Das Millionen-Denkmal in der Post-Demokratie

Von Joachim Bischoff und Bernhard Müller

28.04.2013 / sozialismus.de, vom 26.04.2013

Für Ex-Bürgermeister Ole von Beust ist die Elbphilharmonie das »Symbol für eine kulturelle Neuausrichtung«. »Die Elbphilharmonie wird ein Magnet sein und die Menschen in der Welt begeistern«. Sie sei wichtig für die Kultur in Hamburg, für die Architektur und die Menschen in Norddeutschland. Der geplante Bau sei zudem eindrucksvoller Ausdruck hanseatischen Bürgersinns. Der Beschluss zur Errichtung dieser modernen Pyramide erfolgte in trauter Eintracht durch eine große Parteienkoalition.

Seit Jahren hat sich allerdings herausgestellt, dass der »Bürgersinn« vor allem darin besteht, dass die HamburgerInnen für eine unkontrollierte Kostenentwicklung des prestigeträchtigen Baudenkmals immer tiefer in die Tasche greifen müssen. Mitte 2006 waren für dessen Bau noch Kosten von rund 186 Mio. Euro veranschlagt worden. Der Anteil, den davon die Stadt zu tragen hätte, wurde auf 77 Mio. Euro taxiert.

In den Folgejahren stiegen Baukosten und der davon von der Stadt zu zahlende Anteil progressiv. Ende 2011 stellte dann der Baukonzern Adamanta/Hochtief die Bauarbeiten ein, um Druck auf die Stadt bei der Beantwortung der Frage zu machen, wer die Kosten für Baumängel, Kostensteigerungen und Zeitverzögerungen zu tragen hat. Damit stand für den SPD-Senat die Alternative: die Verträge mit Hochtief kündigen oder aber neu verhandeln. Der erste Bürgermeister hat in seinem autoritären Stil entschieden: Das Projekt wird mit Adamanta/Hochtief zu Ende gebracht. Das »Handlungsszenario Kündigung« und Bau in Eigenregie werde nicht billiger und sei zudem mit hohen Risiken verbunden (67 Mio. Euro, die von Hochtief bisher zuviel kassiert wurden, zurückfordern, mögliche Schadensersatzforderungen von Hochtief etc.).

Schlussfolgerung: Die Gesamtverantwortung soll künftig bei Adamanta/Hochtief liegen, die die Gesamtfertigstellung des Bauvorhabens zum »Festpreis« von 575 Mio. Euro (+195 Mio. Euro gegenüber der ursprünglichen Planung) und bei Einhaltung folgender neuer Termine garantiert: Übergabe Konzertbereich zum 30.6.2016, Abnahme zum 31. Oktober 2016. Im Rahmen dieser Neuordnung verzichtet die Stadt »auf jegliche eigene Steuerungsmöglichkeit in operativer Hinsicht. Die Rolle der Stadt als Bauherrin wird primär überwachend sein.«

Diese »Neuordnung« wird aber vor allem eins: teuer. Denn nach der jetzt vom SPD-Senat vorgelegten neuen Kalkulation haben sich die Gesamtkosten für die SteuerzahlerInnen seit 2006 mehr als verzehnfacht. Für die Erstellung des »Leuchtturms« sollen danach bis zur Fertigstellung 866 Mio. Euro ausgegeben werden, von denen 789 Mio. Euro auf die Stadt entfallen. Und selbst die 866 Mio. Euro sind noch nicht die ganze Wahrheit. Denn hinzu kommen noch Ausgaben für die Anbindung des Konzerthauses, etwa für den Fußweg vom Baumwall zur Elbphilharmonie oder die neue Luxusklappbrücke – insgesamt werden für diese »westliche Anbindung« der HafenCity 27,6 Mio. Euro kalkuliert.

In den Gesamtkosten enthalten sind auch die Baukosten für den kommerziellen Bereich (Hotel, Parkhaus und Gastronomie), die ursprünglich privat finanziert werden sollten. Um die Kosten zu senken, wurde jedoch – wie bei anderen ÖÖP- und ÖPP-Projekten (z.B. Modell Hamburg Süd) auch – 2006 ein »Forfaitierungsmodell« beschlossen: Hochtief hat die Forderung über rund 130 Mio. Euro an die Stadt, die dem Konzern für den Bau der kommerziellen Bereiche zustanden, an die Bayerische Landesbank verkauft. Schuldner war damit nicht mehr Hochtief, sondern die Stadt – und so stellte die Bank das Geld zu günstigeren, öffentlichen Konditionen zur Verfügung.

Der Rechnungshof hat diese Form der Finanzierung öffentlicher Investitionen mehrfach zu Recht scharf kritisiert, weil erstens der Schuldenstand der Stadt schöngerechnet wird, zweitens über einen Zeitraum von über 20 Jahren (bis 2030) monatliche Zahlungen anfallen, die den staatlichen Handlungsspielraum einschränken, drittens die Zahlungen an die Bank erfolgen müssen, auch wenn gar nicht gebaut wird (die Arbeiten an der Elbphilharmonie ruhen ja faktisch seit Ende 2011) und viertens die ÖPP-Variante nur durch Rechenmanipulationen als günstiger gegenüber dem Bauen in Eigenregie ausgewiesen werden kann.

Wie teuer ÖPP für die SteuerzahlerInnen tatsächlich ist, dafür ist die Elbphilharmonie ein schlagendes Beispiel: Die Zinsen für den Kredit wollte die Stadt aus den Pachteinnahmen für das Hotel bestreiten. Da sich dessen Eröffnung jedoch immer weiter verzögert, der Kredit aber bereits bedient werden muss, muss die Stadt die Zinsen derzeit aus dem Haushalt vorstrecken. 2008 wurde dieser Posten erstmals mit knapp 13 Mio. Euro beziffert. Bis zur Neuordnung war er auf 21,5 Mio. gestiegen, und bis zur Hotel-Eröffnung 2016 oder 2017 wird er auf 48,5 Mio. Euro ansteigen.

Hinzu kommt: Die Gesamtkosten von 866 Mio. Euro erfassen »nur die Kosten der baulichen Realisierung, nicht aber die späteren Betriebskosten«. Für das FacilityManagement, also die Verwaltung und Bewirtschaftung von Gebäuden, Anlagen und Einrichtungen nach Fertigstellung, wurde mit Adamanta/Hochtief eine über 20 Jahre laufende Vereinbarung getroffen, die, sollten die Verträge zur »Neuordnung« unterschrieben werden, ein Volumen von 144,8 Mio. Euro hat. Damit müssen jährlich allein für diesen Teil der Betriebskosten 7,2 Mio. Euro aufgewandt werden.

Nach den Berechnungen des Senats fallen in der neuen Rechnung gegenüber den bisherigen Planungen ca. 300 Mio. Euro Mehrkosten (2013: 210 Mio. Euro; 2014: 82 Mio. Euro) an. Die sollen finanziert werden durch Rückgriff auf den Titel »Reserven für Maßnahmen zur Sanierung, Entschuldung und Rekapitalisierung«.

In der Tat operiert der Senat in seiner Haushaltsplanung für 2013/2014 mit globalen Mehr- / Minderausgaben von kumuliert knapp 700 Mio. Euro, auf die er, als hätte er es geahnt, zunehmend zurückgreifen muss. Es handelt sich dabei um nicht konkretisierte Mehr- (vor allem Reservefonds für alle möglichen Risiken und politische Vorhaben) und Minderausgaben, die die einzelnen Ressorts durch Sparleistungen und »Effizienzsteigerungen« erst noch erbringen müssen.

Hier verfügt der Senat über einige Stellschrauben für eine kreative Haushaltsführung, die er sich von der Bürgerschaft mit der Verabschiedung des Haushalts pauschal hat absegnen lassen. Mit der Notoperation Elbphilharmonie ist die Kasse allerdings schon weitgehend geleert. Und weitere »Notoperationen« und Einnahmeverluste zeichnen sich ab (Hapag Lloyd, Abschreibungen HSH Nordbank etc.). Setzt sich zudem der rückläufige Trend bei den Steuereinnahmen fort, ist der finanzpolitische Offenbarungseid nicht mehr weit.

Bürgermeister Scholz pocht mit seinen Parteileuten darauf, dass die Bürgerschaft bis Ende Juni dem neuen Vertrag zustimmen soll: »Am Ende hat es bei den Entscheidungen eine Abwägung gegeben über die Risikobeurteilung für die Zukunft. Und was für uns das Beste ist. Und natürlich hoffen wir, dass wir – weil wir es uns so schwer gemacht haben und wir so sorgfältig überlegt haben – Sie davon auch überzeugen können, dass Sie das auch richtig finden.« Die anderen Parteien sind nicht überzeugt.

Aber mangels besserer Argumente und keiner tragfähigen Alternative klagen sie über den Zeitdruck. Scholz habe gegenüber den Baukonzern 15 Monate Stillstand toleriert und wolle jetzt den Abgeordneten die Prüfzeit beschneiden. Das sei die Arroganz eines autoritären Politikers. »Die Elbphilharmonie ist nicht nur der Inbegriff von Geldverschwendung, sie ist auch ein Inbegriff von Arroganz der Macht und Unfähigkeit von politisch Verantwortlichen«, so der Abgeordnete der LINKEN, Norbert Hackbusch. Hamburg hat ein Symbol für Geldverschwendung und es hat einen »König Olaf«, der deutlich macht, dass ihm die Würde der gewählten Volksvertreter Wurst ist. Es bleibt wieder einmal einem Sozialdemokraten vorbehalten, den viel beschworenen »Bürgersinn« und den »ehrbaren hanseatischen Kaufmann« vollends auf den Hund zu bringen.