Zwischen Europaskepsis, Rechtskonservatismus und Rechtspopulismus

Von Joachim Bischoff und Bernhard Müller

13.06.2014 / sozialismus.de, 13.06.2014

Nach der Europawahl laufen die Arbeiten zur Fraktionsbildung im 751 Sitze zählenden EU-Parlament auf Hochtouren. Für die Formierung einer Fraktion sind 25 Abgeordnete aus sieben EU-Staaten nötig. Bis am 24. Juni müssen die Fraktionen gebildet sein, wenn sie in den Genuss erheblicher Zuschüsse aus den EU-Kassen und wichtiger Posten kommen wollen. Aufmerksamkeit erzielte daher die Aufnahme der AfD bei den »Konservativen«.

Denn die sieben Europaabgeordneten der Alternative für Deutschland[1] (AfD – Marcus Pretzell, Bernd Kölmel, Beatrix von Storch, Bernd Lucke, Ulrike Trebesius, Hans-Olaf Henkel und Joachim Starbatty) sind nach einer knappen Mehrheitsabstimmung Mitglieder in die Fraktion der EKR (Europäische Konservative und Reformisten) geworden. In dieser Fraktion sind die britischen Konservativen stärkste Kraft. Weiterhin gehören dazu die polnische Partei Recht und Gerechtigkeit, die tschechische ODS, die Dänische Volkspartei und die Wahren Finnen.

Sie alle lehnen die Europäische Union zwar nicht rundweg ab, wollen sie aber grundlegend reformieren und europäische Kompetenzen auf die nationale Ebene zurückverlagern. Wichtig ist ihnen allen auch eine Begrenzung von Einwanderung. Die Fraktion der EKR hat mit der Aufnahme der Alternative für Deutschland (AfD) nach eigenen Angaben 63 Abgeordnete im neuen Europaparlament.

Der britische Regierungschef David Cameron wollte eine Belastung oder Eintrübung des Verhältnisses der britischen Konservativen zur CDU und der Kanzlerin Merkel vermeiden, die sich in Deutschland strikt gegen eine Zusammenarbeit mit der AfD ausgesprochen haben. Dem AfD-Chef Bernd Lucke, der im Wahlkampf Annäherungen an die rechtspopulistischen Parteien wie der United Kingdom Independence Party (Ukip) oder dem französischen Front National (FN) zurückgewiesen hatte, verhelfen die Tories nun zu mehr Respektabilität auch in Deutschland. Auch die Wahren Finnen und die dänische Volkspartei setzen darauf, dass sie dank dem Pakt mit der britischen Regierungspartei in der Heimat an politischer Akzeptanz gewinnen werden.

Neu in der Fraktion sind auch die Rechtspopulisten der Dänischen Volkspartei (DF), die gegen mehr Einwanderung eintritt und durch Parolen gegen Ausländer bei der Europawahl stärkste Kraft in Dänemark geworden ist. Ihr Vorsitzender Morten Messerschmidt punktete dabei mit Aussagen wie dieser: »Wir haben die Nase voll davon, dass morgens polnische, litauische und rumänische Laster über die Grenze fahren und abends voll mit geklauten Fernsehern und Stereoanlagen aus dänischen Ferienhäusern zurückkommen.«

Ein Sprecher der DF verglich das muslimische Kopftuch mit dem Hakenkreuz. Auch die rechte Partei »Wahre Finnen«, die ebenfalls immer wieder gegen Ausländer hetzt, gehört zum neuen Bündnis. Beide Gruppierungen zählten bisher zur EFD-Fraktion um Nigel Farage von der Ukip.

Mit dieser Anbindung bei einer rechtskonservativen Fraktion im Europaparlament kann die AfD ihre Position im politischen Spektrum weiter in der Schwebe halten. Eine Einbindung in die beiden großen rechtspopulistischen oder rechtsextremen Gruppierung Ukip oder Front National hätten die nähere Lokalisierung beschleunigt. So kann die AfD zunächst ihre Position am rechten Rand des konservativen Parteienspektrums mit deutlicher nationalstaatlicher Ausrichtung behaupten.

Die AfD hat bei den Europawahlen nur so viele Wähler wie bei der vergangenen Bundestagswahl mobilisiert: 2,06 Millionen. Über ein festgefügtes Weltbild oder auch nur über stabile Wahlpräferenzen verfügt die AfD-Wählerschaft nicht.

Die Wahlforschung ordnet den charakteristischen Wähler der AfD als männlich, von Beruf eher selbstständig, und mit überdurchschnittlichem sozialen Status und Einkommen ein. Dies verweist auf einen Vertreter der gehobenen Mittelschicht, der sich »zwischen unten und oben zerrieben fühlt«.

Allerdings ist nicht zu bestreiten, dass die AfD auch bei den unteren sozialen Schichten Stimmen geholt hat. Die stärkste Anziehungskraft bei WählerInnen mit ausländerfeindlichen, antisemitischen und chauvinistischen Einstellungen hat – neben rechtsextremen Parteien – die AfD, wird in der jüngsten Rechtsextremismus-Studie der Leipziger Universität[2] festgestellt. Jede/r zweite AfD-Wähler/in sei ausländerfeindlich und jede/r Dritte wünsche, dass Deutschland mehr Macht und Geltung bekomme. Vielen Befragten seien ihre Ansichten keinesfalls als rechtsextreme Einstellung bewusst.

Die aktuelle Publikation der Forschungsgruppe präsentiert Ergebnisse aus der Befragung im Jahr 2014 und vergleicht sie mit den Studienergebnissen der letzten zwölf Jahre. Rechtsextreme Einstellungen sind in allen Teilen der Gesellschaft anzutreffen. »Es gibt 2014 eine gute Nachricht: Wie die Ausländerfeindlichkeit, so nimmt auch die Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen insgesamt ab«, stellt der Wissenschaftler Oliver Decker fest. »Es gibt aber auch eine schlechte Nachricht: Bestimmte Gruppen von Migrantinnen und Migranten werden umso deutlicher diskriminiert.«

Im Jahr 2014 geben sich 20% der befragten Deutschen als ausländerfeindlich zu erkennen. Asylsuchende, Muslime sowie Sinti und Roma erfahren eine weit höhere Stigmatisierung. Die Abwertung von AsylbewerberInnen ist mit 84,7% der Befragten in den neuen und 73,5% der Befragten in den alten Bundesländern sehr groß. Aber auch Sinti und Roma ziehen bei mehr als der Hälfte der Deutschen Ressentiments auf sich, und fast die Hälfte der Deutschen lehnen Muslime ab. »Die Empfänglichkeit für die Ideologie der Ungleichwertigkeit ist weiterhin vorhanden.«

»Die EU-Skepsis ist generell mit erhöhten Werten im Rechtsextremismusfragebogen verbunden. Für die Items zu Islamfeindschaft, Abwertung von Sinti und Roma sowie Abwertung von Asylbewerbern zeigen sich durchgehend signifikante Zusammenhänge. 64,1% der Befragten, die die EU für eine gute Sache halten, fühlen sich durch die Anwesenheit von Muslimen und Musliminnen auch nicht als Fremde im Land. Diejenigen, welche die EU für eine schlechte Sache halten, lehnen dieselbe Aussage nur zu 33,3 % ab. ... Die EU wird von den Deutschen auch 2014 immer noch skeptisch betrachtet. Nachdem das Europabarometer 1991 zunächst eine starke Euphorie dokumentierte, flachte die Begeisterung in den folgenden Jahren etwas ab. Unsere Ergebnisse aus dem Frühjahr 2014 weisen eine stabile Zustimmung zur EU bei 40% bis 45% der Bevölkerung aus, doch bei mehr als 50% hat sie keine positive Resonanz. Dabei zeigt die Analyse, dass der fehlende Anklang der EU sehr stark mit der antidemokratischen Orientierung der Befragten zusammenhängt: Menschen mit rechtsextremer Einstellung und der Bereitschaft, andere Gruppen abzuwerten, lehnen deutlich häufiger die EU ab.«

Die Afd weist politisch-programmatisch eine gewisse Affinität zu den »Republikanern« aus – also eine deutliche Absetzung zur NPD und entsprechenden rechtsextremen Parteien in anderen europäischen Ländern. Die AfD legitimiert sich bislang stark über das Thema Europa – eine umfassende programmatische Selbstverortung steht noch aus.

Die häufigen innerparteilichen Querelen sind auch ein Warnzeichen, dass die Entwicklung eines umfassenden programmatischen Angebotes mit organisatorisch-politischen Abspaltungen verbunden sein könnte.

Bislang rekrutieren sich die AfD-WählerInnen aus einem breiteren Spektrum – was Parteichef Lucke veranlasst, von einem Typus »Volkspartei« zu sprechen, offen in allen Richtungen. Die AfD sammelt viele Proteststimmen ein. Noch also ist sie von der Wählerschaft her eine extrem heterogene Partei. Ihre Anhänger kommen nicht nur aus dem etablierten bürgerlichen Milieu, sondern auch vom rechten Rand.

Zwar findet ihre zentrale Forderung, den Euro aufzulösen, nur wenig Wiederhall in der deutschen Bevölkerung. Doch die Wahl der AfD ist für viele Menschen eine willkommene Möglichkeit, ihrem Unmut über Europa Ausdruck zu verleihen. Der zukünftige Erfolg der Partei hängt daher zum einen stark von der weiteren Entwicklung der Euro-Krise ab; zum anderen wird sich die AfD im Umfeld der anderen eurokritischen und europafeindlichen Parteien in Brüssel einordnen müssen.

Die Strategen der Union haben für das weitere Agieren eine Konzeption kommuniziert: »Wir müssen uns intensiv mit den Wählern der AfD beschäftigen.« Thematisch sollen dabei die Sanierung der Euro-Zone und die Freizügigkeit der BürgerInnen in der EU im Mittelpunkt stehen.

[1] Vgl. auch die Regionalstudie zu Hamburg: »Afd ante protas« auf nordLINKS: http://www.vorort-links.de/nc/archiv/analysen_ansichten/detail/artikel/afd-ante-portas/
[2] Download unter http://www.uni-leipzig.de/~decker/