Ende der Politik? Die USA und der Sparzwang

Von Joachim Bischoff

05.03.2013 / sozialismus.de, vom 05.03.2013

In den USA sind Anfang März Ausgabenkürzungen in Kraft getreten, da Republikaner und Demokraten sich nicht auf einen Haushalt einigen konnten. Die Ausgabenkürzungen treffen vor allem die Verteidigungsausgaben sowie binnenwirtschaftliche Programme.

Der so genannte Sequester umfasst in den kommenden zehn Jahren insgesamt 1,2 Bio. US-Dollar, umgerechnet 900 Mrd. Euro. Allein in diesem bis September dauernden Haushaltsjahr sollen demnach die Staatsausgaben um 85 Mrd. US-Dollar (65 Mrd. Euro) gekürzt werden. Zwangsurlaube im öffentlichen Dienst und eine zeitweilige Schließung von Regierungsbehörden ab Ende März könnten die Folge sein.

Die Kürzungen waren 2011 vereinbart worden, als den USA die Zahlungsunfähigkeit drohte. Die Staatsverschuldung der USA liegt bei 16 Bio. US-Dollar, die jährlichen Ausgaben bei 3,7 Bio. US-Dollar. Die amerikanischen Schulden sind in die letzten zwölf Jahre enorm gewachsen. Lag das Verhältnis von Staatsschulden zur Wirtschaftsleistung im Jahr 2000 noch bei 54,5%, sind wir mittlerweile bei 109% angekommen. Gegen Ende des Jahres liegt dieser Wert laut Schätzungen der OECD dann bei 113%, und ein Ende des Anstiegs ist wegen der jetzigen Politik nicht in Sicht.

Schaut man sich die Entwicklung des Staatsdefizits in der längeren Frist an, so fällt auf, dass nur während der Amtszeit von Präsident Clinton die öffentlichen Ausgaben deutlich vermindert werden konnten und zugleich mit einem Anstieg der öffentlichen Einnahmen für kurze Zeit ein Schuldenabbau erreicht wurde. Die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben ist infolge der bis heute anhaltenden schweren Krise massiv aufgegangen und ein Konsolidierungskurs zeichnet sich für die nächsten Jahre nicht ab.

Der Kongress hatte sich die jetzigen Sparmaßnahmen bei früheren Haushaltsverhandlungen 2011 selbst auferlegt. Die Überlegung war, dass die drakonischen, umfangreichen und für beide Parteien schmerzhaften Einschnitte die Abgeordneten noch rechtzeitig zu einer Einigung auf differenziertere Sparmaßnahmen zwingen würden. Monatelange Verhandlungen brachten aber keinen Durchbruch.

Ein Großteil der Einschnitte kann vom Kongress jederzeit gestoppt werden, wenn sich Demokraten und Republikaner auf alternative Wege zur Sanierung der Staatsfinanzen einigen. Berater von Präsident Barack Obama und Kongressführer haben signalisiert, dass die Kürzungen noch Monate anhalten könnten, denn eine Verständigung über eine Sanierungsstrategie der öffentlichen Finanzen ist nicht in Sicht. Die geringen Hoffnungen auf eine Einigung zwischen Demokraten und Republikanern beziehen sich vor allem auf Verhandlungen über einen Budgetplan für die Staatsfinanzierung im restlichen Haushaltsjahr 2013, der bis Ende März stehen muss. Mitte Mai muss zudem erneut die gesetzliche Schuldenobergrenze erhöht werden, um eine Zahlungsunfähigkeit der USA zu vermeiden.

Vor allem der rechte Flügel der Republikaner, eingebunden in die »Tea Party«- Bewegung, lehnt Steuererhöhungen für Reiche ebenso ab wie Steuersenkungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die Abgeordneten wollen stattdessen soziale Leistungen kürzen. Umfragen zufolge sieht eine Mehrheit der Amerikaner die Schuld für die chronische Blockade bei allen Politikern in Washington. Kritik wird laut, warum der Präsident sich nicht früher und stärker um neue Gespräche mit den Republikanern bemüht hat.

Faktisch steckt die Hegemonialmacht des Kapitalismus in einer politischen Blockade fest: Eine politische Lösung für die Sicherung des Wirtschaftswachstums bei gleichzeitiger Sanierung der öffentlichen Finanzen scheitert an dem gnadenlosen Stellungskrieg der politischen Akteure.

Die USA erwirtschaften als größter Faktor der Globalökonomie im Jahr 2012 insgesamt ein Wachstum von 2,2%. Deutschland kann dagegen nur ein Plus von 0,7% vorweisen. Der Internationale Währungsfonds rechnet für 2013 in Amerika mit einem Wachstum von 2,0%. Die US-Notenbank geht aber davon aus, dass wegen des ungelösten Haushaltsstreits weitere geldpolitische Maßnahmen zur Stützung der Konjunktur gefahren werden müssen. Im Zug der Anti-Krisenpolitik seit 2008 ist die Bilanz der Notenbank massiv aufgebläht worden: Sie ist mit einer Summe von drei Bio. US-Dollar nun drei Mal so groß wie 2008. Der Arbeitsmarkt bereitet der FED trotz der expansiven Geldpolitik noch immer große Sorgen. Die weiter relativ hohe Arbeitslosigkeit könne langfristig gravierende Folgen für die Wirtschaft der USA haben, betont Notenbankchef Ben Bernanke. Im Januar stieg die Arbeitslosenquote sogar auf 7,9%.

Der Sparautomatismus dürfte das Wachstum der weltgrößten Volkswirtschaft in diesem Jahr abbremsen. Nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds könnten die Kappungen sogar die Wachstumsaussichten für die USA und die Weltwirtschaft gefährden. Denn logischerweise droht eine Konsolidierungspolitik in eine deutliche Verminderung der Wirtschaftsleistung umzuschlagen. Das laufende Defizit der USA lag im vergangenen Jahr bei 8,5%. Selbst wenn der jetzt ausgelöste Sparzwang keinen negativen Effekt auf Konjunktur, Steuereinnahmen und Ausgaben der Sozialversicherung hätten, läge das Defizit bei 7%, also weit über dem (Maastricht-) Wert in der Euro-Zone.

Ein Herunterfahren des Staatsdefizits ist unter den bisher praktizierten Programmen immer mit Wachstumsverlusten verbunden. Eine dauerhafte und sozialverträgliche Politik der Entschuldung müsste also in eine Konzeption der Umverteilung von Eigentumstiteln und der Stabilisierung der gesellschaftlichen Reproduktion eingebunden werden. Auf die chronische Wachstumsschwäche mit einer weiteren Kreditexpansion zu reagieren, ist gewiss keine tragfähige Strategie.

Denn die USA leiden nicht an einer vorübergehenden zyklischen Abschwächung der Wirtschaftsleistung, sondern einer ganz anderen Fehlentwicklung: einer andauernden Konstellation der Überschuldung, die die amerikanischen Haushalte, deren Konsum rund 70% vom BIP ausmacht, gesellschaftlich polarisiert und die Wirtschaftsdynamik schwächt. Die beiden Spekulationsblasen, die zu großzügigen Kreditaufnahmen der amerikanischen Familien führten (Immobilien- und Kreditblase), sind lange geplatzt, doch die Nachwirkungen halten an: Die Schuldenlast der privaten Haushalte lag 2012 noch immer bei 113% des verfügbaren persönlichen Einkommens (gegenüber 75% in den letzten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts), und die private Sparquote lag im vergangenen Jahr bei durchschnittlich lediglich 3,9% (gegenüber 7,9% in der Zeit von 1970 bis 1999).

Durch eine staatliche Tributleistung auf die fragile Konstellation der privaten Haushalte wird sich der ökonomische Niedergang der Hegemonialmacht weiter beschleunigen. Die ökonomischen Perspektiven der USA sind also wenig überzeugend. Weitaus gefährlicher ist freilich die politische Blockade, die hinter der Hilflosigkeit des jetzt in Kraft gesetzten Sparzwanges steht. Auch in Amerika verliert die Gesellschaft die Fähigkeit, sich in freier politischer Willensbildung auf einen Ausweg aus dem fatalen Kredit- und Finanzregime zu verständigen.