Flop mit Signalwirkung

Von Werner Rügemer

22.10.2013 / Junge Welt, 17.10.2013

Bertelsmann-Tochter und Stadt Würzburg schleichen sich aus gepriesenem Pilotprojekt. Banken, Bundesregierung und EU forcieren Public-Private-Partnership-Vorhaben weiter.

Es ist ein Scheitern mit Signalwirkung: Die Bertelsmann-Tochter Arvato direct services GmbH und die Stadt Würzburg haben Ende September einen außergerichtlichen Vergleich geschlossen. Damit wird das gemeinsame Projekt »Würzburg integriert!« endgültig beendet. Das Vorhaben nach dem Muster Public Private Partnership (Öffentlich-private Partnerschaft; PPP) wurde im Mai 2007 mit einem dabei üblichen Geheimvertrag besiegelt, den der Stadtrat unter der CSU-Oberbürgermeisterin Pia Beckmann abnickte. Arvato sollte eine zentrale eGovernment-Plattform entwickeln, über die alle Verwaltungsakte mit den Bürgern digital getätigt werden: Kfz- und Einwohneranmeldung, Parkscheine, Geburts- und Ehedokumente, Hundesteuer, Fundbüro, Führerscheinfragen, Registrierung neuer Unternehmen. Damit sollten die amtlichen Vorgänge schneller und einfacher werden. Ziel: Einsparung von 75 Arbeitsplätzen innerhalb von zehn Jahren.

Arvato spekulierte auf einen zweistelligen Milliardenmarkt jährlich, wenn die Städte ihre Verwaltungen auf eGovernment (elektronische Verwaltung) umstellen. Weil sich aber sonst keine andere Stadt auf das Experiment einlassen wollte, finanzierte das Serviceunternehmen des Gütersloher Medienkonzerns das Projekt vor und sollte nur ergebnisabhängig bezahlt werden. Schon 2008 stockte das Ganze, 2010 war es praktisch beendet. Arvato kündigte und forderte 4,58 Millionen Euro Schadenersatz. Daß das Projekt eigentlich nicht funktionieren konnte, hätten insbesondere die Profis des Anbieters schon vorher wissen können: Nicht alle Bürger haben einen Internetanschluß. Der bayerische Datenschutzbeauftragte bemängelte Sicherheitslücken beim Zugang und innerhalb der Verwaltung. Außerdem hatten die mit dem Projekt befaßten Beschäftigten keine Lust, beim Abbau ihrer Arbeitsplätze selbst mitzuwirken.

Kommt es zur Kündigung eines gescheiterten Projekts, zeigen sich die dicken Pferdefüße von PPP-Verträgen besonders deutlich. Auch in Würzburg galt die Klausel: Bei Streitigkeiten dürfen die Vertragspartner zunächst nicht vor ein öffentliches Gericht gehen, sondern bilden ein privates Schiedsgericht, das geheim tagt. Im Falle der fränkischen Stadt einigte man sich – nach einem Jahr – auf einen Berliner Rechtsanwalt als privaten Schlichter. Er wurde hälftig bezahlt. Der Jurist führte getrennte Verhandlungen, dann wieder gemeinsame, dann in Würzburg und Gütersloh wieder getrennte. Aber schließlich kam in Kassel der Vergleich zustande. Ergebnis: Die Kommune verzichtete auf ihre Forderungen und zahlt an Arvato 535500 Euro. Die bislang unbekannten Ausgaben für das Schlichtungsverfahren und für die jahrelange Zuarbeit des städtischen Personals sind darin noch nicht erfaßt. Der Stadtrat stimmte am 26. September in nichtöffentlicher Sitzung zu. In der dürren Presseerklärung dazu hieß es: »Die Stadt Würzburg und arvato haben aufgrund der technischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Komplexität das Projekt ›Würzburg integriert‹ einvernehmlich beendet.«

Das Vorhaben ist nur das bisherige Ende einer langen Spur des Scheiterns. Die Public-Private-Partnership-Lobby geht bei ihren Jahrestreffen und in ihrer Öffentlichkeitsarbeit darüber hinweg. Man hinterläßt verbrannte Erde und versucht, in neue Bereiche vorzudringen: Krankenhäuser und Energie. Wie sagte der Vertreter der Deutschen Pfandbriefbank, eine der Nachfolgerinnen des bankrotten Steuergeldvertilgers Hypo Real Estate (HRE), bei einer Konferenz, die im Juni 2013 von Exverteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) und der Frankfurt School of Finance ausgerichtet wurde: Es ist genug Geld da, wir brauchen Projekte!

Die Bundesregierung mit Verkehrsminister Peter Ramsauer gehört zu den unbelehrbaren Fundamentalisten des Gewerbes. Ramsauer zwang im September die niedersächsische Landesregierung, einen 30 Kilometer langen Abschnitt der Autobahn A7 zwischen Hannover und Kassel nach dem PPP-Muster auszuschreiben: Der Investor baut aus, saniert und betreibt die Autobahn 30 Jahre lang und wird aus der Maut bezahlt. Und das, obwohl auch der Bundesrechnungshof dieses Verfahren als überteuert ablehnt. Nach privatem Schiedsverfahren – acht Jahre lang und erfolglos – verhandelt CSU-Mann Ramsauer den Streit zwischen dem Staat und den Betreibern des LkW-Autobahnmautsystems von Daimler und Deutscher Telekom (Toll Collcet) seit einem Jahr im Hinterzimmer. Der Bund will auf 4,5 der ihm zustehenden sieben Milliarden Euro Schadenersatz verzichten. Die Auseinandersetzung wurde aus dem Bundestagswahlkampf herausgehalten und ist immer noch nicht entschieden. Im Juli 2013 veröffentlichte die Europäische Kommission zusammen mit der Kanzlei Freshfields das Memorandum »Financing PPPs with project bonds in Germany«: PPP-Projekte sollen erleichtert werden, und zwar mit Hilfe von Anleihen.

Die Partei Die Linke in der Domstadt hat von Anfang an »Würzburg integriert« kritisiert, bekam in der Öffentlichkeit Zustimmung und kam in den Stadtrat. Ohne die Linke wäre das Projekt wohl nicht beendet worden. Deren Stadtrat Holger Grünwedel freut sich, daß Arvato der Einstieg in die kommunale Verwaltung verwehrt wurde. Das sei »ein Erfolg für alle Kommunen in Deutschland«. Aber mit dem Vergleich ist er unzufrieden, da hatte der Stadtrat nichts mitzureden.