Wenn man einen Sumpf trocken legen will, darf man nicht die Frösche fragen!

Von Peter Wahl

14.06.2013 / www.steuer-gegen-armut.org, 11.06.2013

Studie von Goldman & Sachs befeuert Kampagne gegen Finanztransaktionssteuer


Nachdem im März 2013 die EU formell das Verfahren für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer (FTS) im Verfahren der sog. Verstärkten Zusammenarbeit („Koalition der Willigen“) von elf Mitgliedsstaaten eingeleitet hatte, setzte in der zweiten Maihälfte eine publizistische und Lobby-Offensive der Gegner der Steuer ein. Dabei wurden neben sattsam bekannten Behauptungen wie der, dass Kleinsparer und Rentner die Hauptlast der Steuer
zu tragen hätten, auch zwei neue Argumente vorgetragen: das Steueraufkommen sei exorbitant hoch und die sog. Repo-Geschäfte (s.u.) seien bedroht.

Offensive gegen die FTS

Neben zahlreichen Berichten in europäischen Medien stach besonders hervor, dass der Finanzminister Baden-Württembergs, Nils Schmid (SPD), entgegen der offiziellen Position seiner Partei, sich gegen die FTS wandte, weil sie „gravierende Auswirkungen in bestimmten Marktsegmenten“ habe. Parallel dazu vollzog das französische Finanzministerium in den Brüsseler Verhandlungen eine Kehrtwendung und setzt sich seither für eine drastische Verwässerung des Entwurfs der EU-Kommission ein. Gleichzeitig bot die EZB, die langjährige Gegnerin der FTS ist, der Kommission „Beratung“ bei der Ausgestaltung der Steuer an. Die Bundesbank, die der FTS ebenfalls skeptisch gegenüber steht, führt jetzt eine Serie von „Gesprächen“ mit Bundestagsabgeordneten, um sie vor den angeblichen Risiken zu warnen.

Im Juni wurde allerdings bekannt, dass Goldman & Sachs am 1. Mai eine Studie in Umlauf gebracht hatte, in der die neuen Behauptungen gegen die FTS erstmals formuliert wurden.[1] Das Hauptargument lautet: die Steuer würde allein für 42 untersuchte große europäische Banken zu einer Steuerlast von 170 Mrd. Euro führen. Das ist fünf Mal so viel wie die EU-Kommission für sämtliche Banken der elf Länder zusammen prognostiziert hatte (34 Mrd. Euro). Am stärksten betroffen seien die sog. Repo-Geschäfte (s.u.) mit 118 Mrd. Euro, gefolgt vom Derivatehandel mit 32 Mrd. Euro, dann Aktien (11 Mrd. Euro), Staatsanleihen (4 Mrd. Euro) und Sonstige.


Unter Ländergesichtspunkten würden französische Banken mit 61 Mrd. Euro am härtesten getroffen, dann deutsche mit 35 Mrd. - darunter die Deutsche Bank mit allein 28 Mrd. Euro. Die sechs Banken mit der prozentual höchsten Belastung[2] wären Natixis (423%), Commerzbank (381%), Deutsche Bank (362%), Crédit Agricole (220%), Sociéte Générale (211%) und BNP Parisbas (168%).

Rechentrick von Goldman & Sachs

Das extrem hohe Steueraufkommen, von dem Goldman & Sachs redet, ist das Resultat eines simplen Rechentricks: es wurden einfach die Umsätze auf den einzelnen Märkten für das zurückliegende Jahr 2012 genommen, und dafür mit den von der EU vorgesehenen Steuersätzen (0,1% für Aktien und Anleihen, 0,01% für Derivate) die Steuereinnahmen berechnet. Das ist aber eine unzulässige Methode, denn sie setzt stillschweigend voraus, dass sich das Marktverhalten durch die FTS nicht verändert.[3] Die Goldman Banker bezeichnen ihr Verfahren als „pro forma FTT.“

Auf ähnliche Weise hatten NGOs in den Anfangsjahren der Kampagne für die Tobin-Steuer vor 15 Jahren gerechnet, indem sie auf die bestehenden Devisenumsätze einfach einen bestimmten Steuersatz berechneten und so ebenfalls auf eine unrealistische Höhe der Einnahmen kamen. Tatsächlich führt die Lenkungswirkung der Steuer aber ja gerade dazu, dass viele Geschäfte durch die FTS teurer werden und sich nicht mehr rentieren. Sie finden deshalb gar nicht mehr statt. Dementsprechend vermindern sich die Steuereinnahmen. Wie alle seriösen Kalkulationen berücksichtigt die EU-Kommission bei ihren Berechnungen diese als Elastizität der Märkte bezeichnete Dynamik. Während die NGOs seinerzeit einem Irrtum erlagen, will Goldman & Sachs mit seinem Rechentrick heute zielgerichtet Stimmung gegen die FTS machen.

Repo-Geschäfte – Spekulation in großem Maßstab

Repo-Geschäfte sind kurzfristige Kredite, die sich Banken untereinander gewähren. Die Laufzeit beträgt wenige Stunden oder auch einen Tag. Wer braucht solche Kredite? Bestimmt kein Unternehmen oder eine Bank, die ein realwirtschaftliches Projekt finanziert oder absichert. Denn dabei geht es normalerweise um Laufzeiten von Jahren, oder bei Absicherung von Handelsgeschäften mitunter auch einmal um Wochen.

Gebraucht werden aber Kredite mit so superkurzen Laufzeiten für kurzfristige Spekulationsgeschäfte, wo schnell eine Zinsdifferenz hier oder eine Aktienkursschwankung dort ausgenutzt werden sollen, um einen schnellen Euro zu machen. Oder man braucht sie um für ein Spekulationsgeschäft für ein paar Stunden Sicherheiten ausweisen zu können. Außerdem wird der Repo-Kredit gern dazu benutzt, hebelverstärkte Operationen durchzuführen. Man leiht sich für ein paar Stunden Hundert Millionen, um einen entsprechend höheren Profit erzielen zu können und

zahlt sie nach Abschluss wieder zurück. Und schließlich braucht man Repos für Leerverkäufe, also für die Spekulation auf fallende Kurse - ein besonders riskantes und mit hohen Stabilitätsrisiken behaftetes Geschäftsmodell.

Schulmeister macht darauf aufmerksam, dass die Repos für den Crash 2008 eine große Rolle spielten, weil sie zuerst zu Blasen und dann zu Dominoeffekte geführt hatten. Dennoch wurde dem Problem in den bisherigen Reformbemühungen keine Aufmerksamkeit geschenkt, weder in den Regulierungen in den USA noch in der EU. Mit der FTS ändert sich das. Auch wenn die Zahlen von Goldman & Sachs aus durchsichtigem Interesse schamlos überzogen sind, so ist es andererseits natürlich richtig, dass mit der FTS erstmals eine Einschränkung der Spekulation mit Unterstützung von Repo-Geschäften erfolgen würde. Das ist aber gewollt und gut so. Denn der Zweck der FTS ist es nicht nur Steuereinnahmen zu erzielen, sondern auch die Lenkungswirkung, also mehr Stabilität auf den Finanzmärkten und besserer Schutz vor Blasen und Crashs. Also eine längst überfällige Konsequenz aus den Erfahrungen der Finanzkrise.

[1]Goldman Sachs. Europe: Financial Services Equity Research: Financial Transaction Tax: How severe? May 1, 2013

[2] Bezogen auf Gewinn vor Steuern.

[3] Wir folgen hier einer Argumentation, aus Kapitel 4.3. einer noch nicht veröffentlichen Studie des Wiener WIFO-Instituts, die Stephan Schulmeister verfasst. Die Veröffentlichung der Studie ist für Ende Juni 2013 geplant