Wie weiter in Europa?

Von Axel Troost

02.06.2014 / 02.06.2014

"Kein Grund zur Euphorie, aber ein solides Ergebnis", so beurteilt der Bundesgeschäftsführer der LINKEN, Matthias Höhn, das Abschneiden der LINKEN bei der Europawahl. Einem kleinen prozentualen Verlust stehe der Zugewinn von rund 200.000 Stimmen gegenüber. Der Parteivorstand wird auf seiner Klausur Anfang Juli eine gründliche Wahlauswertung vornehmen.

Ohne Ergebnisse der Klausur vorweg nehmen zu wollen, lässt sich schon heute festhalten: Die Wahlen zum Europa-Parlament haben eine deutliche Stärkung des rechten Spektrums gebracht.[1] Frankreich, Großbritannien, Dänemark, Österreich, Polen: In vielen europäischen Ländern holten rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien starke Stimmergebnisse und Mandate. Insgesamt blieb zwar die konservative EVP stärkste Fraktion, gefolgt von der europäischen Sozialdemokratie. Auch die sozialistisch-kommunistische Linke konnte ihren Einfluss ausbauen. Aber die rechtspopulistische und die extreme Rechte wird ihren politischen Einfluss in vielen Mitgliedsländern erheblich ausweiten.

Die Krise in Europa ist noch längst nicht überwunden und hat erhebliche Spuren in fast allen EU-Staaten hinterlassen. In einigen Ländern hat sie eine gegen das politische Establishment gerichtete Anti-Stimmung verstärkt. Immer mehr BürgerInnen fühlen sich ohnmächtig gegenüber der Übermacht der Unternehmen und der Austeritätspolitik - das spüren wir bei den Europawahlen ganz deutlich -, und sie haben recht. Das wird heute in ganz Europa von rechtspopulistischen und rechtsnationalen Parteien ausgenutzt, um ihr übles Spiel zu treiben. Dabei haben sie alles im Sinn, aber nicht Demokratie und Gerechtigkeit. Im Gegenteil, sie sind Vorboten für autoritäre, fremdenfeindliche, unsoziale und undemokratische Regimes. In Zeiten massiver ökonomischer Probleme, hoher Arbeitslosigkeit und drastischer Sparpolitik hatten Wahlforscher seit langem mit einer deutlichen Stärkung des rechten Spektrums gerechnet.

Umso stärker rückt damit die Frage der Ausrichtung der europäischen wirtschafts- und Sozialpolitik in das Zentrum der Debatten. Das bescheidende Ergebnis der Wirtschaftsleistung im ersten Quartal 2014 von 0,2 Prozent bestätigt: Das Wirtschaftswachstum wird in der Eurozone im laufenden Jahr eben nicht eine deutliche Aufwärtsbewegung einleiten. Aber wir haben die Chance mit einer europäischen Lösung den gravierenden ökonomischen und politischen Fehlentwicklungen entgegenzutreten. Die Europäische Linke kann eine führende Rolle bei der Entwicklung Europas spielen. Wir können eine andere europäische Entwicklung auf den Weg bringen. Dazu müssen wir die neoliberale Sparpolitik beenden und für die europäischen Völker und Länder eine neue ökonomische Logik durchsetzen, die für alle eine Chance zur eigenständigen ökonomischen Perspektive eröffnet. Werden aber die großen Parteien (EVP und Sozialdemokratie) die politische Kraft finden auch die herrschende wirtschaftliche und politische Elite zu einer Veränderung ihrer Politik zu drängen?

Nach den Zugewinnen der Rechten bei den Europawahlen hat Frankreichs Staatspräsident François Hollande eine Neuausrichtung der Europapolitik gefordert. Die neue EU-Kommission müsse sich auf wichtige Prioritäten konzentrieren. Der rechtsextreme Front National hatte sich bei den Wahlen in Frankreich als stärkste Kraft durchgesetzt und mit antieuropäischen und ausländerfeindlichen Positionen gepunktet. Als Reaktion darauf fordert die französische Sozialdemokratie eine Umorientierung Europas hin zu "mehr Wachstum und Arbeit". Europa habe diese politischen Ziele "seit Jahren" vernachlässigt, kritisierte Hollande. Der Präsident unterstricht aber auch, die Regierung werde an ihrem bisherigen Kurs wirtschaftsfreundlicher Reformen festhalten und weiter Steuern senken, um die Kaufkraft der Franzosen zu stärken. Diese wirtschaftspolitische Ausrichtung hat aber in den zurückliegenden Monaten keine Abschwächung des Anstiegs der Arbeitslosigkeit gebracht. Eine Verstärkung der Wirtschaftsleistung und ein Zurückdrängung der Arbeitslosigkeit müsste in eine andere Konzeption eingebunden sein. Immerhin können sich die französischen Sozialdemokraten auf die italienische Regierung als Partner einer Veränderung stützen.

Bei der Europawahl hat die Demokratische Partei um Matteo Renzi in Italien 42 Prozent eingefahren. Der italienische Zweig der europäischen Sozialdemokratie will Europa verändern. Massive Investitionen in Wachstum und Arbeit will Italiens Regierungschef Matteo Renzi für das im Juli beginnende Halbjahr der italienischen EU-Präsidentschaft auf die Agenda setzen. Wenn die Politik weiterhin allein auf Sparen ausgerichtet bleibe, "wird Europa scheitern. Entweder wir ändern Europa, oder Europa rettet sich nicht", warnte der Regierungschef. Die Partito Democratico (PD) sei die stärkste Partei in der Familie der europäischen Sozialdemokraten. "Wir wollen unsere Position nutzen, um Europa klar zu machen, dass wir nur mit stärkeren Investitionen in Wachstum und Beschäftigung das Vertrauen der Bürger zurückgewinnen können", so Renzi . "Wir können eine außerordentliche keynesianische Operation machen, die in den nächsten fünf Jahren 150 Milliarden Euro in die Wirtschaft injiziert", sagte er. Dem Regierungschef schwebt die Idee vor, dass jenen Ländern, die Reformen in die Wege leiten, eine vorübergehende Abweichung von der Maastricht-3-Prozent-Grenze für die Budgetdefizite sowie von den Regeln des Fiskalpaktes zum Abbau der Staatsschulden zugestanden wird. Ein solcher Vorschlag kann angesichts des Ausmaßes der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Krise in den südlichen Mitgliedsländern, aber auch in Frankreich und Italien einen ersten gesellschaftlichen Ausweg eröffnen. 30 Milliarden Euro Investitionen pro Jahr sind für die Erneuerung der italienischen Wirtschaft eine relevante Größenordnung. Für eine gesamteuropäische Investitionsoffensive ist dies aber bei weitem nicht ausreichend.

Der Spitzenkandidat der Europäischen Linken, Alexis Tsipras, formulierte die zukünftigen Herausforderungen so: die gegenwärtige Situation sei ein Versuch des politischen Establishments in Europa, die Nachkriegsordnung im Sinne eines neoliberalen angelsächsischen Kapitalismus umzubauen. An dem Beispiel Griechenlands sei ablesbar, dass hier in einem Experiment versucht werde, in Zeiten des Friedens eine beispiellose humanitäre Krise zu nutzen, um die Abwertung der Arbeitskraft voranzutreiben. Dies müsse gestoppt werden.

Dazu bedarf es aber eines nachvollziehbaren und überzeugenden Vorschlages eines alternativen Entwicklungspfades. Dazu muss allerdings die Kürzungspolitik beendet werden. Wenn alle sparen, schlittert das System in eine Depression. Wenn einzelne Unternehmen die Löhne senken, können sie (vielleicht) ihre Lage verbessern, wenn das Lohnniveau insgesamt sinkt, vertieft eine Deflation die Krise. Wenn jeder mit gleichem Einsatz seine Wettbewerbsstärke verbessert, wird keiner viel gewinnen, vielleicht aber alle verlieren, weil der "Gesamtkuchen" schrumpft.

Für einen Kurswechsel brauchen wir einen Bruch mit der neoliberalen Austeritätspolitik. Wir treten daher für einen "New Deal" ein: Bekämpfung aller Formen der "Finanz-Alchemie" und Konzentration auf die Sanierung der Realwirtschaft, Fokussierung auf die bedrückendsten Probleme wie (Jugend-)Arbeitslosigkeit, Existenzgefährdung vieler Unternehmen, Verfall der öffentlichen Infrastruktur, steigende Staatsverschuldung, Armut und soziale Ungleichheit. Zur Stärkung der Realwirtschaft werden besonders solche Projekte forciert, die im neoliberalen Zeitalter vernachlässigt, früher oder später aber in jedem Fall bewältigt werden müssen. Das Aufgabenfeld reicht von den Umweltbedingungen, der Infrastruktur, dem Bildungswesen, der Integration von (jungen) Menschen mit Migrationshintergrund, den Entfaltungschancen der Jungen, insbesondere bei Arbeit und Wohnen, bis zur Armutsbekämpfung.

Die Frage ist freilich, können die italienische und französische Sozialdemokratie dies "stark und glaubwürdig" vertreten und damit gegenüber der Bundesrepublik Deutschland eine Verschiebung weg von der neoliberalen Austeritätspolitik durchsetzen? Wir brauchen einen Politikwechsel und einen "New Deal für Europa". Die LINKE sollte sich zusammen mit der europäischen Linken in die beginnende Debatte um eine Neubestimmung der europäischen Politik einmischen.

[1] Siehe ausführlicher: Cansel Kiziltepe, Lisa Paus und Axel Troost, Die ungelöste Eurokrise - Zwischenfazit und Ausblick anlässlich der Europawahl. ISM-Denkanstoß Nr. 16, Juni 2014