Euro-Geldpolitik vor dem Kadi

Von Rudolf Hickel

09.06.2013 / 09.06.2013

Am 11./12. Juni wird vor dem Bundesverfassungsgericht in dem Hauptverfahren über das Ja des Deutschen Parlaments zum Euro-Rettungsfonds (ESM) verhandelt. Aber auch die Europäische Zentralbank sitzt wegen ihrer Politik unbeschränkter Käufe von minderwertigen Staatsanleihen aus Eurokrisenländern und anderer Liquiditätshilfen an notleidende Banken auf der Anklagebank. Egal wie der Verhandlung ausgeht, dieser Prozess hat die Qualität, nicht nur in die jüngste Geschichte Euro-Währungspolitik einzugehen. Die Deutsche Bun­desbank streitet mit DM-nostalgischer Fundamentalkritik gegen die Währungspolitik ihrer Oberbehörde, der Europäischen Zentralbank. Worum geht es? Bereits Jean-Claude Trichet hatte im Oktober 2010 mit dem Kaufprogramm für die Wertpapiermärkte („Securities Market Programme“, SMP) Liquidität geflutet. Unter dem nachfolgenden EZB-Präsidenten Mario Draghi wurde diese monetäre Rettungspolitik ausgebaut. Seine eindeutige Kriegserklärung gegen die zerstörerisch wirkenden Spekulanten mit allen Mitteln vorzugehen, wirkte Wun­der. Eine der wichtigsten Interventionen wurde im September 2012 beschlossen. Im Zent­rum stehen jetzt geldpolitische Outright-Geschäfte („Outright Monetary Transaction, OMT)“. Mit diesem neuen Typ von Offenmarkt-Operationen werden minderwertige Staatsanleihen mit einer Laufzeit bis zu drei Jahren und hohem Ausfallrisiko aus Euro-Krisenländern in die EZB- Bilanzbilanz übernommen. Ende 2012 hatten sich 534 Mrd. Euro derartiger Staatsanlei­hen aus den Krisenländern, die allerdings danach wieder schrittweise reduziert worden sind, angehäuft. Im Protest gegen diesen Tabubruch sind zwei Restriktionen bei diesen Ankäufen nicht genannt worden: Zum einen dürfen Staatsanleihen nicht direkt vom Staat in die EZB-Pension übernommen werden. Der Kauf bleibt auf die Sekundärmärkte beschränkt. Zum anderen sind die Offenmarktgeschäfte auf Länder im Rettungsfonds, die sich dem Abbau von Haushaltsdefiziten unterwerfen, beschränkt. Wirkungsverluste der monetären Operatio­nen werden zugunsten der fiskalischen Disziplinierungspolitik in Kauf genommen.

Dass diese unkonventionelle Stabilisierungspolitik bei nationalstaatlich orientierten Moneta­risten auf Widerstände stoßen musste, war vorprogrammiert. Dabei steht die massive Kritik aus der Politik, der Wirtschaft, der Wissenschaft und den Medien im Widerspruch zu deren Begründungen sowie den vorstellbaren Alternativen. Allein deshalb verdient die Deutsche Bundesbank für ihre Stellungnahme an die Adresse Karlsruhe mit über 52 Seiten erst ein­mal ein großes Kompliment. Die Kritik an der martialischen Liquiditätspolitik der EZB, die mit dem Einsatz von Kriegsgeräten wie der „Dicken Bertha“ oder der Panzerabwehrhandwaffe „Bazooka“ assoziiert wird, gerät zum glühenden Plädoyer für eine aus dem Nationalstaat modellierten Geldpolitik, die der EZB empfohlen wird. Dagegen steht der im Auftrag der EZB durch den Europarechtler Frank Schorkopf vorgelegte Schriftsatz. Hier wird die EZB-Politik mit dem Ziel, für stabile Preise erst einmal einen stabilen Währungsraum zu schaffen, begründet.

Die Vorwürfe der Deutschen Bundesbank gegen die übergeordnete Euro-Notenbank aller Banken könnten härter kaum ausfallen. Jens Weidmann, in den Entscheidungsgremien der Euro-Notenbank mit seiner Kritik unterlegen, überzieht seinen EZB-Präsidenten Mario Draghi mit harter Kritik. Die EZB habe die außerhalb der geldpolitischen Willensbildung ste­hende Regel der Inflationsvermeidung opportunistisch den „fiskalischen Interessen“ der Staaten untergeordnet. Schließlich wird der Verlust der Unabhängigkeit der EZB-Geldpolitik durch gezielte Käufe von minderwertigen Anleihen menetekelt: „Die Käufe können überdies die Unabhängigkeit der Zentralbanken belasten, die eine zentrale Voraussetzung für die er­folgreiche Erfüllung ihrer Hauptaufgabe – die Wahrung der Preisstabilität – ist“.

Im durch die EZB veranlassten Contra-Schriftsatz wird deren Sicht nachvollziehbar präsen­tiert. Die zentrale Botschaft: Die Bundesbank hat die Realisierung der Ziele, die Instrumente und die Funktionsweise einer Notebank für den gesamten Euro-Währungsraum nicht begrif­fen. Weidmann & Co vermissen die EZB mit dem längst überwundenen Modell der Geldpo­litik zu DM- Zeiten. Da gab es einen recht einheitlichen, durch die internationale Konkurrenz gehärteten Wirtschaftsraum. Die Voraussetzungen für eine einheitliche Zinspolitik stimmten. Von der Übertragung geldpolitischer Impulse über Anreize durch die Banken in die Real­wirtschaft konnte mehr oder weniger ausgegangen werden. Die EZB, deren geldpolitisches Instrumentarium ohne Differenzierung für den Währungsraum mit siebzehn Ökonomien passen muss, steht unter zwei Herausforderungen. Zum einen sieht sich die Geldpolitik ei­nem gespaltenen Wirtschaftsraum, zu dessen Überwindung sie auch beizutragen hat, kon­frontiert. Mit dieser Aufgabe wird jedoch die EZB völlig überfordert. Zur Entlastung der Geldpolitik mit dem Ziel, die Wirtschaft zu stärken und Arbeitsplätze zu schaffen, wäre eine komplementäre Vergemeinschaftung der Finanz- und Wirtschaftspolitik dringend geboten. Dieser Gedankengang wird im Schriftsatz der Deutschen Bundesbank nicht angesprochen. Zum anderen fehlt es im Euroraum an einer stabilen Währungsordnung und vor allem an einem funktionierenden Geldmarkt zwischen den Banken. Das Misstrauen zwischen den Banken zwingt die EZB, die Geldmärkte erst einmal zu stabilisieren. Zum Ziel Geldwertsta­bilität tritt eine für die Deutsche Bundesbank mit dem damaligen DM-Währungsregime un­bekannte Aufgabe hinzu: Sie muss die Finanzmärkte innerhalb des Eurolandes überhaupt erst sichern. Denn stabile Preise sind nur in einem stabilen Währungsraum, den es jedoch zu schaffen gilt, zu garantieren. Die EZB ist in doppelter Weise Lückenbüßerin. Sie springt einerseits gegenüber intakten Geldmärkten mit ihren unkonventionellen Offenmarkt-Operationen ein. Dazu gehört die übrigens erfolgreiche Absenkung der exorbitanten Rendi­ten für Anleihen in den Krisenstaaten. Durch die Liquiditätszufuhr soll auch die Kreditverga­be der Banken an Unternehmen in der Produktionswirtschaft gestärkt werden. Derzeit ver­fälschen Banken durch kurzfristig rentable Geschäfte die Impulse. Andererseits belasten die den Krisenstaaten als Gegenleistung für Finanzhilfen abverlangte Schrumpfpolitik die geld­politischen Möglichkeiten. Eine expansive Wirtschaftspolitik sowie der Ausbau der fiskali­schen und wirtschaftlichen Vergemeinschaftung wären erforderlich.

Diese doppelte Lückenbüßer-Politik hält die Bank der Banken im Euro-Währungsraum auf Dauer nicht durch. Die EZB darf in ihrem monetären Bekenntnis zur Gemeinschaftswährung nicht länger alleine gelassen werden. Dazu sind eine klare Politik zur Stabilisierung der Fi­nanzmärkte durch eine regulierte Bankenunion sowie der Ausbau zu einer Fiskal- und Wirt­schaftspolitik erforderlich.

Das Bundesverfassungsgericht muss wissen, es gibt nur eine einzige Alternative. Es wird der Deutschen Bundesbank gefolgt. Mit dieser vom früheren D-Mark-Status aus gedachten nationalstaatlich reduzierten Geldpolitik würde nach langen Krisenprozessen der Druck zum Euro-Exit erhöht. Ohne einen Ausbau der Haftungs- und Verantwortungsunion hat der Euro keine Chance. Oder die Aufgabe der EZB, auch mit unkonventionellen Maßnahmen den Euro zu stabilisieren, wird anerkannt. Zugleich müssten die Signale in Richtung einer funkti­onierenden, monetären Steuerung im Euro-Raum sowie zur weiteren fiskalischen und wirt­schaftlichen Vergemeinschaftung eingesetzt werden. Was die Bundesbank in ihrem Schrift­satz versäumt hat, muss jetzt durch das Bundesverfassungsgericht nachgeholt werden. Die ökonomischen, sozialen und politischen Folgen eines Euro-Exits müssen offengelegt wer­den.