Trübe Aussichten - vor allem für prekär Beschäftigte

Von Bernhard Müller

04.10.2014 / sozialismus.de, 01.10.2014

Die Beschäftigungsentwicklung ist vor dem Hintergrund der konjunkturellen Entwicklung zu sehen: Die Fahrt der europäischen Konjunkturlokomotive Deutschland hat sich deutlich verlangsamt. Nachdem zu Beginn der Jahres noch von »prächtigen Aussichten« mit einem BIP-Wachstum von um die 2% die Rede war, haben die OECD und die Wirtschaftsforschungsinstitute RWI und IWH ihre Wachstumsprognosen für Deutschland bereits auf 1,5% gesenkt.

In dieselbe Richtung dürfte es in Kürze bei der Herbstdiagnose deutscher Institute gehen. Dazu passt, dass die im Ifo-Geschäftsklimaindex befragten Manager sich so pessimistisch zeigten wie zuletzt vor fast anderthalb Jahren, das wichtigste deutsche Konjunkturbarometer fiel zum fünften Mal in Folge. Auch die Stimmung unter den Verbrauchern hat sich eingetrübt. Der GfK-Konsumklimaindex sank am Freitag zum zweiten Mal in Folge auf den niedrigsten Stand seit Februar.

Zwischen April und Juni war die deutsche Wirtschaftsleistung um 0,2% geschrumpft. Schwache Exporte und Investitionen konnten nicht durch die stabile Entwicklung des Konsums kompensiert werden. Zunehmend deutlich wurde der Einfluss der außenwirtschaftlichen Unsicherheit, etwa infolge der Konflikte in Nahost und in der Ukraine.

Auch für das dritte Quartal sind die Signale eher verhalten. Falls nun erneute ein Minus vor dem Komma steht, würde Deutschland sogar offiziell in die Rezession rutschen – die ist definiert als zwei Quartale mit schrumpfender Wirtschaftsleistung in Folge.

Die Rückwirkungen der internationalen Krisen, vor allem des Ukraine-Konflikts mitsamt der Sanktionspolitik gegenüber Russland auf die deutsche Wirtschaft treten immer deutlicher zutage. Das größte Problem aber bleibt die Schwäche der europäischen Nachbarn.

Vor allem das Nullwachstum in Frankreich und die rezessiven Tendenzen in Italien bieten wenig Grund zur Hoffnung: Das Geschäftsklima in Italien fiel im September auf den niedrigsten Stand seit einem Jahr. Und in Frankreich verharrt die Verbraucherstimmung auf einem Tief von 86 Punkten. Die Franzosen sorgt laut Umfragen vor allem ein Rekordhoch bei den Arbeitslosenzahlen.

All dies bleibt logischerweise, wenn auch zeitverzögert, nicht ohne Rückwirkungen auf den deutschen Arbeitsmarkt. Die süddeutsche Zeitung notiert am 30.9.2014: »Russland-Sanktionen, Ukraine-Krise, Stagnation in der Euro-Zone: Die unfreundliche internationale Lage scheint inzwischen auch auf die deutsche Wirtschaft und den Arbeitsmarkt durchzuschlagen, wenn auch bisher nur schwach. So sank die Zahl der Arbeitslosen im September im Zuge der üblichen Herbstbelebung zwar – allerdings weniger als erhofft.«

So suchten im September deutschlandweit 2,808 Mio. Menschen einen neuen Job und damit 94.000 weniger als im August. Im Vorjahresvergleich ging die Arbeitslosenzahl um 41.000 zurück. Die Arbeitslosenquote sank im September im Vergleich zum Vormonat um 0,2 Punkte auf 6,5%. Saisonbereinigt blieb die Quote unverändert. Die Zahl der Arbeitslosen stieg saisonbereinigt leicht an, im Vergleich zum Vormonat um 12.000.

Die »Unterbeschäftigung«, die auch Personen in entlastenden arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und in kurzfristiger Arbeitsunfähigkeit mitzählt, hat sich saisonbereinigt nicht verändert. Insgesamt belief sich die Unterbeschäftigung im September 2014 auf 3.691.000 Personen. Das waren 102.000 weniger als vor einem Jahr.

Erwerbstätigkeit und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung sind saisonbereinigt weiter gewachsen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes ist die Zahl der Erwerbstätigen (nach dem Inlandskonzept) im August saisonbereinigt gegenüber dem Vormonat um 26.000 gestiegen. Mit 42,82 Mio. Personen fällt sie im Vergleich zum Vorjahr um 355.000 höher aus. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung hat nach der Hochrechnung der Bundesagentur für Arbeit von Juni auf Juli saisonbereinigt um 30.000 zugenommen. Mit 30,12 Mio. Personen liegt die Beschäftigung gegenüber dem Vorjahr um 528.000 im Plus.

Mit der deutlich abgeflauten Dynamik am Arbeitsmarkt treten auch die strukturellen Probleme am Arbeitsmarkt wieder deutlich zutage. So ist die Zahl der Langzeitarbeitslosen selbst unter den relativ guten Rahmenbedingungen der letzten Jahre (vor allem im Hartz IV-System) hoch geblieben und steigt jetzt wieder an. Das hat auch damit zu tun, dass die schwarz-rote Bundesregierung an der noch von Schwarz-Gelb eingeleiteten rigiden Sparpolitik bei der Arbeitsmarktpolitik festhält. Die Konsequenz: Im September 2014 haben nach vorläufigen Daten 783.000 Personen an einer von Bund oder der Bundesagentur für Arbeit geförderten arbeitsmarktpolitischen Maßnahme teilgenommen. Das waren 6% weniger als vor einem Jahr.

Auf ein anderes viel gewichtigeres Strukturproblem des bundesdeutschen Arbeitsmarktes weist das gewerkschaftsnahe WSI hin. Es geht um die in Deutschland immer weiter ausufernde Prekarisierung der Lohnarbeit, von der inzwischen deutlich über 40% aller Lohnarbeitsverhältnisse betroffen sind.

So verbirgt sich nach den Berechnungen des WSI hinter den Positivmeldungen über die immer noch zunehmende Erwerbstätigkeit und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung eine weitere Zunahme atypischer Beschäftigung. Deutschlandweit waren danach im Jahr 2013 43,3% aller abhängigen Beschäftigungsverhältnisse Minijobs, Teilzeitstellen oder Leiharbeit. In manchen westdeutschen Städten und Landkreisen haben Teilzeitstellen, Minijobs und Leiharbeit sogar einen Anteil von knapp 60% an allen abhängigen Beschäftigungsverhältnissen (ohne Beamte und Selbständige).

»Eigentlich«, so WSI-Experte Dr. Toralf Pusch, »wäre angesichts der vergleichsweise guten Arbeitsmarktentwicklung in den letzten Jahren ein verringerter Druck zur Aufnahme solcher Beschäftigungsformen zu erwarten gewesen, soweit diese nicht den Wünschen der Beschäftigten entsprechen.«

Stattdessen zeigen die Berechnungen des WSI, dass die Leiharbeit mit einem Anteil von 2% der sozialversicherungspflichtigen und geringfügigen Beschäftigung annähernd auf dem Stand des Vorkrisenjahrs 2007 verharrt. Der Anteil der Minijobs hat im Vergleich zu 2007 sogar leicht zugelegt – um 0,6 auf 21,1% der abhängigen Beschäftigungsverhältnisse.

Dazu dürften vor allem Neben-Minijobs beigetragen haben, deren Zahl seit 2007 um über 650.000 zugenommen hat, erläutert Pusch. Bei der Teilzeit erschwert eine Umstellung der Meldestatistik der BA im Jahr 2012 einen Vergleich. Die Statistik für die Jahre 2007 bis 2011 zeigt hier ebenfalls ein Anwachsen. Nach Einführung des neuen Meldeverfahrens betrug die Teilzeitquote im vergangenen Jahr 20,2%. Wie auch Minijobs würden Teilzeitbeschäftigungen vor allem von Frauen ausgeübt, konstatiert der WSI-Forscher.

Unter dem Strich verteilt sich damit im Jahr 2013 ein gegenüber 2008 (vor Ausbruch der großen Wirtschaftskrise) fast unverändert gebliebenes Arbeitsvolumen (absolut: 42,3 Bio. Stunden) auf eine um 1,4 Mio. gestiegene Zahl lohnabhängig Beschäftigter (absolut 37,8 Mio.), wohinter sich dann logischerweise eine große Zahl wenig regulierter und schlecht bezahlter Arbeitsverhältnisse verbirgt.

Die schwarz-rote Bundesregierung hat mit der Einführung des (ziemlich löchrigen) Mindestlohns einen kleinen, für viele Betroffene nicht geringzuschätzenden Beitrag zur Re-Regulierung des Arbeitsmarkts geleistet. Weitere größere Schritte, wie etwa die Abschaffung der Minijobs, sind nicht geplant. Auch in Sachen aktive Arbeitsmarktpolitik sind keinerlei Impulse zu erwarten.

Im Gegenteil. Die von Schwarz-Gelb eingeleitete Rosskur für die Bundesagentur für Arbeit und ihren Auftrag zur Qualifizierung und Vermittlung von Arbeitslosen geht munter weiter. Beispiel Verwaltungskostenetat der BA in der Grundsicherung: Da der veranschlagte Etat nicht ausreicht, um die tatsächlichen Kosten zu decken, hat die BA in 2013 beeindruckende 445 Mio. Euro aus dem Etatposten »Leistungen zur Eingliederung in Arbeit« für ihre Verwaltungskosten abgezweigt. Die seit 2010 eh schon um 2,5 Mrd. Euro gekürzten Eingliederungsleistungen wurden dadurch zulasten vor allem der Langzeitarbeitslosen zusätzlich geschrumpft. Für 2014 zeichnet sich ein ähnliches Fiasko ab.

Fazit: Mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns hat sich sozialdemokratische Arbeitsmarktpolitik für die Legislativperiode programmatisch schon fast (es gibt noch Pläne für die Werksverträge) erschöpft. Sollte sich allerdings der konjunkturelle Abschwung weiter fortsetzen, wird Arbeitsministerin Andrea Nahles wohl noch einmal neu nachdenken müssen. Auf große Puffer, wie etwa die BA-Reserven in der Krise 2009, wird sie dann allerdings nicht mehr zurückgreifen können.

Großer Handlungsbedarf ist auch in den europäischen Nachbarländern angesagt. Denn von einer Reduktion der Arbeitslosenzahlen in der Euro-Zone kann wegen der Konjunkturflaute keine Rede sein. Das gilt auch für die teilweise extrem hohe Jugendarbeitslosigkeit. So blieb die Arbeitslosenquote im August den dritten Monat in Folge bei 11,5% (Eurostat). Im Juni war die Zahl auf den niedrigsten Stand seit September 2012 gerutscht. Rund 18,3 Mio. Männer und Frauen waren im vergangenen Monat offiziell auf Jobsuche. Damit sank die Zahl der Arbeitslosen zum Vormonat um 137.000 und binnen Jahresfrist um 834.000.

Die konjunkturelle Dynamik im Euro-Raum hat sich in Luft aufgelöst. Eine wachsende Unsicherheit etwa wegen der Konflikte in der Ukraine und im Nahen Osten sorgte dafür, dass die Wirtschaft im zweiten Quartal nicht wuchs. Zudem schlägt sich das wirtschaftliche Gefälle in der Währungsunion auch am Jobmarkt nieder: Am niedrigsten ist die Arbeitslosenquote – nach vergleichbarer EU-Rechnung – in Österreich (4,7%) und in Deutschland (4,9%). Am höchsten ist sie in Griechenland (27% im Juni) und Spanien (24,4%).