Hauptwiderspruch Euro?

Von Ingo Schmidt

20.05.2013 / 19.05.2013

Es wird wieder gespart. Die neoliberale Spar- und Umverteilungspolitik hat zum Ausbruch von Weltwirtschafts- und Eurokrise beigetragen wie Kapitalismuskritiker behaupten? Keynesianische Ökonomen weisen auf die staatlichen Ausgabenprogramme hin, ohne welche die Krise unmittelbar in eine Depression übergegangen wäre? IWF-Präsidentin Lagarde und ihr Chefökonom Blanchard warnen, die fortbestehende Gefahr einer Depression sei nur zu bannen, wenn der Fuß von der Schuldenbremse genommen wird?

Bloß nicht auf die Miesmacher hören. Bundesbank-Chef Weidmann weiß es besser. Als sei er immer noch Berater von Bundeskanzlerin Merkel gibt er den neoliberalen Ton an, Merkel und Schäuble übersetzen ihn in länderspezifische Sparprogramme und reichen diese zur Durchsetzung an die EU-Kommission weiter. Auf diese Weise ist es der Bundesregierung bislang gelungen, die Krisenfolgen – steigende Arbeitslosigkeit, Verelendung und drohenden Staatsbankrott – auf andere Länder abzuwälzen und Deutschland zum europäischen Wirtschaftswunderland zu stilisieren. Untergründig treibt aber auch viele Menschen in Deutschland die Angst vor griechischen Verhältnissen um.

Von der Alternative für Deutschland über CDU-Fraktionsvize Bosbach bis zum Noch-FDPMitglied Schäffler werden solche Ängste aufgegriffen und in ein Programm deutscher Selbstbehauptung umgeformt. Nicht der Neoliberalismus gilt ihnen als Problem, sondern dessen Verwässerung durch das institutionelle Dickicht der EU einschließlich EZB. Sie halten die Gemeinschaftswährung für den Vorboten einer europaweiten Gemeinschaftshaftung, die deutsche Spargroschen in den Strudel südeuropäischen Schlendrians ziehen werde. Als Alternative zu den supranationalen Institutionen der EU schwebt ihnen der ungehinderte Wettbewerb von Standorten und nationalen Währungen vor. Vom Euro-Ballast befreit sei der Standort Deutschmark fit für den Weltmarkt.

Linke Euro-Kritik

Mit gänzlich anderer Stoßrichtung wird der Euro von links kritisiert. Nicht um die Eroberung des Welt(währungs)marktes durch die D-Mark gehe es, sondern darum den Wettbewerbsdruck auf die krisengeschüttelten Länder Südeuropas durch Wiedereinführung nationaler Währungen und Abwertung gegenüber den Gläubigerstaaten zu lindern. Nur auf diese Weise ließen sich weitere soziale Verheerungen im Süden vermeiden und vielleicht sogar ein Ausweg aus dem wirtschaftlichen und sozialen Elend finden. Ergänzt wird diese ökonomische Argumentation, die mit Lafontaine jüngst einen prominenten Vertreter gefunden hat, durch die politische Euro-Kritik des ehemaligen Schröder-Beraters Wolfgang Streeck. Dieser hatte Blaupausen für Riester-Rente und Hartz-Reformen in der Absicht entworfen, den Sozialstaat gegenüber der Niedriglohnkonkurrenz aus China und anderen Ländern des Südens wettbewerbsfähig zu machen. Mittlerweile ist er jedoch zu der Ansicht gelangt, nicht die billige Arbeitskraft des Südens, sondern die Macht der Weltfinanzmärkte sei das Hauptproblem für Sozialstaaten und Demokratien des Nordens. Diese Macht sieht er in der EU institutionalisiert und plädiert für die Selbstbehauptung nationaler Demokratien gegen-2 über der Diktatur von EZB und Fiskalpakt. Durch Wechselkursanpassungen ließe sich der internationale Konkurrenzdruck soweit abmildern, dass in einzelnen Ländern soziale Kompromisse ausgehandelt werden könnten.

Wie weit trägt die Kritik?

Die Euro-Kritik von links und rechts ist, jeweils auf ihre Weise, durchaus begründet. Würde Weidmann nicht nur fiskalpolitische Ratschläge geben, sondern als Bundesbank-Chef über eine wieder eingeführte D-Mark präsidieren, wäre er längst mit Zinserhöhungen in den Währungskrieg gezogen. Einzig der EZB-Rat unter Draghi hält ihn davon ab. Dass die DMark aus den Spekulationsgewittern eines solchen Krieges als gehärtete Anlagewährung hervorgehen würde, ist allerdings zweifelhaft. Auch ohne steigende Zinsen befindet sich die Euro-Zone in einer leichten Rezession. Ein Zinsschock in ihrem ehemaligen Kernland würde einen wirtschaftlichen Absturz sondergleichen auslösen. Investoren würden sich fragen, woher in einer zerstörten Wirtschaft hohe Zinserträge kommen sollen und ihr Geld anderswo anlegen. Ob die Wiedereinführung von D-Mark oder Drachme zu der erwarteten Aufwertung der ersteren und Abwertung der letzteren führen würde, ist also keineswegs ausgemacht. Erratische Wechselkursschwankungen und die hiervon ausgehende Verunsicherung der Investoren, eines der besseren Argumente auf Seiten unentwegter EuroBefürworter, sind ebenso denkbar.

Diese Möglichkeit gilt auch mit Blick auf linke Abwertungsstrategien. Die Weidmann, Merkel und Schäuble samt ihrer Entourage in anderen Ländern, die sich gegenwärtig einer Aufgabe der Sparpolitik widersetzen, werden kaum geneigt sein, ein Währungssystem auszuhandeln, dass deutsche Konkurrenzvorteile aufgibt, um den Wettbewerbsdruck auf die schwächeren Euro-Länder zu mindern. Können sich die Regierungen der beteiligten Länder aber nicht auf ein solches System einigen, kommt es zu eskalierenden Wechselkursschwankungen, allgemeinem wirtschaftlichem Niedergang und politischen Konflikten. Selbst wenn sich solche zerstörerischen Entwicklungen vermeiden lassen und es statt dessen zu der angestrebten Abwertung von Drachme, Peseta und anderen kommt, sind diese ein zweischneidiges Schwert. Angesichts der Spezialisierung innerhalb Europas müssen viele Konsumgüter auf absehbare Zeit importiert werden, verteuern sich aber in Ländern, die ihre Währung abwerten. Über importierte Inflation kommt es zu ähnlichen Reallohnsenkungen wie im Falle EU-diktierte Sparprogramme. Zudem lösen Abwertungen das Schuldenproblem nicht. Wer von Schuldenstreichung nicht reden will, soll von Abwertung gar nicht erst anfangen.

Wie weiter?

Sofern sie nicht zur neoliberalen Augen-zu-und-durch-Truppe um Merkel, Steinbrück und Trittin gehören, müssen sich Eurobefürworter allerdings fragen lassen, welche Alternativen sie anzubieten haben. Dass die neoliberale Konstruktion des Euro die Krise wenn schon nicht ausgelöst, so doch mindestens massiv verschärft hat, ist auf der Linken unbestritten. Dass sich Alternativen zum Neoliberalismus innerhalb von EU und EZB nicht durchsetzen lassen, ist zumindest plausibel. Dennoch stellt die Frage ‚Wie hältst du’s mit dem Euro’ 3 nicht den Hauptwiderspruch linker Politik in Europa dar. Der Neoliberalismus hat seinen Siegeszug lange vor der Währungsunion begonnen und wird auch durch deren Auflösung oder Auseinanderbrechen nicht automatisch verschwinden. Dazu bedarf es überzeugender Alternativen und durchsetzungsfähiger sozialer Bewegungen. Wie die Dinge liegen, sind die Klassenkämpfe in Europa aufgrund der Vergemeinschaftung der Währung unter Fortbestand nationaler Fiskal-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik entlang staatlicher Grenzen fragmentiert. Wenn die Kämpfe in einem oder mehreren Ländern voranschreiten, in anderen aber nicht, kann sich die Frage des Euro-Austritts durchaus stellen. Entscheidend ist aber, dass es eine soziale Bewegung gegen den neoliberalen Kapitalismus gibt. Und noch etwas: Druck auf schwächere Länder kann über die Währungsunion aber auch auf andere Weise ausgeübt werden. Mit dem Aufbau einer starken Bewegung im Herzen der europäischen Bestie wäre unseren Genossinnen und Genossen in Griechenland mehr geholfen als mit der Wiedereinführung der Drachme.