Rentensystemen. Geringes Wirtschaftswachstum sowie niedrige Zinssätze und Renditen verschärften den Druck, dem öffentliche und private Rentensysteme ausgesetzt seien. Die Anhebung des Eintrittsalters für den Rentenbezug und die Absenkung des Rentenniveaus sind keine sozial gerechten und auch keine wirtschaftlich vernünftige Lösungen.

Die LINKE setzt sich für die Zurückdrängung der sozialen Ungleichheit ein:

  • für auskömmliche Arbeitseinkommen (Gute Arbeit) und damit für die Abschaffung der Niedriglöhne und aller Formen prekärer Beschäftigungsverhältnisse.

  • Wir wollen das System der Grundsicherung reformieren. Wir sagen: Sanktionsfreie Mindestsicherung statt Hartz IV. 2013 wurden in Deutschland 40,8 Mrd. Euro für soziale Grundsicherungsleistungen ausgegeben. Aufgrund des riesigen Niedriglohnsektors zahlt der Staat aber allein rund zehn Mrd. Euro im Jahr für das sog. „Aufstocken“, weil viele prekär Beschäftigte von ihrem Lohn nicht leben können und zusätzlich Hartz-IV-Leistungen beantragen müssen. Dieses Problem wird auch ein Mindestlohn von 8,50 Euro mit vielen Ausnahmen nicht komplett beheben.

  • Gerade weil wir die Armut zurückdrängen wollen, treten wir ein für eine sozial gerechtere Steuerpolitik. Neben einer höheren Besteuerung für die oberen Einkommen ist uns eine Reform der Unternehmensbesteuerung wichtig und eine Wiedererhebung der Vermögensteuer sowie deutliche Korrekturen bei der Erbschaftsteuer.

Angesichts der wirtschaftlichen Stagnation und wachsenden Problemen mit der Konjunktur muss jeder Politikwechsel auch das Ziel der Bekämpfung der sozialen Ungleichheit im Brennpunkt haben. Daher trete ich für einen Politikmix ein, der grob folgende Punkte umfasst:

  • Die Wirtschaft und der Arbeitsmarkt sollten mit höheren Ausgaben für öffentliche Investitionen gestützt. Die Bundesregierung will die Schuldenbremse einhalten. Das verlangt aber keine „schwarze Null“’, sondern lässt Raum für eine jährliche Nettokreditaufnahme von mindestens zehn Mrd. Euro.

  • In Deutschland gibt es keine Kreditklemme; es wird von den Unternehmen zu viel gespart. Vor allem in stark regulierten Sektoren wie Bildung und Gesundheit sowie für öffentliche Infrastruktur sollte die Regierung einen Impuls auslösen, der dann private Investitionen nachzieht. Für eine solche Politik gibt es unter den Bedingungen von niedrigen Zinsen fiskalische Spielräume. Es ist umstritten, aber auch ich bin als Einstieg in eine Periode des Politikwechsels für eine Begünstigung von privaten Investitionen, soweit diese wirklich den gesellschaftlichen Produktionsapparat verbessern und erweitern.

  • Die Finanzpolitik solle die gute Kassenlage nutzen und die Weichen für ein zukünftig höheres Potenzialwachstum stellen. Mit einem solchen Investitionsfonds für Deutschland und die Euro-Zone könnten wir das Wachstumspotenzial mittelfristig von einem auf 1,6 Prozent erhöhen.

  • Vor allem – aber nicht nur – in Krisenländern gibt es Unternehmen, die produktive Investitionen nicht realisieren können, weil sie nicht an Geld kommen. Für Abhilfe sorgen könnte ein europäischer Investitionsfonds vor allem für kleinere und mittlere Unternehmen.

  • Die krisenverschärfende Kürzungspolitik muss beendet werden. Einen sofortigen Stopp der Lohn-, Renten- und Sozialkürzungen sowie der Massenentlassungen ist dringend nötig. Die von Deutschland ausgehenden außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte sind wesentliche Faktoren der Krise. Ohne ihre Überwindung können die Probleme der europäischen Wirtschaft nicht grundlegend gelöst werden. Zentrale Richtschnur muss die Stärkung der Binnenwirtschaft in Deutschland sein. Dies beinhaltet vor allem deutlich höhere Lohnsteigerungen und öffentliche Investitionen.

Mit dem Festhalten an der Schuldenbremse bei gleichzeitigem Verzicht auf eine umfassende Steuerreform in Richtung auf sozial gerechtere Verteilungsverhältnisse kann es keine zukunftsorientierte Politik in Deutschland und Europa geben.

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Dieser Text ist Teil einer ersten Diskussionsgrundlage für den Zukunftskongress der Partei DIE LINKE im April 2015. Mehr Informationen zum Kongress finden Sie auf www.zukunftskongress2015.die-linke.de