Fragiles Wachstum und erhebliche Deflationsgefahr in Europa - "Juncker-Plan" zu echter Investitionsinitiative ausbauen

Pressemitteilungen des IMK

22.12.2014 / Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), 11.12.2014

Die Wirtschaft im Euroraum wird 2014 nach zwei Rezessionsjahren erstmals wieder wachsen: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) steigt um 0,8 Prozent. 2015 dürfte sich dieses Wachstum auf 1,3 Prozent etwas beschleunigen. Damit ist die Wirtschaftskrise aber keineswegs überwunden. Schwaches Wachstum, hohe Arbeitslosigkeit und zunehmende Ungleichheit und Armut werden die wirtschaftliche, soziale und politische Situation in vielen EU- und Euro-Ländern weiterhin belasten. Die extrem niedrige Inflation behindert die Entschuldung der privaten und staatlichen Haushalte. Die Initiative des neuen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker für mehr Investitionen weist zwar in die richtige Richtung. Mangels ausreichender finanzieller Unterfütterung wird der „Juncker-Plan“ aber kaum nennenswerte Impulse setzen, um die wirtschaftliche Entwicklung voranzubringen. Zu diesem Ergebnis kommen das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung, das Observatoire Francais des Conjonctures Economiques (OFCE, Paris) und der Economic Council of the Labour Movement (ECLM, Kopenhagen) in einer neuen Studie.

Die harte Sparpolitik, die die Nachfrage und die Konjunktur in Europa schwer geschädigt habe, sei im Laufe des Jahres 2014 zwar etwas gelockert worden, und das werde sich 2015 fortsetzen. Eine durchgreifende „Erholung ist aber bislang ausgeblieben und die Länder des Euroraums sind immer noch von einer Deflation bedroht“, schreiben die Forscher in ihrer „Independent Annual Growth Survey“. Die Untersuchung im Auftrag der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament wird heute in Brüssel der Kommission und dem Europäischen Parlament vorgestellt. Die EU-Kommission hatte Ende November ihre „Annual Growth Survey“ veröffentlicht und darin unter anderem mehr Investitionen in Europa in Aussicht gestellt. Die vorgesehenen Anreize reichten aber längst nicht, analysieren die Experten von IMK, OFCE und ECLM.

Nach den Berechnungen der drei Institute wird das BIP 2014 und 2015 in den Krisenländern Südeuropas und in Irland wieder wachsen. Insgesamt verläuft die wirtschaftliche Entwicklung aber nach wie vor schleppend. In Italien und Finnland schrumpft die Wirtschaftsleistung in diesem Jahr sogar noch (um -0,2 und -0,1 Prozent). Auch Frankreich und die Niederlande weisen nur ein geringes Wachstum auf. Für die gesamte Europäische Union erwarten die Institute mit 1,3 Prozent in diesem Jahr ein stärkeres Wachstum als im Euroraum. In vielen Staaten falle die Aufwärtsentwicklung aber zu schwach aus, um die Situation auf dem Arbeitsmarkt spürbar zu bessern.

IMK, OFCE und ECLM sehen in der geänderten Prioritätensetzung des neuen EU-Kommissionspräsidenten eine Chance – die aber von der Kommission selber und den europäischen Regierungen bislang nicht genutzt werde. Indem er endlich die Notwendigkeit von zusätzlichen Investitionen anerkenne, schlage der „Juncker Plan eine Bresche“ in die Austeritätspolitik. Er ist nach Analyse der Forscher aber viel zu gering dimensioniert und enthält kaum „frisches Geld“, sondern im Wesentlichen umgewidmete Mittel. Zudem sei die im „Juncker-Plan“ geäußerte Erwartung, mit bescheidenen staatlichen Mitteln von 21 Milliarden Euro für drei Jahre durch hohe Hebelwirkungen (1:15) Investitionen von mehr als 300 Milliarden Euro anzuschieben „im wesentlichen Wunschdenken“.

Eine noch expansivere Geldpolitik sei notwendig, betonen die Forscher, aber der von der EZB in Aussicht gestellte Aufkauf von Staatsanleihen keine Wunderwaffe, und er berge auch einige Risiken. Gleichzeitig müssten die Spielräume in den fiskalischen Regeln maximal ausgenutzt werden, um öffentliche Investitionen finanzieren zu können. Den Anpassungsprozess in den Krisenländern müssten Überschussländer wie Deutschland durch eine kräftigere Lohn- und Preisdynamik unterstützen. Auch weitergehende Maßnahmen seien in Erwägung zu ziehen. So könnten öffentliche Investitionen in den Mitgliedsstaaten auch durch die Ausgabe von Anleihen der Europäischen Investitionsbank (EIB) zu niedrigen Zinsen finanziert werden. Kaufe die EZB im Rahmen ihrer Politik der quantitativen Lockerung solche EIB-Bonds auf den Sekundärmärkten, könnten die Mitgliedsstaaten in notwendige Projekte, die das zukünftige Wachstumspotenzial erhöhen, investieren, ohne, dass die Staatshaushalte für eine Übergangszeit belastet würden.

Weitere Informationen:

OFCE, ECLM, IMK: Independent Annual Growth Survey (pdf). Third Report. December 2014.