"Drei Viertel des Bundestags verstehen die Krise nicht"

Interview mit Dr. Axel Troost auf www.zeit.de

29.03.2013 / www.zeit.de, 29.03.2013

ZEIT ONLINE: Herr Troost, laut Umfragen hat sich der Wähleranteil der Linken seit 2009 fast halbiert. Warum schafft es die Linke nicht, von der Finanzkrise zu profitieren?

Axel Troost: 2009 waren die Rahmenbedingungen ganz andere. Da wurden wir von vielen noch als einzige Oppositionskraft gegenüber der Großen Koalition gesehen. Das ist jetzt anders mit einer SPD, die zumindest im Wahlkampf links blinkt.

ZEIT ONLINE: Der Machtkampf zwischen Oskar Lafontaine und Dietmar Bartsch sowie die Spaltung der Ost- und Westverbände dürften ebenfalls nicht geholfen haben.

Troost: Wir hatten eine Führung, die nicht so glücklich agiert hat und auch nicht richtig akzeptiert wurde. Seit dem Parteitag in Göttingen im Juni 2012 haben der Ost- und der Westteil der Partei aber trotz Unterschiedlichkeiten wieder gelernt, vernünftig gemeinsam Politik zu machen.

ZEIT ONLINE: Kapitalsimuskritik ist wieder in geworden. Warum hilft das der Linken nicht? Lafontaine erzählt doch immer wieder, er habe die Krise kommen sehen. Sie selbst führen seit über 30 Jahren eine Arbeitsgruppe namens Alternative Wirtschaftspolitik.

Troost: In Deutschland gibt es die Tradition, dass die Menschen sich in Krisenzeiten eher an Bewährtem festhalten, als sich nach links zu orientieren. Es ist ja auch nicht so, dass die SPD im Zuge der Krise zugelegt hätte und nur die Linke nicht profitiert. Die gesamte soziale Bewegung, dazu zähle ich die Gewerkschaften, Attac oder die Friedensbewegung, hat bei Weitem nicht mehr die Stärke wie 2009. Da können wir als Partei nicht so agieren, wie wir es gerne wollen.

ZEIT ONLINE: Geht es den Deutschen nicht vielleicht einfach zu gut, um sich für linke Politik einzusetzen?

Troost: Das glaube ich nicht. Man sieht aber natürlich in Südeuropa, auch in starken Wirtschaftsnationen wie Frankreich oder Italien, dass die Anderen noch wesentlich schlechter dastehen. Dadurch ist die Genügsamkeit hierzulande etwas größer. Auf der anderen Seite glaube ich, dass viele Arbeitnehmer enorm unter Druck stehen, weil sie ständig um ihren Arbeitsplatz fürchten müssen.

ZEIT ONLINE: Sie haben 1982 zum Thema Staatsverschuldung und Kreditinstitute promoviert. Haben Sie damals schon geahnt, dass eine Schuldenkrise Europa treffen könnte?

Troost: Nein, mein Ausgangspunkt war, zu zeigen, dass Banken die Profiteure der Staatsverschuldung sind.

ZEIT ONLINE: Sind sie das denn?

Troost: Nein, ich konnte das nicht nachweisen. Die Profite, die auf diesem Weg zu erzielen sind, sind unterdurchschnittlich. Da ich mich aber mittlerweile mein halbes Leben mit dem Thema beschäftigt habe, weiß ich, dass wir in keinem europäischen Land, mit Ausnahme vielleicht von Griechenland, eine Staatsschuldenkrise haben. Was wir erleben, ist eine Staatsfinanzierungskrise.

ZEIT ONLINE: Was genau ist der Unterschied?

Troost: Das Problem ist nicht die Neuverschuldung, sondern die Umschuldung des vorhandenen Schuldenbestands. Für Kredite, mit denen die alten Schulden bedient werden sollen, gibt es keine vernünftigen Konditionen mehr. Bis 2007 hatte es das nie gegeben. Das ist das Neue, für das wir politische Lösungen finden müssen.

ZEIT ONLINE: Die Bundesregierung sieht das anders. Sie unterstützt einen europaweiten Sparkurs.

Troost: Diese rigorose Sparpolitik wird nicht dazu führen, dass Schulden reduziert werden. Im Gegenteil, höhere Arbeitslosigkeit und geringere Steuereinnahmen sind die Folge. Das wird die Wirtschaft ruinieren. Kein europäisches Land hatte im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung 2010 eine höhere Zinslast als 2000.

ZEIT ONLINE: Denken Sie, die Entscheidungen über die Euro-Rettungsschirme wurden auf falscher Grundlage gefällt?

Troost: Ja. Ich würde sagen, dass parteiübergreifend drei Viertel der Bundestagsabgeordneten die Krise nicht verstehen, weil sie sie fälschlicherweise für eine Staatsschuldenkrise halten. Aber selbst wenn die Staaten sich überhaupt nicht mehr neu verschulden würden, hätten sie die aktuellen Probleme.

ZEIT ONLINE: Wie beurteilen Sie den Kompromiss, der Zypern vor der Pleite retten soll?

Troost: Was in der Diskussion der Rettungsmaßnahmen passiert ist, ist eine blanke Katastrophe. Es kann nicht sein, dass auf einmal alle Sparguthaben zur Disposition gestellt werden. Das verunsichert die Sparer europaweit. Jetzt muss jeder Angst haben, dass das auch in Deutschland passieren könnte.

ZEIT ONLINE: Der Kompromiss sieht aber vor, dass nur Einlagen ab 100.000 Euro beteiligt werden. Eine Vermögensabgabe also, das müsste einem Linken doch gefallen.

Troost: Ich bin für eine massive Vermögensteuer und eine Vermögensabgabe, aber doch bitte in anderen Größenordnungen! Man hätte viel höhere Beträge – 500.000 Euro etwa – nehmen müssen. Außerdem sollte nur auf frei verfügbares Vermögen zugegriffen werden.

ZEIT ONLINE: Kritisieren Sie den Rettungsplan für Zypern insgesamt?

Troost: Nein, die Einführung der Kapitalverkehrskontrollen ist – trotz der teilweisen Umgehung – ein Riesenfortschritt. Ich hoffe, dass diese Kontrollen auch bei künftigen Hilfen eingesetzt und dann auch wirklich kontrolliert werden. Ansonsten bezahlt nur der Steuerzahler, während die wirklich Vermögenden ihr Geld abziehen und neu investieren.

ZEIT ONLINE: Ist die komplizierte Rettung Zyperns ein Wendepunkt für die Krise in Europa?

Troost: Das glaube ich nicht. Der europäische Weg mit Schuldenbremse, Fiskalpakt und Austeritätspolitik vernachlässigt immer noch das Wirtschaftswachstum. All die Hilfen der EU, die manchen wie Geschenke erscheinen, sind in Wahrheit mit vergifteten Auflagen versehen.

ZEIT ONLINE: Wird sich die Bundesregierung angesichts der Europolitik im Wahlkampf einem geeinten linken Bündnis gegenüber wiederfinden?

Troost: Natürlich stehen SPD, Grüne und Linke links von Schwarz-Gelb. Die SPD hat die Zeichen aber auf Konfrontation gestellt. Deshalb müssen wir unsere eigene Wirtschaftskompetenz herausstellen und zeigen, wer die Alternativen hat. Ich sehe keinerlei Ansätze für einen gemeinsamen Wahlkampf.

ZEIT ONLINE: Im Alter von 16 Jahren sind Sie in die SPD eingetreten und blieben drei Jahre lang Mitglied. Raten Sie Ihrer Partei, sich für eine rot-rot-grüne Koalition zu öffnen?

Troost: Ausschließen kann man so eine Koalition nicht, diese Frage stellt sich. SPD und Grüne müssten dafür aber auf unsere Mindestbedingungen eingehen, etwa bei den Themen Waffenexporte, Militäreinsätze, Hartz IV und Rente mit 67. Daher wird die Frage akademisch bleiben. Die SPD braucht aber die Linke als eigenständige Kraft im Parlament, um sie auf Kurs zu halten. Ich selber bin Gründungsmitglied des Instituts Solidarsiche Moderne, in dem Mitglieder der SPD, Grünen und Linken zusammen mit Nichtparteimitgliedern an gemeinsamen rot-rot-grünen Positionen arbeiten.