Jeder zehnte Arbeitslose muss aufstocken

Von Grit Gernhardt

27.04.2014 / Neues Deutschland vom 25.04.2014

Zehn Prozent der Arbeitslosengeld-I-Bezieher müssen zusätzlich Hartz IV beantragen. Das geht aus Zahlen der Bundesagentur hervor.

Wer seinen Job verliert, hat nicht nur mit psychischen Folgen, sondern auch mit harten finanziellen Einschnitten zu kämpfen. War das Gehalt bereits vorher recht niedrig, reicht das Arbeitslosengeld I immer öfter nicht mehr aus, um Miete, Essen und Kleidung zu bezahlen. Jeder zehnte Bezieher muss deshalb zusätzlich Arbeitslosengeld II beantragen. Das geht aus einer Antwort der Bundesagentur für Arbeit (BA) auf eine Anfrage der arbeitsmarktpolitischen Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Sabine Zimmermann, hervor, die »nd« exklusiv vorliegt.

Bundesweit gab es im vergangenen Jahr 99 235 sogenannte Parallelbezieher – das waren 10,2 Prozent der ALG-I-Bezieher. In Ostdeutschland müssen sogar fast 14 Prozent der Arbeitslosen aufstockend Hartz-IV-Leistungen beantragen.

Gesamtdeutsch ist das ein Anstieg um rund 12 Prozent gegenüber 2012, als 88 223 Menschen oder 8,9 Prozent der ALG-I-Bezieher offiziell als Aufstocker galten. 2005 – im Jahr der Einführung von Hartz IV – zählte die Bundesagentur zwar 146 815 Aufstocker. Das waren allerdings nur 8,1 Prozent der damals rund 1,8 Millionen Arbeitslosengeld-I-Bezieher.

In den Bundesländern, in denen es die meisten Arbeitslosen gibt, sind auch die Aufstockerquoten am höchsten. So beantragten in den Stadtstaaten Berlin und Bremen 16,5 bzw. 16,4 Prozent der ALG-I-Bezieher zusätzliches ALG II, in Bayern und Baden-Württemberg waren es dagegen nur 5,9 bzw. 6,8 Prozent.

Möglicherweise gibt es allerdings eine Dunkelziffer: Anzunehmen ist, dass sich einige ALG-I-Bezieher aus Unkenntnis oder auch Scham nicht noch zusätzlich bei den Jobcentern melden, auch wenn sie Anspruch auf Hartz IV hätten. Wie die BA gegenüber »nd« erklärte, sind die Arbeitsagenturen zudem nicht verpflichtet, Arbeitslose darauf hinzuweisen, dass sie zusätzlich ALG II beantragen können. ALG-I-Leistungen seien rein personenbezogen, die weiteren Lebensverhältnisse spielten insofern keine Rolle. Wenn jedoch klar sei, »dass das ALG I so niedrig ausfällt, dass davon die Existenz nicht bestritten werden kann, wird der Vermittler den Hinweis auf ALG-II-Antrag geben«, so die Bundesagentur.
Derzeit bekommen Arbeitslose ohne Kinder zwölf Monate lang 60 Prozent ihres letzten Gehaltes als Arbeitslosengeld ausgezahlt, mit Kindern sind es 67 Prozent. Für viele Menschen, die vor dem Jobverlust im Niedriglohnsektor beschäftigt waren oder nur Teilzeit gearbeitet haben, reichen die staatlichen Leistungen aber nicht aus, um das Existenzminimum abzudecken.

Das betrifft besonders Frauen, die doppelt so häufig wie Männer zu Niedriglöhnen arbeiten gehen – oft nur in Teilzeit. »Das Arbeitslosengeld als Versicherungsleistung, für das man unter Umständen viele Jahre eingezahlt hat, ist für immer mehr Arbeitslose keine Garantie mehr, im Falle der Arbeitslosigkeit einigermaßen finanziell über die Runden zu kommen«, so Zimmermann. Sie hält eine Stärkung des Systems der Arbeitslosenversicherung für dringend geboten. Das Arbeitslosengeld müsse existenzsichernd sein.

Ein weiteres Problem sei, dass viele Menschen gar nicht erst ALG I erhielten, weil sie zu kurz beschäftigt waren, um Ansprüche zu erwerben. Wer innerhalb eines Zeitrahmens von 24 Monaten nicht 12 Monate sozialversicherungspflichtig gearbeitet hat, fällt bei Jobverlust gleich in den Hartz-IV-Bezug. Zimmermann fordert deshalb, diese sogenannte Rahmenfrist wieder auf 36 Monate anzuheben.