Legale Verbrechen - Master of the Universe

Filmkritik von Jürgen Kiontke

11.11.2013 / DGB gegenblende, 09.11.2013

Rainer Voss ist so in etwa Durchschnitt. Etwas gesetzt, leicht dicker Kopf, angegraut. Ein Prototyp. Das deutsche Wirtschaftsleben ist geprägt von Menschen wie ihm: Nichtssagende Erscheinung, gutes Einkommen, erst Einfamilienbutze, dann kaputte Ehe, das ganze Leben mit irgendetwas in irgendeiner Firma verbracht. All dies wäre nicht weiter bemerkenswert, wenn der Laden, in dem Voss sein Unwesen getrieben hat, nicht ein Geldinstitut wäre. Und die erregen ja seit geraumer Zeit durchaus das öffentliche Interesse.

Banken verscherbeln ganze Volkswirtschaften, produzieren gigantische Renditen, reißen ganze Bevölkerungsschichten mit der eigenen Pleite in den Abgrund. Der Regisseur Marc Bauder, selbst BWL-Absolvent, wollte die Branche nun vor die Kamera bringen. Ex-Banker Voss, der einzige Darsteller seines Dokumentarfilms „Master of the Universe“, führt dieses Schauspiel auf. In leeren Fluren stillgelegter Frankfurter Geldetagen erzählt der leicht humorige, zunächst recht freundlich wirkende Mann von den Schandtaten des digitalen Börsenhandels. Die Einführung der Computer im Geldpapierhandel markierte den Einschnitt in seiner Karriere. „Wir waren jung und haben uns gleichermaßen für Geld und Computer interessiert“, beschreibt er die achtziger Jahre.

Computerworld

Computer und Finanzen sind Zentralgestirne der binären Systeme, die an die gesellschaftlichen Grundlagen rühren: Der Computer kennt nur eins und Null. Das Geld ist da oder nicht. Die Mathematik der Analysemodelle mag kompliziert sein, das Weltbild, das sie generieren, ist es nicht. Entsprechend philosophiert der ehemalige Aktiencrack Voss: Die Computerisierung sei die Initialzündung gewesen, denn - „der Kapitalismus war ja anachronistisch. Nicht geeignet für das 21. Jahrhundert“. Ob er das in der Gegenwart – als perfekte Synthese aus Spekulation und IT - ist, sollte man in Griechenland oder Portugal nachfragen. Nun spielen die Maschinen gegeneinander, weiß der Ex-Profit-Junkie. „Da entscheidet letztlich, welcher Rechner näher am Server steht.“

Der Händler von heute hat acht Bildschirme und fühlt sich wie auf der Brücke von Raumschiff Enterprise. „Guck mal dahinten“, sagt er schmunzelnd, da steht der Kasten der Commerzbank. Der hat eine Antenne auf dem Dach, damit er höher ist als die Deutsche Bank.“ Der sexuelle Subtext ist beabsichtigt. Der Banker hält sich für den Typen mit der größten Antenne. Aufträge werden, es geht gleich erotisch aufgeladen weiter, per „One-Nighter“ oder „Two-Nighter“ erledigt. Das ist, wenn man ein oder zwei Nächte durcharbeitet - Zahnbürste nicht vergessen. Und weiter geht’s mit der Präsentation. Powerpoint und Excel heißen die modernen Folterinstrumente für schönfärberische Präsentationen. Gesetze spielen weniger eine Rolle. Eigentlich spielen diese Rolle auch die Kunden nicht, denn die Rendite-Erwirtschaftung ist maschinisierter Selbstzweck. Vor allem spielt der Mensch keine Rolle: Tausend Börsenhändler stopft man in eine Etage, ohne Stellwände, damit die Kontrolle funktioniert. Eine Unternehmensbeteiligung hält heute 22 Sekunden, früher waren es mal vier Jahre. Man nennt die Börsenhändler „Legehennen“, sagt Voss.

Produkte, wie bei Knoff-Hoff

Und Voss berichtet weiter, was man tun muss, um kommunale Verwaltungen auseinanderzunehmen. Nicht jedes Finanzprodukt eigne sich für jeden Zweck. Auf den richtigen Zuschnitt komme es an. Kann sein, dass ein Stadtkämmerer erfolgreich spekuliere, um die Haushaltsschulden zu drücken. Aber wehe, wenn das alle machen. Einmal habe er obskure Ölbonds „erfunden“. Die habe man dann nur noch einem beliebigen Kommunalpolitiker aufschwätzen müssen. Verboten sei das nicht. Irgendwann meint man, den Terminus „legales Verbrechen“ zu vernehmen. Was möglich ist, ist legal – das kennt man irgendwoher.

Doch man beachte: das Virtuelle ist nicht alles. Auch wenn der digitale Handel davongaloppiert, müssen die zu verscherbelnden Werte irgendwo erbracht werden. Öffentliche Etats bieten sich da wunderbar an, denn sie stecken voller erarbeiteter Werte in Form von Steuern. Voss: „Konzernen kann man nichts verkaufen, die haben dieselben Modelle und Rechnerkapazitäten wie wir“. Wenigstens weiß man jetzt, woher die Überschuldung der Haushalte stammt: vom Spielen. „Das ist nicht Casino“, sagt Voss. „Aber man dreht den Leuten das Falsche an.“ Dafür gibt es dann ganz reale 50.000 Euro im Monat.

Erstaunlicherweise ist das Wetten, zum Beispiel gegen Staatsökonomien, immer noch erlaubt, obwohl damit so viel Elend verbunden ist. Eigentlich hätten die Betroffenen schon jedem Börsenplatz den Krieg erklären müssen. Wenn denn nicht die jeweilige profitorientierte Schicht der Bevölkerung selbst an der Staatspleite gewinnbringend beteiligt wäre. Voss erläutert auch andere ewige Gesetzmäßigkeiten. Sie lauten: An der Börse verlieren Privatanleger und Nahrungsmittelspekulation ist ein ertragreiches Geschäft.

Die Banalität der Börsianer

„Master of the Universe“ ist cineastisch recht unterkomplex. Wie in fast jedem Film über die Geldbranche, fehlt es auch hier an Bildern. Man sieht die bedrohlich leeren Etagen, die Einstellungen von abfahrenden Aufzügen, so düster inszeniert, als wäre man auf dem Gefängnisplaneten in „Alien 3“. Zwangsläufig folgen Bilder der TV-Börsennachrichten und von um ihren Job trauernden Angestellten der Lehman-Brothers, dem Ausgangspunkt der Finanzkrise 2008. Ein Horrorfilm durch und durch, der aber schwerwiegende Lücken aufweist.

Dieser Film wird nicht mehr spannend. Sein Sujet ist banal, man mag nicht glauben, dass erwachsene Menschen nichts Besseres als Computerspielen im Kopf haben. Um Missverständnissen vorzubeugen: Dass da ein ehemals hoch angesiedelter Bankangestellter die Karten auf den Tisch legt, ist absolut in Ordnung. Mit fortschreitender Dauer aber rückt die Person des Rainer Voss selbst in den Mittelpunkt, so distanziert ironisch er die Vorgänge auch schildert. Mit sich selbst von früher will er nichts mehr zu tun haben; aber ein wenig ist er dennoch traurig, dass man ihn aus Altersgründen abgeschoben hat. Er macht sich schon Gedanken, wie es mit ihm weiterlaufen kann, doch er ist definitiv kein Geschäftsmann. Der Schritt in die Selbstständigkeit, zum Beispiel, wird zumindest in diesem Film nicht als Option genannt.

Wie lebt er? Was will er? Im selben Ton wie über den Handel redet er über sein Kind, das irgendwo lebt, aber sicher nicht bei ihm. Natürlich hat er Frau und Kind verlassen, er war ja sowieso kaum zu Hause und die Betreuung war schon in Ordnung. Man steckt das Kind „in die Kita der Deutschen Bank, da ziehen die schon ganz früh so Typen wie mich ran“. Erziehung sei nicht nötig gewesen, es komme ja nicht auf die Dauer, sondern die Qualität „der mit dem Kind verbrachten Zeit“ an. „So hab ich das empfunden“, sagt er.

Jetzt könnte man das dokumentarisch Eindimensionale dieses Films zugunsten von ein wenig Journalismus verlassen: Was sagt dieses Kind über seinen Vater? Was sagt seine Exfrau? „Reden können Sie über so einen Beruf nicht“, hakt er nach. Es fehlen Bilder und Aussagen. Aber vielleicht war das der besondere Trick des Regisseurs: Den Master of Desaster gibt’s nur ohne all das. Denkt mal bitte darüber nach, was das für den Rest der Welt bedeutet. Und so geht man raus aus dem Parallel-„Universe“ der Finanzspekulation mit seinem Automatenwesen und denkt: Eines, das aus solchen Elendsverursachern und Schreibtischkillern besteht, muss es nicht unbedingt geben. Das Leben mitsamt seinem ganzen Inhalt ist hier ein Wegwerfprodukt.

Wie sein Sujet, die Finanzbranche, stellt dieser Film sehr erfolgreich ein Produkt her, von dem man anschließend noch eine ganze Weile was hat: Hass auf diesen Unsinn.

„Master of the Universe“. D/A 2013. Regie: Marc Bauder. Kinostart: 7. November 2013