Austerität in Europa

Von Axel Troost, finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE und stellvertretender Vorsitzender der Partei DIE LINKE

10.02.2013 / 09.02.2013

„Es mag zutreffen, dass die Krise hinter uns liegt, doch haben wir daraus noch nicht die nötigen Konsequenzen gezogen. Doch wenn wir das nicht bald tun, wird uns nicht das Misstrauen der Märkte, sondern das der Bevölkerung treffen.“ Mit diesen mahnenden Worten sprach sich der französische Präsident Hollande vor dem EU-Parlament für ei­nen „umfassenden Umbau“ der Wirtschafts- und Währungspolitik der Europäischen Union aus. Um das zu verhindern, müsse Europa die Bemühungen um mehr Stabilität und Wachstum verstärken.

Und wie soll das erreicht werden? Der französische Präsident spricht sich entschieden für eine Fortsetzung der Kürzungspolitik aus und fordert gleichzeitig sowohl national­staatliche als auch EU-Initiativen für Wachstum und Beschäftigung. Zum einen zeige der „Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh­rungsunion“ und die begleitenden sogenannten „Six-Pack“- und „Two-Pack“­Abkommen, ebenso wie die Interventionen der Europäischen Zentralbank in die richtige Richtung, doch dabei dürfe man es nicht bewenden lassen. 27 Millionen Arbeitslose und die Hälfte aller jungen Menschen in Europa ohne Job gestatteten „keine Atempau­se“, so Hollande. Die Herausforderung, Wachstum zu schaffen, müsse angenommen werden. Sehr viel präziser als die Forderung aus dem letzten Jahr nach Wachstumsim­pulsen klingt das nicht.

Tatsächlich ist angesichts der Situation enormer Handlungsbedarf vonnöten: Nach fünf Jahren ökonomischer Krise wird die Euro-Zone auch in diesem Jahr einem leichten Schrumpfungsprozess ihrer wirtschaftlichen Leistung erleiden; Italien und Spanien wer­den deutlich rote Zahlen schreiben und auch Deutschland weist nur ein minimales Plus von weniger als einem Prozent aus. Unter dem Strich muss festgehalten werden , dass die 27 Länder des vereinigten Europas das Niveau der wirtschaftlichen Leistung des Jahres 2007 noch nicht wieder erreicht haben. Die anhaltende Krise treibt die Arbeitslo­sigkeit in Europa auf neue Rekordhöhen, wie die Arbeitslosenstatistik von Eurostat zeigt. Danach waren im November 2012 in der EU-27 26,1 Millionen Menschen und in der Eurozone 18,8 Millionen Menschen ohne Arbeit – jeweils zwei Millionen mehr als ein Jahr davor. Vor allem erreicht die Jugendarbeitslosigkeit ein Ausmaß wie nie zuvor in der Geschichte: Jede vierte EuropäerIn unter 25 Jahren – in der Euro-Zone 24,4%, in der EU 23,7% – hat keine Arbeit, kein eigenes Einkommen, keine Lebensperspektive. Das sind 5,8 Millionen junge Menschen in der EU und 3,7 Millionen im Euro-Raum.

Wenn man in Europa weiterhin eine endlose Sparpolitik betreibt, wird man aus dieser ökonomisch-sozialen Sackgasse nicht herauskommen. Es ist kein Fortschritt darauf hinzuweisen, dass für nachhaltiges Wachstum dringend Investitionen nötig sind und daher ein expansiver Haushalt der Europäischen Union einen Schritt in die richtige Richtung darstellen könnte, denn Hollande bleibt bei der wenig überzeugenden Formel sowohl Wachstumsimpulse als auch einer europaweiten Reduzierung der Schulden sowie einer Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Einschränkend fordert er, dass derartige Maßnahmen an die jeweiligen nationalen Besonderheiten angepasst werden müssten. „Sonst haben wir Austerität ohne Ende, und das lehne ich ab“, sagte Hollande mit Blick auf sein eigenes Land. Dort ist die Arbeitslosigkeit auf 4,59 Millionen (einschl. der geringfügig Beschäftigten) gestiegen. Aufgrund der hohen wirtschaftlichen Verflech­tung zwischen Frankreich und Deutschland bestände eine minimale Chance, von der wettbewerbsorientierten europäischen Politik abzugehen.

Vor dem EU-Parlament wiederholte Hollande zwar seine Forderung nach einem Wachstumsprogramm für Europa, doch leider wird diese Forderung zunehmend abs­trakter, während der französische Defizitabbau immer stärker den Alltag der BürgerIn­nen berührt. Einer Lockerung der Defizitvorgaben auf Europäischer Ebene oder gar ei­ner Politik, die realwirtschaftliches Wachstum ankurbeln könnte, widersetzt sich die Bundesregierung mit Unterstützung Frankreichs. Angesichts der Sparzwänge auf natio­naler Ebene stehen die Zeichen auch in der EU auf Sparen. Großbritannien, Deutsch­land, die Niederlande und Schweden haben sich faktisch mit einer Kürzung des EU-Haushaltsrahmen der Jahre 2014 - 2020 durchgesetzt. Vor diesem Hintergrund können die zusätzlichen Milliarden, die für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in be­sonders betroffenen Regionen eingesetzt werden sollen, nur durch Einsparungen an anderer Stelle aufgebracht werden. Kritiker warnen zu Recht vor zu starken Kürzungen, die die anvisierten Wirtschaftsimpulse für die europäische Wirtschaft gefährden werden. Der europäische Wachstumspakt war völlig unzureichend und es besteht die Gefahr, dass die Etat-Beschlüsse den Schrumpfkurs in der EU verfestigen.

Sollte der Haushaltsrahmen 2014 - 2020 der EU auch vom europäischen Parlament gebilligt werden, wird der europäische Wachstumspakt „endgültig beerdigt“. Wachs­tumsfördernde Investitionen sind in den Krisenländern stark gekürzt worden. Der euro­päische Fiskalpakt mit seinem harten Austeritätsprogramm läuft auf vollen Touren. Die betroffenen Länder sind derzeit weder in der Lage, die von der EU angebotenen Mittel in vollem Umfang zur Strukturförderung abzurufen, noch auf konstruktive Vorschläge zur gezielten Schaffung von Arbeitsplätzen einzugehen.

Hollandes Vorschlag, die alte französische Praxis der Abwertung auf den Euro zu über­tragen, um die nationalen Ökonomien vor internen Abwertungszwängen zu schützen, findet bisher bei seinen europäischen KollegInnen wenig Zustimmung, obwohl der von ihm geforderte Weg der Reform des internationalen Währungssystems notwendig ist. Nur noch wenige Industriezweige Frankreichs sind heute international konkurrenzfähig (Luftfahrt, Luxuskonsum).

Die deutsche Bundeskanzlerin setzt auf eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit - sie will also die Verschärfung der nationalen Standortkonkurrenz um komparative Vorteile bei Löhnen, Sozialabgaben, Steuern usw. durchsetzen. Allerdings scheint im deutschen Finanzministerium noch ein Rest Sachverstand überleben zu können, da man auf den Vorstoß Hollandes zwar die internationale Einigkeit betont, „dass Wechselkurse die ökonomischen Fundamentaldaten widerspiegeln sollen“, aber auch, dass „ein Abwer­tungswettlauf der Währungen unterbleiben sollte“, wie er jetzt durch die japanische No­tenbankpolitik zur Exportsubventionierung forciert wird.

Die Halbwertzeit von politischen Zielvorstellungen wird immer kürzer. Im Juni 2012 for­derten die europäischen Staatschefs einen Wachstumspakt. Am Ende der Etatberatun­gen wissen wir, dass dies in den nächsten Jahren eine inhaltslose Forderung bleibt. Der französische Präsident fordert im europäischen Parlament: „Sparen: ja. Die Wirtschaft schwächen: nein“ - mit der Zustimmung zum EU-Haushalt ist wenige Tage später auch diese Orientierung kassiert. Es gibt wenig Anlass, auf ein energisches Angebot zurÜberwindung von Stagnation und Bekämpfung von Arbeitslosigkeit zu hoffen.