Fußball-WM

Von Dr. Jürgen Glaubitz

14.06.2014 / www.verdi-bub.de, Juni 2014

Die zwanzigste Fußballweltmeisterschaft startet am 12. Juni – und das in der Heimat des fünfmaligen Weltmeisters, in einem der am meisten vom Fußball begeisterten Länder. Auf eigenem Boden soll das Team von Luiz Felipe Scolari den „Hexa“ erobern, den sechsten Titel. Samba, Zuckerhut und Caipirinha – so haben sich die Veranstalter das Ganze wohl vorgestellt. Doch nun gibt es Dengue-Fieber-Alarm, Streiks und Demonstrationen. Viele befürchten Chaos statt Party. Die Stimmung ist schlecht im Lande des Rekordweltmeisters. Es wird wohl eine WM zwischen Begeisterung und Protest werden ...

Wieder einmal gibt es massive Kritik an der Fifa. Die Empörung über deren Praktiken ist mittlerweile allgemein. Selbst ein Edmund Stoiber ließ sich unlängst zu der Aussage hinreißen: „Die machen den Fußball kaputt.“ Nun sickert zu allem Überfluss auch noch immer mehr über diverse Korruptionsvorwürfe im Zusammenhang mit der Vergabe der WM 2022 nach Katar durch. Dabei fällt des Öfteren auch der Name eines gewissen Franz Beckenbauer.


Miese Stimmung am Zuckerhut
Seit Monaten schon demonstrieren viele Brasilianer, Tausende gehen immer wieder auf die Straße. Sie protestieren gegen die Erhöhung der Fahrpreise im öffentlichen Nahverkehr und mangelnde Investitionen in Gesundheit und Bildung – während auf der anderen Seite gigantische Summen für die WM ausgegeben werden (stern.de vom 5.6.2014).

Kritik gibt es auch von Brasiliens Bischöfen; sie monieren in scharfer Form die Umkehrung der Prioritäten bei der Verwendung öffentlicher Gelder. Massenhafter Widerstand, Verkehrschaos, Staus von 200 km Länge – in der 20-Millionen-Metropole Sao Paulo kam es auch über Pfingsten wieder zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und den streikenden U-Bahn-Beschäftigten.

Was war nicht alles versprochen worden: 2007, kurz nach der Entscheidung über den Austragungsort, hieß es, „das vermeintliche Wirtschaftswunder sollte einen neuen Schub bekommen. Investitionen in die Infrastruktur sollten zusätzliche Impulse für die ökonomische und soziale Entwicklung des Landes geben“ (Handelsblatt vom 19.5.2014).

Fakt ist, dass der große Spaß verdorben wird durch Misswirtschaft, Bürokratie und Korruption. Und die angeblichen Wachstumseffekte durch eine WM bleiben in der Regel eh aus. Das konnten und mussten andere Länder, wie etwa Südafrika, schmerzhaft erleben. „An Fußballweltmeisterschaften verdienen die Netzwerke der Fifa, die skrupellos ihre Sponsoren bevorzugen, die Stadionbau- und Sicherheitsindustrie sowie im Falle Brasiliens auch die lokalen Transportunternehmer“ (Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. 6/2014, S. 111).

  • Kosten der WM für Brasilien: 9,9 Mrd. Euro.
  • Einnahmen der Fifa: 3,1 Mrd. Euro (Spiegel Nr. 20/2014, S. 82).
Kritik an der WM kommt mittlerweile auch von ehemaligen Fußball-Legenden Brasiliens. Schon 2007 hatte der zwischenzeitig verstorbene ehemalige Kapitän der Nationalmannschaft, Socrates, prophezeit, die öffentlichen Gelder würden auf völlig undurchsichtige Weise für einen „Zirkus ohne Brot“ ausgegeben. Der Ex-Stürmer Romario („die inoffizielle Stimme der WM-Kritiker“) attackiert die Veranstalter auf drastische Weise. Den Fifa-Präsidenten Blatter und dessen Generalsekretär beschimpft er regelmäßig als „Erpresser“ und „Kriminelle“. Der brasilianische Fußballverband CBF ist für ihn ein Nest von „Räubern, Ratten und Banditen“. Und nun hat sich auch noch das Organisationsmitglied Ronaldo dem Kreis der WM-Kritiker angeschlossen (Rheinische Post vom 4.6.2014).
  • „Die Fifa stolpert von einer Affäre in die nächste und benimmt sich trotzdem wie eine Mischung aus Heilsstifter und Kolonialmacht“ (Süddeutsche Zeitung vom 10.6.2014).
Früher war mehr Nutella
Tagtäglich werden wir nun berieselt und beschallt – unsere unterbezahlten Helden preisen die Vorzüge von lecker Grillfleisch, diversen Automarken, Duschcremes, Koffein-Getränken, zweier bügelfreier Hemden zum Preis von einem, Knabberzeug, Nass- bzw. Trockenrasierern, Banken und Baumärkten, Achselspray, Smartphones und allerlei anderen Produkten. Schließlich möchte man sich ja schnell noch ein paar Euro hinzuverdienen.

Was dabei aber wirklich übel aufstößt, das ist der martialische Charakter diverser Spots. Da wird Fußball regelrecht als Schlachtenepos stilisiert (stern.de vom 10.6.2014). Ein deutscher Sportartikel-Hersteller posaunt heraus: „We are ready for battle.“ Der entsprechende Schuh heißt dann auch sinnigerweise „battle pack“. Spieler sind Gladiatoren, die sich zum Kampf bereit machen, statt Trikots gibt es Ritterrüstung und Schwert. Statt Rückennummern Brandzeichen. In einer dazu geschalteten Anzeigenkampagne halten einige Nationalspieler blutige Herzen in die Kamera ...

Ganz nach dem Motto „Schlimmer geht immer“! Angesichts solch aggressiver Werbung mag sich da der eine oder andere vielleicht die kuscheligen Spots für den braunen, klebrigen Brotaufstrich zurückwünschen.


Zu guter Letzt
Eine wesentliche Frage für die nächsten Wochen ist, ob der schöne Schein gewahrt bleibt oder ob die sozialen Unruhen in Brasilien eskalieren. Fakt ist, dass Fußball es immer geschafft hat, die Massen zu ergreifen. Von Fußball geht eine besondere Faszination aus: „Der Schwache kann den Starken besiegen. Im Fußball ist ein utopisches Potential zu erleben: Die Freude am Spiel erweckt die Lebenslust, und bis zur letzten Minute wird die Hoffnung genährt, dass nicht alles bleiben muss, wie es ist, und die Welt doch zu verändern ist“ (Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. 6/2014, S. 112).

Jetzt wird die WM erst einmal beginnen, und sobald der Ball rollt, geht es wieder um Themen wie Achtel-, Viertel- und Halbfinale. Und wer am 13. Juli um 21:00 Uhr ins Maracana-Stadion einlaufen wird. Und es geht natürlich um solche Fragen wie Mann- oder Raumdeckung, tief- oder hochstehen, Pressing und Gegenpressing – und natürlich um die Abseitsfalle.

  • „Männer haben 100 Gramm mehr Gehirn als Frauen – da ist unter anderem die Abseitsfalle drin“ (Dieter Nuhr).
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