Verdeckter Teuro - Der scheinbar moderate Preisanstieg trifft Menschen mit geringem Einkommen massiv

Von Hermannus Pfeiffer

30.08.2013 / Neues Deutschland vom 26.08.2013

Das Statistische Bundesamt misst regelmäßig die Inflation. Doch zwischen offizieller und gefühlter Preissteigerung besteht oft ein großer Widerspruch, weil die Behörden anders gewichten als die Verbraucher.

Alles im Lot, ist aus Regierungskreisen zu hören. Und auch die Europäische Zentralbank, deren zentrale Aufgabe in nichts anderem als der Preisstabilität besteht, sieht sich voll im Plan: Um 1,97 Prozent legten die Preise in den zwölf Jahren seit der Euroeinführung durchschnittlich zu - Ziel ist eine Inflationsrate »knapp unter zwei Prozent«. Doch im Graubereich hinter dem offiziellen Verbraucherpreisindex verbirgt sich der verdeckte Teuro.

Die Kluft zwischen amtlicher und persönlicher Inflation liegt in den sogenannten Warenkörben verborgen. In diese packen Fachleute des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden und deren Kollegen von Eurostat in Brüssel alles hinein, was der vermeintliche Durchschnittsbürger so verbraucht, von der Zahnbürste bis zum Auto. Das ist allerdings in Griechenland etwas anderes als in Irland oder hierzulande. Für die Messung ziehen Preiserheber fortlaufend durchs Land und erheben in immer wieder denselben Geschäften die Preise. Zusätzlich recherchiert die Zentrale im Internet oder in Versandhauskatalogen. Insgesamt werden so monatlich über 300 000 Einzelpreise allein in Deutschland notiert. Die amtlich erhobenen Preisdaten wandern dann in den Warenkorb. In diesen packen die Wiesbadener Statistiker rund 750 Waren und Dienstleistungen: So liegen im Korb die Preise für »Lotto« und Zeitungen, für Müllabfuhr und Textilien, Ärzte, Benzin und Lebensmittel.

Die Verbraucherpreise in Deutschland lagen im Juli 2013 um 1,9 Prozent höher als vor einem Jahr. Dabei hatte die Inflationsrate noch im Mai bei lediglich 1,5 Prozent gelegen. Der Preisauftrieb hat sich damit verstärkt. Der Teuro-Trend wurde von deutlichen Preiserhöhungen bei Strom und Nahrungsmitteln geprägt. Allein Kartoffeln legten um 44,4 Prozent zu.

Doch spätestens bei Speiseeis oder Kino scheiden sich die Statistik-Geister, und auch hinsichtlich der Nutzung von Computer oder öffentlichem Nahverkehr sind die Verbrauchsgewohnheiten sehr unterschiedlich; und wer gerne frische Sachen auf dem (teuren) Wochenmarkt kauft, wird die Preise anders empfinden als jemand, der Fertigkost beim (billigen) Discounter erwirbt. Ein weiterer Grund für Abweichungen der persönlichen zur gemessenen Inflation ist die unterschiedliche Wahrnehmung von Preisveränderungen für Waren des täglichen Bedarfs, wie Kartoffeln, und für langlebige Konsumgüter wie Autos. Auch der »Kauf von Fahrzeugen« landet nämlich im Warenkorb - mit dem dreifachen Gewicht von »Gemüse«.

Maßgeblich für die schon traditionellen Widersprüche zwischen Statistikern und Verbrauchern ist die Gewichtung der einzelnen Produkte im Warenkorb, das sogenannte Wägungsschema. Die Gewichtung der 750 Produkte wird immer wieder geändert. So stieg der Anteil der Miete zunächst von 17 auf rund 21 Prozent und stagniert hier seit einiger Zeit. Während Gemüse, das schon länger verdächtigt wird, ein besonders starker Preistreiber zu sein, bei einem Anteil von nur einem Prozent verharrt. Seit einem Jahrzehnt berücksichtigt das Statistische Bundesamt auch Veränderungen von Produkten (»hedonische Qualitätsbereinigung«). So ist der tatsächliche Kaufpreis für Laptops und Handys ziemlich gleich geblieben - statistisch sinkt er jedoch. Als Grund wird genannt: Die aktuelle Computergeneration sei doch weit fitter als der gute alte »386er«.

Wägungsschema und Warenkorb spiegeln jedoch bestenfalls einen Querschnitt wider. Studien von Sozialwissenschaftler zeichnen jedoch ein gänzlich anderes Verbraucherverhalten im unteren Einkommensdrittel: So geben Millionen EU-Bürger auch aufgrund der in den letzten Jahren deutlich gestiegen Mieten einen weit hören Anteil ihres Einkommens fürs Wohnen aus. Auch die Ausgaben für Energie und Nahrungsmittel sind »unten« in der Gesellschaft weit höher, als es Destatis und Eurostat nahelegen. Vor diesem Hintergrund lesen sich die jüngsten Inflationszahlen noch unschöner.

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