Ein neoliberales Programm von Maß und Mitte - Das CDU/CSU-Wahlprogramm

Von Joachim Bischoff

26.06.2013 / sozialismus.de, vom 25.06.2013

CDU und CSU haben ihr gemeinsames Wahlprogramm beschlossen. Kern des »Regierungsprogramm 2013-2017« ist die Festlegung auf die Haushaltskonsolidierung. Die Union geht davon aus, dass die Sanierung der öffentlichen Finanzen mit einer Stabilisierung des Wirtschaftswachstums honoriert werden wird.

Da zugleich die Logik der Rückführung der öffentlichen Schulden auch in der Euro-Zone zum Programm erhoben wird, soll es in den nächsten Jahren im Konzert mit den Nachbarstaaten wirtschaftlich aufwärts gehen. Die politisch relevante Schlussfolgerung: Angesichts zu erwartender Steuermehreinnahmen und Umschichtungen im Haushalt gibt es genügend Finanzspielräume für Reformvorhaben.

CDU und CSU geben in ihrem Regierungsprogramm daher gleichzeitig milliardenschwere Versprechen ab: Verbesserungen für ältere Mütter bei der Rente, finanzielle Entlastungen für Familien sowie Investitionen in Infrastruktur und Bildung, Mietpreisbremse und ein branchenspezifischer und regional festgelegter Mindestlohn.

Steuererhöhungen seien für eine solche Weiterentwicklung des Sozialstaates nicht notwendig. Die gesamte Wahlstrategie lebt von der Hypothese, dass die neoliberale Regierungskoalition das Land gut durch die Krise gebracht hat und es jetzt weiter aufwärts geht.

Im Zentrum des Programms steht eindeutig die Familienpolitik. Insgesamt will die Union die Familienleistungen erheblich ausbauen. »Im Sinne eines Familiensplittings« will sie den Steuerfreibetrag schrittweise erhöhen und Kinder letztlich rechtlich wie Erwachsene behandeln. Ebenso sollen Kindergeld und Kinderzuschlag steigen.

In diesen Zusammenhang ist auch die Stabilisierung der Mietkosten einzuordnen. Die Mietpreisbremse sei eine gute Idee. In angespannten Lagen sollen bei Wiedervermietung Mieterhöhungen auf 10% oberhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete beschränkt werden können. Doch das ist noch nicht alles, die Union will auch das Wohngeld erhöhen. Seine Höhe und die Miethöchstbeträge sollen an die Entwicklung der Bestandsmieten angepasst werden. Die Hauptlast des »neoliberalen Wohnungsprogramms« tragen die Eigentümer und Vermieter, deren Bereicherung in einer Mangelsituation etwas geblockt wird.

Darüber hinaus plant die Union eine schrittweise Verringerung der »Gerechtigkeitslücke« in der Alterssicherung. Sie will auf die Überschüsse in der Rentenversicherung zurückgreifen und Verbesserungen für ältere Mütter bei der Rente erreichen. Vordergründig werden die öffentlichen Finanzen nicht tangiert.

Auch in Sachen der Sicherung von Arbeitseinkommen ist ein Entgegenkommen auf gewerkschaftliche Positionen geplant: Von einer Kommission der Tarifpartner soll branchenweise ein Mindestlohn (der auch so genannt wird und nicht mehr euphemistisch »Lohnuntergrenze«) festgelegt werden. Abgerundet wird die Konzeption durch höhere Investitionen in den Bereichen der öffentlichen Infrastruktur, vor allem dem Straßenbau.

Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel hat ihre Partei zu einer entschiedenen Verteidigung der bürgerlichen Vorherrschaft aufgerufen: »Der 22. September ist eine Richtungsentscheidung für unser Land.« Es gehe darum, ob Deutschland mit CDU und CSU weiter auf Erfolgskurs bleibe, »oder ob es mit Rot-Rot-Grün bergab geht«.

Dass das bürgerliche Lager insgesamt hinter diesem Regierungsprogramm steht, kann nicht behauptet werden. Der kränkelnden FDP erlaubt es eine Profilierung als neoliberale Schutztruppe. Die Union habe sich »vom süßen Gift des Geldausgebens« verleiten lassen, so FDP-Chef Rösler. Den Wunsch nach höheren Renten für ältere Mütter bezeichnete er als nicht finanzierbar. Eine Finanzierung über Steuern würde die Neuverschuldung in die Höhe treiben. Würden die Pläne der Union über die Rentenversicherung finanziert, wären Beitragserhöhungen die Konsequenz. Dann stünden womöglich Jobs auf dem Spiel.

Mit großer Ablehnung reagieren die Arbeitgeberverbände auf die Unions-Ideen für eine Lohnuntergrenze. Gleichzeitig zeigen sie in dieser Frage neue Sympathien für die FDP. Das Modell der Union für eine allgemeine Lohnuntergrenze sei »nicht durchdacht« und in Teilen »kurios«, sagte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt. »Ich begrüße das klare Nein der FDP zu einem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn.«

Von den Organisationen der Wirtschaft wird auch die Zielsetzung einer schrittweisen Schließung der angeblichen Gerechtigkeitslücke in der Alterssicherung abgelehnt. Die rentenpolitischen Pläne von CDU und CSU werden nach Berechnungen der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) zu deutlichen Mehrbelastungen der Beitrags- und Steuerzahler führen. »Die Vorschläge zur Ausweitung der Mütterrenten und zur Einführung einer Lebensleistungsrente werden entgegen der Behauptung der Bundeskanzlerin langfristig sowohl höhere Beiträge zur Folge haben als auch den Bundeshaushalt belasten. Ich halte deshalb diese Rentenpläne für einen schweren Fehler.«

Die Union argumentiert, die Rentenverbesserungen werden den Bundeshaushalt »nichts« kosten und allenfalls die Spielräume für eine weitere Absenkung des Rentenversicherungsbeitrags von derzeit 18,9% schmälern. Hundt dagegen warnt: »CDU und CSU machen sich etwas vor, wenn sie tatsächlich glauben, höhere Mütterrenten seien so eben nebenbei zu finanzieren.« Tatsächlich würden die Pläne die Rentenkassen allein in den nächsten 15 Jahren mit mehr als 100 Mrd. Euro belasten. »Die Folge wäre nicht nur ein höherer Beitragssatz, sondern – anders als die Union behauptet – auch eine Belastung des Bundeshaushalts, weil der Bund über den Bundeszuschuss ein Viertel der Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung mitfinanziert«, sagte er. Überdies rechne die Bundesregierung in der längerfristigen Perspektive bis zum Jahr 2030 ohnehin schon selbst mit einer Steigerung des Beitragssatzes auf 22%. »Diese Beitragssteigerung wird noch höher werden, wenn die Union sich mit ihren Vorschlägen zu neuen teuren, langfristig wirkenden Mehrausgaben durchsetzt.«

All diese Maßnahmen sind mit der SPD als Koalitionspartner leichter umzusetzen, als mit der FDP, die bereits jetzt die Großzügigkeit der Union angreift. Die FDP hält etwa auch die Pläne, die Renten für Mütter, die vor 1992 Kinder geboren haben, zu erhöhen, für nicht ausreichend gegenfinanziert.

Peer Steinbrück hat das Wahlprogramm der Union als angekündigten Betrug am Wähler kritisiert. Es gebe keinerlei Finanzierungsvorschläge zu den wahnwitzigen Versprechungen, sagte der Kanzlerkandidat der SPD am Montag in Berlin. »Das hier ist der Wahlbetrug mit Ansage«, schimpft auch SPD-Chef Sigmar Gabriel. Beide Politiker verwiesen darauf, dass es selbst in den Reihen der CDU massive Zweifel am Wahlprogramm gebe.

Die Differenzen zwischen den Regierungsparteien und die Distanz zu den Wirtschaftsorganisationen müssen nicht sonderlich ernst genommen werden. Die Tendenzen zur Sozialdemokratisierung haben eindeutig taktischen Charakter. Die Union attackiert die SPD auf dem politischen Terrain, auf dem sie vermeintlich am stärksten ist: beim Thema soziale Gerechtigkeit.

Das ist für die SPD-WählerInnen ein ganz wesentlicher Inhalt und eine Erwartung an ihre Partei. Das gilt auch für die Arbeitsmarktpolitik. Die Sozialdemokratie konnte in den zurückliegenden Wahlkämpfen mit ihrer Orientierung punkten einen Ausgleich zwischen wirtschaftlichem Erfolg und sozialer Gerechtigkeit sicherstellen. Die Union hat die SPD in letzter Zeit zurückgedrängt, denn die BürgerInnen trauen der CDU weit eher als den Sozialdemokraten zu, die Arbeitslosigkeit zu senken.

Der Wahlforscher Richard Hilmer von Infratest dimap fasst zu Recht in einem Interview mit der Tagesschau zusammen: »Das Wahlprogramm ist für die Union gar nicht so wichtig, weil sie mit der Kanzlerin in den Wahlkampf geht. Das Programm der Union heißt ›Angela Merkel‹. Sie steht für eine erfolgreiche Kanzlerschaft. Sie findet große Zustimmung in der Bevölkerung – weit über die Unionsanhängerschaft hinaus. Vor diesem Hintergrund kann sich die Union eine gewisse programmatische Schwammigkeit erlauben. Die Partei ist inhaltlich gewissermaßen entkernt.«

Die CDU sei zurzeit wenig erkennbar. Eine CDU ohne Merkel stehe gegenwärtig wohl kaum an, aber für die Partei dürfte dies noch einmal eine echte Herausforderung werden. »Es ist bezeichnend, dass die CDU schon lange keine Wahl mehr gewonnen hat. Sie hat viele Landtagswahlen verloren und auch in den Städten war sie in den vergangenen Jahren wenig erfolgreich. Das ist der Preis für die Profillosigkeit: Merkel gewinnt, die CDU als Partei droht darüber aber zu verblassen. Für die Gestaltung von Politik auf Landesebene reicht es eben nicht aus, damit zu werben, dass man eine Bundeskanzlerin Merkel an der Spitze hat.«