Gesundbeten hilft nicht. Rekordarbeitslosigkeit, Rezession, Armut: Krise im Euro-Raum ist nicht vorbei – trotz Politikergeschwätz und Medienpropaganda

Von Rainer Rupp

27.01.2013 / Junge Welt, 26.01.2013

Die wirtschaftliche Implosion in der EU beschleunigt sich, selbst wenn Mainstream­medien verkünden, die Finanzkrise sei »abgewendet«. Tatsache ist, die Zahlen in europäischen Wirtschaftsstatistiken sehen nicht gut aus. Die verarbeitende Industrie schwächelt, der Konsum ebenfalls. Kein Wunder, denn in der Euro-Zone ist die amtlich registrierte Arbeitslosenquote auf den Rekord von 11,8 Prozent gestiegen. In Griechenland und Spanien übertreffen die entsprechenden Quoten derzeit bereits den Spitzenwert der Arbeitslosigkeit in den Vereinigten Staaten während der Großen Depression in den 1930er Jahren. Europa steht heute weit schlechter da als vor einem Jahr.

In Frankreich und Deutschland – den beiden wirtschaftlichen Schwergewichten der EU und des gemeinsamen Währungsraumes – ging die Produktion der verarbeitenden Industrie während der letzten zehn Monate kontinuierlich zurück. In Spanien ist das seit 20 Monaten der Fall. Italiens seit 17 Monaten nachlassende Konsumnachfrage beschleunigte die Abwärtsentwicklung sogar erheblich, das verarbeitende Gewerbe der drittstärksten EU-Volkswirtschaft folgte diesem Trend.

In Spanien wird durch die Massenarbeitslosigkeit – offiziell von über 26 Prozent – das soziale Gefüge zerstört. In Griechenland ist die Wirtschaft während des »Rettungsprozesses« teilweise kollabiert, die Rezession tief. Auch hier ist die registrierte Erwerbslosigkeit bei rund 26 Prozent angekommen, innerhalb eines Jahres war sie um 7,1 Prozentpunkte gestiegen. Die Arbeitslosenquote bei Menschen zwischen 18 und 25 Jahren wird in Zypern mit 27 Prozent angegeben (2008 waren es weniger als zehn). Mehr als ein Drittel der erwerbsfähigen Jugend liegt in Griechenland auf der Straße (36 Prozent, 20 Prozent waren es 2009). Für Italiens Zukunftsgeneration sieht es nicht besser aus (37,1 Prozent), doch den dramatischsten Wert meldet Spanien. Hier haben 56,5 Prozent keinen Erwerbsjob – und die Aussicht auf Besserung ist gering.

Auch das sagenumwobene Irland (offiziell heißt es hier: »Krise vorbei«), befindet sich sozialökonomisch auf Hungerkurs. 22 Prozent der gesamten Bevölkerung leben im Inselstaat in Haushalten, in denen kein Familienmitglied einen Arbeitsplatz hat. Auch die wenig beachtete Südost- und Ostflanke des sich selbst verherrlichenden EU-Europas ist weit von dem materiellen und sozialen Lebensniveau entfernt, das die westlichen Staaten vor zwanzig Jahren hatten. Den offiziellen EU-Zahlen zufolge müssen beispielsweise 44 Prozent der Einwohner Bulgariens »schwere materielle Entbehrungen« ertragen. In Griechenland hat die Armutsquote bereits 36 Prozent erreicht, 2009 waren es 20 Prozent.

All das schlägt sich im Reproduktionskreislauf nieder. Der Verkauf von Autos »Made in France« sank im November um 28 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Nach Auffassung des Verbandes der dortigen Automobilhersteller war 2012 das schlechteste Jahr seit langem. Auf dem Höhepunkt des Booms 2005 produzierte die französische Autoindustrie rund 3,5 Millionen Fahrzeuge, im Jahr 2012 sank deren Zahl auf knapp über zwei Millionen.

Berichten zufolge werden Häuser in Spanien derzeit bis zu 70 Prozent unter ihrem Kaufpreis (zum Höhepunkt der Immobilienblase im Jahr 2006) von den liquiditätshungrigen Banken verramscht. Geschätzt stehen in dem früheren Bauboomland zwei Millionen Häuser unverkauft herum. Für die dortigen Banken ist das eine gewaltige Belastung – und damit für die Steuerzahler.

Im griechischen Bankensystem wird die Menge der faulen Kredite auf mittlerweile rund 20 Prozent aller inländischen Ausleihen geschätzt. Und während die Verbindlichkeiten weiter wachsen, die Wirtschaft unter dem »Sparzwang« weiter schrumpft, nähert sich die Verschuldung in Relation zum griechischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) schnell der 200-Prozent-Marke. Der US-Finanzriese Citigroup orakelte jüngst, daß Griechenland mit einer 60prozentigen Wahrscheinlichkeit innerhalb der kommenden zwölf bis 18 Monate doch die Euro-Zone verlassen wird. Deutsche Politiker und Medien wollen uns indes gerade weismachen, alles sei wieder in Ordnung.

Der ideologische Überbau des neoliberalen kapitalistischen Systems ist weitgehend diskreditiert. Dennoch versuchen die desorientierten politischen Eliten Europas und der USA, am alten System und den entsprechenden Mechanismen festzuhalten – und greifen zu paradoxen Mitteln. Dazu gehören einerseits die von Deutschland initiierten Maßnahmen, mit einem die Misere verschärfenden »Spar«-Kurs verschuldete Volkswirtschaften zu sanieren. Auf der anderen Seite versuchen die USA, Großbritannien und Japan, die Krise mit noch größeren Schulden zu bewältigen. Beides hat bislang wenig oder gar keine Wirkung gezeigt, außer daß sich die Probleme weiter zuspitzen. Die Ratlosigkeit spiegelt sich auch beim gegenwärtig stattfindenden Weltwirtschaftsforum in Davos. Hier treffen sich zur Zeit all jene, die am großen sozialökonomischen Desaster mitwirken.