In Hellas viel Asche, aber kein Phönix - Griechenlands Austeritätskrise

Von Rudolf Hickel

13.10.2013 / 11.10.2013

Die jüngsten Meldungen über die gesamtwirtschaftliche und fiskalische Entwicklung Grie­chenlands klingen auffällig positiv. Vergleichbar dem „Phoenix aus der Asche“ wird das En­de der brutalen Talfahrt der griechischen Wirtschaft beschworen. Anfang dieser Woche ver­breitete auch noch der Hedgefonds des Milliardärs John Paulson die Entscheidung, auf den Aufschwung jetzt zu wetten – zumindest auf den Aufschwung der griechischen Banken. Auch zur Gesamtwirtschaft werden positive Botschaften verbreitet. So wird erstmals mit dem geringsten Minuswachstum seit dem Ausbruch der tiefen Rezession 2008 gerechnet. Statt um 4,2% soll das um die Inflation bereinigte Bruttoinlandsprodukt nach Angaben der griechischen Regierung nur noch um 3,8% sinken. Nach dem Konjunkturmuster wettbe­werbsfähiger Volkswirtschaften ist vom Aufstieg aus der Talsohle die Rede. Ebenfalls das arbeitgeberbestimmte „Institut der deutschen Wirtschaft“ sieht „Licht am Ende des Tunnels“. Erfolgsmeldungen kommen auch zum öffentlichen Haushalt. Am Ende der ersten sieben Monate dieses Jahres weist Griechenland einen Überschuss beim Primärsaldo aus. Aus der Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben ohne Zinsbelastungen ist ein Über­schuss mit 2,6 Mrd. Euro erzielt worden.

Sollten sich die Kritiker der Schrumpfpolitik als Gegenleistung für Finanzhilfen zur Abwick­lung des Schuldendienstes geirrt haben? Ein Blick auf die Fakten zeigt, keineswegs. Die Aufschwungoptimisten haben die Ursachen sowie vor allem den Kernprozess dieser tief­greifenden Rezession auf der Basis einer Strukturkrise immer noch nicht begriffen. Die Ab­wärtsspirale aus der Kombination Finanzhilfen aus den Rettungsfonds um den Preis massi­ver Kürzungen im Staatshaushalt zusammen mit der Erhöhung von Massensteuern ist längst noch nicht durchbrochen. Während durch die Finanzhilfen aus dem Rettungsfonds zur Auszahlung auslaufender Staatsanleihen kein Euro in den Aufbau und die Stärkung der griechischen Wirtschaft fließt, führt die „Gegenleistung“ Austeritätspolitik zum Absturz der binnenwirtschaftlichen Nachfrage. In sechs Jahren der Rezession ist die Wirtschaft um mehr als 17% geschrumpft. Die Kaufkraft der griechischen Bevölkerung bewegt sich auf dem Niveau von vor 14 Jahren. Brutal zeigt sich die Systemkrise in der hohen Arbeitslosig­keit, die in den verbreiteten Pseudoerfolgsmeldungen nicht vorkommt. Sie liegt derzeit bei über 28%. Jugendliche haben mit einer Arbeitslosenquote von knapp 65% keine berufliche Perspektive. Die dadurch erzeugte Abwanderung ins Ausland dezimiert vor allem die quali­fizierten Arbeitskräfte, die zum Wiederaufbau der griechischen Wirtschaft gebraucht werden. Kernproblem bleibt, dass die negativ durchschlagende Wirkung der Austeritätspolitik auf die Gesamtwirtschaft und die staatlichen Finanzen völlig unterschätzt werden. Nur der Interna­tionale Währungsfonds hat nach seiner Unterschätzung der Abschwungkräfte zaghaft Selbstkritik geübt, allerdings einen Ausstieg aus der Schrumpfpolitik nicht empfohlen. Der Minusmultitplikator, der das Vielfache des Absturzes der Wirtschaft in Folge von Einsparun­gen und Steuererhöhungen beschreibt, ist deutlich unterschätzt worden. Während der IWF von 0,5% ausging, ist gegenüber dem Megavolumen der Schrumpfpolitik in Griechenland mit einem fast vierfachen Verlust der gesamtwirtschaftlichen Produktion zu rechnen. Auch die EU-Kommission hatte sich im Frühjahr 2011 mit der Prognose einer Wachstumsrate von Null Prozent in 2012 blamiert. Faktisch lag der Rückgang der Wertschöpfung bei 6%. Der auf kleinste Zuwächse konzentrierte Aufschwungoptimismus lässt sich auch durch einfache Mathematik entzaubern. Vom Tiefpunkt der ökonomischen Wertschöpfung führen bereits kleinste absolute Zuwächse der Produktion zu hohen Wachstumsraten.

Die Motive für die Aufschwungrethorik liegen auf der Hand. Die unvermeidbare dritte Runde an Finanzhilfen aus dem Rettungsfonds soll mit derartigen Erfolgsmeldungen torpediert werden. Die Hedgefonds, denen die gesamtwirtschaftliche Lage gleichgültig ist, wetten da­gegen auf Profite aus Anteilen an griechischen Banken, die zuvor mit öffentlichen Kapitalhil­fen gerettet worden sind. Zugleich erhöhen die Kapitalsammler den Druck auf die griechi­sche Regierung, die Privatisierung des Bankensektors voranzutreiben.

Also, Griechenland konjunkturell zu vermessen, ist gefährlich dumm. Es geht um eine tief­greifende Strukturkrise im Bereich der Binnen- und Außenwirtschaft. Aus der durch die Aus­teritätspolitik erzeugten Asche kann ein Phönix nicht emporsteigen. Vielmehr sind folgende Maßnahmen notwendig: Erstens ist ein drittes Finanzierungsprogramms für den Schulden­dienst erforderlich, denn Griechenland hat noch lange keinen Zugang zu den Kapitalmärk­ten. Allerdings könnte ein erneuter Schuldenschnitt schnell Entlastung bringen. Zweitensmuss zur Vermeidung der dadurch erzeugten gesamtwirtschaftlichen Verluste auf die „Ge­genleistung“ Austeritätspolitik endlich verzichtet werden. Finanzmittel müssen in den Aufbau Griechenlands gelenkt werden. Drittens stellt sich dabei die nicht einfache Aufgabe, wett­bewerbsfähige Wirtschaftsstrukturen auch durch den Aufbau mittelständischer Unterneh­men in der Exportwirtschaft zu entfalten. Viertens ist eine grundlegende Verwaltungsreform, insgesamt das Ziel „good gouvernance“ ein Beitrag, den vorrangig Griechenland zu erbrin­gen hat.