10 Jahre Hartz IV – Die Weihnachtskarte, ein dickes Danke und eine Warenkorb-Studie zu den Regelsätzen

Von Jens Berger

23.12.2014 / aus: NachDenkSeiten, 23.12.2014

Unlängst versandte die Bundesagentur für Arbeit an Parteien, Fraktionen und Abgeordnete eine Weihnachtskarte mit der Aufschrift „10 Jahre Hartz IV“. Darauf zu lesen waren die Lorbeeren, die Sahnestückchen, ja das Fruchtfleisch, aus dem Hartz IV aus der Sicht seiner Macher zu bestehen scheint.

„10 Jahre Hartz IV- 12.000.000 mal haben Menschen einen Arbeitsplatz gefunden – 200.000.000 mal wurde mit Menschen über ihre Zukunft gesprochen – 1.200.000 Menschen sind weniger in der Grundsicherung …“

… dafür beziehen 4.394.451 Menschen Arbeitslosengeld II und müssen ein Leben am oder gar unter dem Existenzminimum führen. Weiß Gott keine frohe Botschaft zum Weihnachtsfest. Von Jens Berger.

Und wo wir schon bei Weihnachten sind – die obersten Politiker haben von der Bundesarbeitsagentur eine schicke Hochglanzkarte mit PR-Slogans bekommen. Was aber haben Hartz-IV-Empfänger von der Bundesagentur zu Weihnachten bekommen? Für Geschenke darf der Hartz-IV-Empfänger gern selbst sparen. Da reicht es nicht einmal für eine Weihnachtskarte an die Lieben. Ein Weihnachtsessen? Fehlanzeige! Über den Weihnachtsgeschenken von Oma und Opa schwebt immer das Damoklesschwert des Sachbearbeiters, der subjektiv entscheiden darf, ob das Geschenk „angemessen“ ist oder nicht. Frohes Fest!

Dabei werden Jahr für Jahr seit dem Bestehen der Krake Hartz IV die Regelsätze kritisiert, beklagt, angezeigt, analysiert und (fast) alle sind sich einig: Sie sind zu niedrig bemessen. Wie kommt man überhaupt auf 391 Euro monatlichen Regelsatz, wie ermittelt man denn, wie viel Joghurt so ein Armer monatlich essen und was der kosten darf? Woher wissen denn Politiker, wo Armut anfängt, wo sie aufhört und ob man mit ihr leben kann?

Damit beschäftigen sich nur wenige Entscheider in Deutschland. Das Existenzminimum, so scheint’s, wird eher geschätzt, als überprüft. Das Statistische Bundesamt, welches die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) in einem Turnus von fünf Jahren durchführen lässt, gibt vor, dass sie aufgrund der Größe der Zielgruppe und der in ihr enthaltenen sozialen Zielgruppen verlässlich sei. In die Berechnung der Regelsätze fließen jedoch nur Ausgaben der ärmsten 15 Prozent der Bevölkerung ein. Dabei wird geflissentlich ignoriert, dass die Regelsätze auch eine Sogwirkung für die unteren Einkommen haben. Man begeht also einen klassischen Zirkelschluss. Aber selbst wenn man dies einmal außen vor lässt – ist es seriös, wenn Arme, die sich kein warmes Mittagessen mehr leisten können, deshalb zur Tafel gehen und aus diesem Grund keine statistisch verzeichneten Ausgaben für (Mittag-)essen haben, nun zur Referenz für andere Arme gemacht werden? Können die statistisch belegten Bekleidungsausgaben eines Armen, der kein Geld für eine dringend benötigte, neue Jacke hat, der Maßstab für andere Arme sein? Bilden die Friseurausgaben eines glatzköpfigen Armen den oberen Grenzwert für diejenigen mit üppiger Haarpracht?

Seit 2010 gibt es in Deutschland eine kontinuierlich durchgeführte Studie unter dem Titel „Was der Mensch braucht“ von dem Leipziger Armuts- und Sozialforscher Lutz Hausstein, die sich der bedarfsdeckenden Ermittlung des Existenzminimums widmet. Hausstein erfasst mit einer unabhängigen Studie die Kosten einer einfachen Lebenshaltung und Haushaltsführung privater Haushalte. Er kann damit die Defizite zwischen den seit Jahren deutlich unzureichenden Regelsätzen und dem wirklichen Bedarf der Betroffenen nachweisen. Seine Untersuchung kommt daher also nicht zufällig darauf, dass ausnahmslos alle von der Politik bisher angebotenen Hartz-IV-Regelsätze nicht dem tatsächlichen Bedarf entsprechen.

Die neue Bedarfsstudie „Was der Mensch braucht“, mit aktuellen Preisen eines angepassten Warenkorbs, erscheint zu Beginn des Jahres 2015. Da Haustein wirklich unabhängig arbeitet und daher auch keine Stiftung oder gar Partei sich bereit erklärt, diese Studie zu finanzieren, greift er auf die in anderen Bereichen bereits etablierte Methode des „Crowd Funding“ zurück – viele kleine Spender sollen nun als Sponsoren die Studie finanzieren.

Ich persönlich habe die Studie unterstützt, da ich als Autor der NachDenkSeiten endlich einmal verlässliche Daten über die tatsächlich anfallenden Lebenshaltungskosten an die Hand bekommen will, um stichhaltig gegen die momentan vorgenommene willkürliche Erhebung im Auftrag der Bundesregierung zu argumentieren. Es kann doch nicht sein, dass wir uns bei einer derart elementaren Frage, wie der Definition des Existenzminimums auf statistische Spielereien ohne wissenschaftlichen Anspruch verlassen müssen. Auch Sie können Lutz Haussteins Studie „Was der Mensch braucht“ unter diesem Link finanziell unterstützen. Jede Unterstützung wird mit einem Dankeschön des Autors belohnt. Aber jeder, der unterstützt, belohnt sich in erster Linie damit auch selbst, weil es jeden Menschen, der heute noch Arbeit und ein Auskommen hat, potenziell betreffen kann. Die bislang falsche Form der Festlegung von Bedarfen muss gestoppt und schnellstens durch eine tragfähige und verantwortungsvolle Alternative ersetzt werden.