"Länder und Kommuen brauchen mehr Geld für bessere Bildung"

Interview mit Nicole Gohlke und Rosemarie Hein

21.10.2014 / linksfraktion.de, 13.10.2014

Die BAföG-Novelle der Bundesregierung liegt vor, letzten Donnerstag haben Sie darüber im Bundestag debattiert. Kommt jetzt endlich, worauf so viele Studierende so lange gewartet haben?

Nicole Gohlke:Leider nicht. Tausende Studierende warten jetzt nochmals zwei Jahre, bis die BAföG-Erhöhung dann endlich mal wirksam wird. Sie warten auf eine angemessene BAföG- Erhöhung, darauf, endlich BAföG beziehen zu können oder nicht aus der Förderung rauszufallen. Die Bundesregierung lässt diese Studierenden alle im Regen stehen. Anstatt das BAföG ordentlich zu erhöhen, feilt die Regierung an einem Deal aus BAföG-Novellierung und einer Neuregelung des Kooperationsverbotes – und löst am Ende keines der beiden Probleme, in keinem einzigen Bildungsbereich.

An der Notlage vieler Studierender wird sich also nichts ändern?

Nicole Gohlke: Vorerst nicht. Auf ihre BAföG-Erhöhung müssen sie warten und auch insgesamt stielt sich der Bund aus der Verantwortung für die Hochschulen. Durch den Quatsch mit dem Kooperationsverbot darf der Bund bei der Finanzierung der Bildung nicht mithelfen. Durch die Förderalismusreform II wurde der Wettbewerb zusätzlich verschärft und durch die Schuldenbremse den Ländern die Luft zum Atmen völlig genommen. Die Folgen sind für die Studierenden, aber auch für das Lehrpersonal eine Katastrophe: Fächer und Institute werden gestrichen, die Gebäude verfallen immer mehr, Wohnheimmieten erhöht. Verdient hätten die Studierenden eine sofortige BAföG Erhöhung, aber auch die komplette Abschaffung des Kooperationsverbotes, damit der Bund endlich wieder in die Hochschulen investieren kann.

Ihre Fraktion hat bereits in der vergangenen Wahlperiode die schwierige Lage Studierender auf dem Wohnungsmarkt in den Blick genommen. In dieser Woche steht dazu ein Antrag der LINKEN auf der Tagesordnung. Worum geht es?

Nicole Gohlke:In zahlreichen Studierendenstädten ist die Lage auf dem Wohnungsmarkt äußerst angespannt, weil der Ausbau von Wohnheimen nicht Schritt hält mit der wachsenden Zahl an Studierenden. Wer keinen Wohnheimplatz bekommt, ist dem Wohnungsmarkt ausgeliefert, worunter insbesondere einkommensschwache und ausländische Studierende sowie StudienanfängerInnen leiden. In unserem Antrag fordern wir deshalb unter anderem eine „Wohnheimoffensive für Studierende“, die Einführung einer wirklichen Mietpreisbremse und im Wege einer BAföG- Novelle die Erhöhung der Wohnpauschale.

Rosemarie Hein, Sie sprachen in Ihrer Rede von Lücken, die die BAföG-Novelle mal wieder nicht ausfülle. Wer geht denn leer aus?

Rosemarie Hein: Vor allem Schülerinnen und Schüler, die noch bei den Eltern wohnen. Für weiterführende Schulen kann man ab Klasse 10 nur BAföG beantragen, wenn man nicht mehr bei den Eltern wohnt und die Schule in nicht zumutbarer Entfernung liegt. Das ist bei den meisten weiterführenden Schulen wie Gymnasien und Berufsfachschulen aber der Fall, denn sie gehören zum Regelschulangebot und müssen im erforderlichen Maße vorgehalten werden. Wer also bei den Eltern wohnt und das Abi machen möchte, der muss den Umweg über eine Berufsausbildung gehen und kann erst später die Hochschulzugangsberechtigung erreichen, wenn die Familien sich den weiteren Besuch einer allgemeinbildenden Schule nicht leisten können. Man hat auch nicht bedacht, dass Erzieherinnen und Erzieher zwei Berufsabschlüsse brauchen, um in ihrem Beruf arbeiten zu können. Der zweite wird dann gezählt, als sei er schon ein Studium. Und fürs Studium gibt´s dann nicht noch mal BAföG.

Nicole Gohlke, Sie kritisierten in Ihrer Rede unter anderem, dass Sie die Politik der Bundesregierung unerträglich finden, weil sie die Menschen vor die Entscheidung stellt, ob die Bildung 3-Jähriger oder die 19-Jähriger wichtiger ist. Was hat das eine mit dem anderen zu tun?

Nicole Gohlke:Die Länder sollen jetzt durch die Übernahme der BAföG-Kosten durch den Bund mehr Mittel zur Verfügung haben und sie in die Hochschulen stecken. Doch die Länder setzen die Gelder gar nicht so ein, wie von der Regierung geplant. In fast allen Bundesländern liegen die Beträge, die jetzt zusätzlich in die Bildung gehen, niedriger als es von der Bundesregierung angekündigt wurde. In manchen Ländern werden sie zur Haushaltssanierung und in anderen in die übrigen Bildungsbereiche investiert. Es ist eine unsägliche Debatte, in der sich Bundespolitiker mit Landespolitikern darüber streiten, was nun wichtiger ist und wohin das Geld gehen soll: in die frühkindliche Bildung, in die Kitas oder zu den Studierenden in die Unis, in gute Schulen oder in gute Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft? So ein Ausspielen gegeneinander ist unerträglich.

Weshalb kommt es zu diesem Ausspielen? Immerhin übernimmt der Bund ja die BAföG-Finanzierung zu 100 Prozent.

Rosemarie Hein: Naja, natürlich brauchen die Länder das Geld für bessere Bildung, aber es ist eben ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir brauchen in Ländern und Kommunen mehr Geld für alle Bildungsbereiche. Schon die notwendige Sanierung der Schulen würde viele Milliarden verschlingen. Außerdem stehen wichtige Bildungsaufgaben an wie die Umsetzung von Inklusion. Das ist eine internationale Verpflichtung, und die Bundesregierung leistet dazu bisher so gut wie nichts.

Warum reichen aus Ihrer Sicht die Zugeständnisse an die Länder bei der Bildungsfinanzierung nicht aus?

Rosemarie Hein:Gute Bildung gibt’s nicht für warme Worte. Die Länder sind, auch dank der Schuldenbremse, inzwischen so klamm, dass sie nicht im erforderlichen Maße in Bildung investieren können. Gleichzeitig reibt uns jeder neu erscheinende Bildungsbericht unter die Nase, dass die Abhängigkeit des Bildungserfolges von der sozialen Situation der Familien erheblich ist. Doch schulische Bildung ist immer noch allein Ländersache. Der Bund darf gar nicht mitfinanzieren, wenn Schulen saniert werden müssen, neue Lehr- und Lernmittel gebraucht werden, wenn Schulsozialarbeit an Schulen angeboten, Ganztagsbetreuung ausgebaut werden soll und so fort. Und darum werden Umwege gefunden, die aber weder flächendeckend helfen noch nachhaltig wirken. Das Übel wird nicht bei der Wurzel gepackt. Ich verstehe nicht, warum sich die Länder in dieser Weise sperren.

Ihre Fraktion hat einen Antrag zu Sozialarbeit an Schulen eingebracht – auch wieder etwas, das von Bundesland zu Bundesland verschieden gehandhabt wird. Was wünschen Sie sich und weshalb ist Ihnen dieses Thema so wichtig?

Die Lebensumstände in der Gesellschaft haben sich in den letzten Jahrzehnten nachhaltig geändert und die Erwartungen an gute Schule auch. Doch statt die Schule auf diese Aufgaben vorzubereiten und Bildungsarbeit neu zu durchdenken, wurden die Mittel verknappt und den Lehrenden immer neue Aufgaben übergeholfen. Lehren und Lernen ist komplizierter geworden. Dort, wo Schulsozialarbeit für Lernende ebenso wie für Lehrende und Eltern bereit steht, können viele Probleme im Vorfeld oder begleitend angepackt werden. Schulsozialarbeit ist auch eine Unterstützung für einen besseren Unterricht. Sie hat sich in den letzten Jahren als eine besondere Form der Jugendhilfe entwickelt. Was bisher nur in sozialen Schwerpunkten und in Notsituationen zum Einsatz kam, soll künftig schrittweise für alle zur Verfügung stehen. In allen Schulen und allen Schulformen. Darum wollen wir es im Kinder- und Jugendhilferecht als eigenständige Aufgabe verankern. Das kann Schule dauerhaft besser machen.