Frauen in der Armutsfalle? Die Folgen der Benachteiligung im Erwerbsleben

Von Mareike Richter

08.03.2013 / www.gegenblende.de, 07.03.2013

Geht es um die Gleichstellung der Geschlechter, sind sich die meisten einig: Frauen sollen die gleichen Chancen wie Männer haben – ob bei der Berufswahl, der Erwerbskarriere, beim Entgelt oder der Rente. Obwohl bei diesem Thema ein so breiter gesellschaftlicher Konsens herrscht, sind Frauen auf dem Arbeitsmarkt weiterhin massiv benachteiligt, wie die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) jüngst in ihrem Bericht zur Gleichstellung der Geschlechter im Dezember 2012 feststellte.[1] Demnach haben in Deutschland zwar mehr Frauen einen Universitäts- oder Fachhochschulabschluss als Männer (27 % zu 25%). Doch das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen liegt mit 22 Prozent so hoch wie in kaum einem anderen OECD-Land und das geschlechterbedingte Rentengefälle ist in Deutschland am höchsten. Die Konsequenz: über eine eigenständige Existenzsicherung verfügen wenige Frauen in Deutschland.

Eine existenzsichernde Beschäftigung ermöglicht den Frauen auf eigenen Beinen zu stehen - unabhängig von der Familienkonstellation oder Veränderungen in der Haushaltssituation. Die skizzierten Ergebnisse des OECD-Berichts machen einmal mehr deutlich, dass bei der Bewertung nicht nur die unmittelbare Bedarfsabdeckung im Blick genommen werden darf. Vielmehr sollte es in einer geschlechtergerechten Arbeitswelt eine langfristige Existenzsicherung über den gesamten Lebensverlauf hinweg geben.

Eine Untersuchung der Agentur für Gleichstellung im Europäischen Sozialfonds fand anhand von Daten des Jahres 2011 heraus, dass nur ein sehr kleiner Teil der erwerbstätigen Frauen in Deutschland durch ihre Erwerbsarbeit wirtschaftliche Unabhängigkeit erreicht.[2] Bei fast zwei Drittel der Frauen und drei Viertel der alleinerziehenden Mütter mit einem Kind reicht der Verdienst nicht aus, um für sich (und Kind) langfristig zu sorgen. Der Geschlechtervergleich zeigt, dass Männer dagegen häufiger ausreichend finanzielle Mittel erwirtschaften, um kurzfristig (90%) wie langfristig (57%) eigenständig existenzfähig zu sein.

Niedriglohn statt Existenzsicherung: Der Fluch von Mini-Jobs und Teilzeit

Warum aber bestehen noch immer solch große Ungleichheitsstrukturen zwischen den Geschlechtern? Eine der Hauptursachen ist die Prekarisierung des Arbeitsmarktes. Zwar sind immer mehr Frauen in Beschäftigungsverhältnissen, jedoch besteht eine höhere Unsicherheit durch Befristungen, ungewollte Teilzeit und extrem niedrige Löhne. Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zufolge sind rund ein Drittel der rund 7,5 Millionen Mini-Jobber/innen in Deutschland Frauen. Besonders für sie ist der Mini-Job aber eine Sackgasse, weil ihnen nur selten der Sprung in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis gelingt. Ein Grund dafür sind auch die fehlenden Betreuungsplätze für Kinder und die hohen Hürden für Frauen beim Wiedereinstieg nach der Elternzeit. Über den gesamten Lebenslauf betrachtet, lassen sich viele Einflussgrößen identifizieren, die den Erwerb eines existenzsichernden Einkommens gefährden können.

Erziehung und Gesundheit - die klassischen Rollenbilder

Die erste Hürde auf dem Weg zu einer existenzsichernden Erwerbstätigkeit ist die Wahl des Studienfachs oder Ausbildungsberufs. Frauen halten trotz eines breiten Angebots häufig an klassischen Rollenbildern fest und entscheiden sich weiterhin für Studienfächer und Berufe, die traditionell als frauentypisch galten. Leider werden gerade diese Tätigkeiten, etwa im sozialen Bereich (Erziehung, Gesundheit oder Bildung) oder im Dienstleistungssektor (Gebäudereinigung, Friseur) gesellschaftlich schlechter bewertet und vergütet als z.B. technische Berufe. Diese so genannte horizontale Segregation benachteiligt Frauen in der Bezahlung, unter anderem weil die genannten Branchen oft nicht von Tarifverträgen erreicht werden. Hinter der Bezeichnung vertikaler Segregation versteckt sich eine weitere Diskriminierung: Frauen sind selten in Führungspositionen zu finden. So sind zum Beispiel Managerpositionen nur mit einem Fünftel mit Frauen besetzt. Hinzu kommt eine Lohndifferenz zwischen den Geschlechtern – auch bei gleicher beruflicher Position. Aus all diesen Faktoren entsteht der so genannte gender pay gap von 22 Prozent in Deutschland, der Frauen die wirtschaftliche Unabhängigkeit erschwert, wenn nicht sogar unmöglich macht.

Zwar belegen neueste Zahlen, dass die Erwerbstätigenquote von Frauen in Deutschland einen Rekordstand erreicht hat, doch sagen sie nur wenig über die tatsächliche Teilhabe am Arbeitsmarkt aus. Die häufig niedrigere Bezahlung der Frauen hängt unmittelbar mit dem Umfang der Erwerbstätigkeit, also dem Arbeitsvolumen zusammen. Während die meisten Männer Vollzeit arbeiten, sind 45 Prozent der Frauen in Teilzeit beschäftigt - deutlich mehr als der europäische Durchschnitt. Zugleich ist das Arbeitszeitvolumen mit18,6 Stunden pro Woche im Durchschnitt relativ gering. Dies wiederum, so haben viele Analysen ergeben, zieht Lohneinbußen, geringe soziale Absicherung und schlechte Karrierechancen nach sich - und das macht eine nachhaltige eigenständige Existenzsicherung unmöglich!

Weniger Chancen durch Kinderpausen

Auch die Kontinuität der Erwerbstätigkeit hat Einfluss auf die Erwerbs- und Einkommenschancen und somit auf die eigenständige Existenzsicherung der Frauen. Bleiben Phasen der Nicht- oder Teilzeiterwerbstätigkeit im Lebensverlauf ein kurzzeitiges Phänomen, sind kaum Nachteile zu befürchten. Anders bei längeren Unterbrechungen: Wird zum Beispiel eine Erwerbsphase für fünf Jahre unterbrochen, besteht bei der Rückkehr zum gleichen Arbeitgeber nur noch eine 50-prozentige Chance auf eine gleichwertige Position. Da Frauen häufiger und länger Kindererziehungszeiten und/oder Pflegezeiten für Angehörige beanspruchen als ihre Partner und so dem Arbeitsmarkt häufiger fern bleiben, sinken ihre Chancen auf eine langfristig existenzsichernde Beschäftigung.

Die Sackgasse Altersarmut

Gelingt schon in der Erwerbsphase keine eigenständige Existenzsicherung, ist Altersarmut vorprogrammiert. Auch hier gibt es große Geschlechterunterschiede. Kürzere Beitragszeiten, weniger Arbeitsstunden, niedrigere Einkommen und diskontinuierliche Erwerbsbiografien als kumulierte Risiken im Lebenslauf führen zu einem Rentengefälle von 33,5 Prozent (im Westen: 45%, im Osten: 22%).[3] Besonders in den alten Bundesländern gibt es einen hohen Anteil an Frauen, die mit ihrer Renten nicht das Niveau der Grundsicherung erreichen. Von einer wirtschaftlichen Unabhängigkeit der Frauen kann also keine Rede sein.

Das Ehegattensplitting als Fehlanreiz

Hinzu kommen Fehlanreize im Steuer- und Sozialsystem, die Frauen auf dem Weg zu einer eigenständigen Existenzsicherung Stolpersteine in den Weg legen. Das Ehegattensplitting, das Verheirateten steuerliche Vorteile gewährt, ist ein solcher Fall. Weil die Steuerersparnis zunimmt, je ungleicher die Verteilung der Einkommen ist, wird der Alleinverdienerhaushalt gefördert. Der Partner, der weniger verdient – fast immer die Frau - wird durch das Splitting motiviert, vollkommen auf die Erwerbstätigkeit zu verzichten, oder nur in ein steuerbefreites geringfügiges Beschäftigungsverhältnis einzutreten. Auch das vor kurzem eingeführte Betreuungsgeld steht der eigenständigen Existenzsicherung im Weg, weil es Familien belohnt, die ihre Kinder zu Hause beaufsichtigen. Dadurch wirkt es als Anreiz zum Verzicht auf einen staatlich geförderten Betreuungsplatz. Das wiederum kann den Wiedereinstieg der Frauen in den Beruf erschweren oder gar verhindern. Auch die beitragsfreie Mitversicherung in der gesetzlichen Krankenkasse und die Anrechnung von Kindererziehungszeiten in der Rente setzten keine Anreize für eine kontinuierliche Erwerbsbiographie.

Was tun?

Um die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen zu fördern, brauchen wir einen Mix aus gesellschaftlichen Umdenken und politischem Handeln. Die diesjährige Bundestagswahl bietet Gelegenheit, gesellschaftliche Möglichkeiten und die politischen Konzepte zur eigenständigen Existenzsicherung von Frauen und Männern zu diskutieren und durch eine arbeitnehmerfreundliche Politik voranzutreiben- von einer Reform der Minijobs bis zu dem Ausbau der Kinderbetreuung. Gewerkschaften haben die Problemlage längst erkannt. „Gefordert ist eine stringente Gleichstellungspolitik mit dem Ziel einer eigenständigen Existenzsicherung von Frauen. Wir müssen die institutionellen Rahmenbedingungen endlich so anpassen, dass Männer und Frauen Familie und Beruf leben können.“, so die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ingrid Sehrbrock. Voraussetzung dafür ist der Ausbau einer qualitativ hochwertigen Betreuungsinfrastruktur für Kinder und Pflegebedürftige, sowie ein Rechtsanspruch auf die Rückkehr aus Teilzeit- in Vollzeitbeschäftigung. Den prekären Beschäftigungsverhältnissen muss durch einen gesetzlichen Mindestlohn nicht unter 8,50¤/ Stunde und die soziale Absicherung aller Arbeitsverhältnisse ab der ersten Arbeitsstunde entgegen gewirkt werden. Darüber hinaus müssen Unternehmen gesetzlich dazu verpflichtet werden, ihre Entgeltpraxis zu überprüfen und Frauen auf allen Hierarchie-Ebenen zu fördern. Damit Frauen die Möglichkeit haben, auf eigenen Beinen zu stehen- und zwar leicht gemacht!


[1] OECD (2012): Closing the Gender Gap: Act now. OECD Publishing.

[2] Agentur für Gleichstellung im ESF (Hg.) (2012): Existenzsichernde Beschäftigung von Frauen und Männern. Pimminger, Irene.

[3] Rasner, Annika (2012): Gender Pension Gap im Kohortenvergleich. Können die Babyboomer Frauen die Lücken schließen? Erste Gender Studies Tagung des DIW Berlin.