Wer anderen eine Grube gräbt

Von Thomas Nord

21.04.2013 / 19.04.2013

Vor zehn Jahren hatten die Defizitsünder Deutschland und Frankreich noch Glück. Nach langwierigen Verhandlungen setzte die EU das Defizitverfahren gegen die beiden größten Volkswirtschaften Europas aus. SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder und Frankreichs Präsident Jacques Chirac hatten es geschafft, die Stabilitätskriterien von Maastricht aufzuweichen. Deutschland und Frankreich gelobten Besserung und kamen 2003 mit einem blauen Auge davon. Jetzt ist die Situation anders. Deutschland steht im Moment als Musterschüler da, der französische Konjunkturmotor stottert gewaltig. Re­gierungschef Hollande musste nach gut einem halben Jahr im Amt eingestehen, dass sein Land das Defizitziel von maximal drei Prozent nicht einhalten kann. Er rechnet mit mindestens 3,5 Prozent. Obendrein kommen eine Rekord-Arbeitslosigkeit, Nullwachs­tum und ein rückläufiger Anteil der Industrieproduktion am Bruttoinlandsprodukt.

Der politische und ökonomische Druck auf den französischen Präsidenten wächst be­ständig, es werden allem voran Arbeitsmarktreformen erwartet. Die Regierung in Paris hat Reformbedarf eingeräumt und will sich dabei von den vor zehn Jahren in Deutsch­land eingeleiteten Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010 anregen lassen. Zu diesem Zweck wurde im letzten November ein Bericht des früheren EADS- und Bahnmanagers Louis Gallois vorgestellt, der 22 Schockmaßnahmen für die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit der französischen Wirtschaft empfiehlt. Die beiden größten Volkswirtschaften der EU sind mit dem Amtsantritt von François Hollande vor einem Jahr nicht mehr nur ökonomisch, sondern auch politisch weiter auseinandergedriftet. Vor allem mit Blick auf den anlaufenden Bundestagswahlkampf macht sich im Regie­rungslager Nervosität breit. Für grundfalsch hält man im Kanzleramt die Strategie des Elysée-Palastes, mit neuen Schulden gegen die Wachstumsschwäche anzugehen, statt den Kurs der Haushaltskonsolidierung fortzusetzen.

Im Dezember 2009 ist der Vertrag von Lissabon in Kraft getreten und ein halbes Jahr später musste die Kanzlerin vor den Deutschen Bundestag treten, um den geschlosse­nen Vertrag zu brechen. Die Finanzhilfen für Griechenland sollten eine einmalige Aus­nahme bleiben. Inzwischen haben fünf Mitgliedsstaaten der Euro-Zone den Rettungs­schirm in Anspruch genommen, mit Slowenien und Italien werden Nummer Sechs und Sieben schon angedeutet. Jetzt steht Frankreich in der Aufmerksamkeit der Finanz­märkte. Das heißt in den Wirtschaftsteilen, aber mittlerweile auch in den politischen Tei­len der großen Zeitungen werden beinahe täglich Berichte über die unhaltbaren Zu­stände des Arbeitsmarktes in Frankreich mit Titeln wie: „Stellenabbau? In Frankreich ist das fast unmöglich“[1] oder „Die Autofabrik als rechtsfreier Raum“[2] dargestellt, um die po­litische Situation anzuheizen. Damit wird besonders von Deutschland aus Druck auf die französische Regierung ausgeübt. In Frankreich wird die Situation anders formuliert. Dort wird der deutschen Sparpolitik und der Lohnkürzungspolitik die Schuld gegeben, der deutsche Vorsprung ist gefährlich für Europa.[3]

Aber auch die EZB hat die Regierung Hollande bereits aufgefordert, noch in diesem Jahr aktiv zu werden und die Stabilitätskriterien einzuhalten. Somit wird die EU dem­nächst entscheiden müssen, ob sie ein Strafverfahren wegen Stabilitätsverstoß eröffnet. Der Fiskalpakt kommt in seine erste Belastungsprobe. Damit ist die ökonomische Krise der Peripherie eine politische Krise des europäischen Zentrums geworden. Der Interna­tionale Währungsfond sieht die Frage der Fähigkeit der Kernländer aufgeworfen, den Randstaaten bei Bedarf zu helfen. Wenn Frankreich als Stabilitätsanker für die Euro-Zone wegbricht, wird Deutschland allein die Rettung der Gemeinschaftswährung nicht mehr schultern können. Mit der Zustimmung zum Zypern-Paket wurde zugleich der Haf­tungsanteil Deutschlands auf bald 30 % erhöht, weil Zypern wie die anderen Mitglieds­staaten unter dem Rettungsschirm von der Zahlungsverpflichtung befreit ist. Bereits im November hat die Rating-Agentur Standard & Poor´s der Bundesrepublik Deutschland mit Abstufung gedroht. Die deutschen Standardwerte haben ihren jüngsten Abwärts­trend deutlich beschleunigt und so tief wie noch nie in diesem Jahr geschlossen.

Dazu passend werden in einem Bericht über den Kursrutsch kursierende Marktgerüchte für den Minicrash verantwortlich gemacht.[4] Deutschland steht nach diesen Gerüchten unmittelbar vor einer Herabstufung seiner Bonität. Der Michel, der gerne wieder der Siegfried sein wollte, geht in die Knie. Unabhängig vom Gehalt dieser Spekulation ist die logische Folgerung richtig. Nachdem die Volkswirtschaft Nummer Zwei in der Euro-Zone ins Visier der Märkte geraten ist, ist es ein einfacher Schluss, dass danach die Nummer Eins wieder dran ist. Mit einer Ausweitung der finanziellen Belastung durch ein weiteres Rettungspaket zum Beispiel würde sich der Haftungsanteil ein weiteres Mal erhöhen. Dadurch würde nicht nur das Rating des ESM kritisch geprüft, sondern zwangsläufig auch das Deutsche. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Bonität der Bundesrepublik abgestuft wird und dies hier zur Begründung für eine weitere Runde im Kampf um die Wettbewerbsfähigkeit führen wird. Nicht umsonst wurde schon einmal das Stichwort einer Agenda 2020 in den Kommentarspalten verschiedener Zeitungen verbreitet.

Dies wird die Stabilität der Europäischen Union vor die größte Belastung ihrer Ge­schichte stellen und die politischen Unwägbarkeiten, die derzeit in Italien zu beobachten sind, in allen Mitgliedsstaaten gewaltig erhöhen. Das gilt sechs Monate vor der Bundes­tagswahl auch für Deutschland. Das Domino der Rating-Agenturen erreicht via Frank­reich die Bundesrepublik. Die Finanzmärkte werden anfangen, auf die Bonität der bei­den zentralen Staaten der EU zu wetten und erneut wachsenden Druck auf den Preis der Ware Arbeitskraft einfordern. Keine gute Ausgangsposition für Frau Merkel, die in den letzten Monaten gerne von sozialer Gerechtigkeit gesäuselt hat. Aber eine klare Aufgabe für DIE LINKE. Jetzt gilt es: 100% Sozial.

[1] www.welt.de

[2] www.faz.net

[3] nachrichten.rp-online.de

[4] www.aktie.net