Öffentliche Haushalte im Lot?

Von Martin Nees

14.12.2012 / sozialismus.de, vom 12.12.2012

Die Steuereinnahmen der öffentlichen Hand sind so hoch wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Bundesregierung plant schon für das Jahr 2013 einen ausgeglichenen Haushalt. Die Medien vermitteln ein Jahr vor den Bundestagswahlen den Eindruck, dass die finanzpolitischen Probleme der öffentlichen Hand annähernd gelöst seien.

Ein Blick auf die Kommunen vermittelt ein ganz anderes Bild. Mehr als die Hälfte der 396 Kommunen in NRW haben keinen ausgeglichenen Haushalt. 144 von ihnen befinden sich dauerhaft im Nothaushalt. 42 sind überschuldet bzw. werden in den nächsten zwei Jahren überschuldet sein. Am Beispiel Köln lässt sich diese finanzielle Misere exemplarisch aufzeigen. Köln, die viertgrößte Stadt in der Bundesrepublik, unterliegt nicht der Haushaltssicherung.[1] Trotzdem hat auch diese Stadt große finanzielle Probleme.

Der im September 2012 in Kraft getretene Haushalt 2012 mit einer Deckungslücke von 220 Mio. Euro war schon im Oktober Makulatur. Die Rückzahlung eines Darlehens von 70 Mio. Euro darf nicht als Einnahme gebucht, sondern muss dem Vermögen zugerechnet werden. Damit vergrößert sich die Lücke auf fast 300 Mio. Euro. Die Kämmerin verhängte deshalb am 10.10.2012 eine Haushaltssperre.[2] Weitere Ausfälle drohen. Die Stadt muss möglicherweise noch in diesem Jahr 116 Mio. Euro Gewerbesteuer plus 20,6 Mio. Euro Erstattungszinsen zurückzahlen.[3] Ein Defizit von über 400 Mio. Euro für das Haushaltsjahr 2012 wäre die Folge.

Im Etatentwurf für das Jahr 2013 sind Ausgaben von 3,8 Mrd. Euro vorgesehen. Ein Defizit von 300 Mio. Euro soll ausgewiesen werden.[4] Auch im Haushaltsjahr 2013 drohen weitere finanzielle Risiken. Die so genannte Bettensteuer, eine kommunale Steuer für Hotelübernachtungen, könnte vom Oberverwaltungsgericht im Januar 2013 gekippt werden: Risiko 2010: 4,5 Mio. Euro, 2011 und 2012 je ca. 10 Mio. Euro.[5] Außerdem droht eine Rezession. Die Bundesbank rechnet nur noch mit einem minimalen Wachstum. Die Steuereinnahmen werden deshalb nicht so wie geplant wachsen.

Das Defizit im Kölner Doppelhaushalt 2013/2014 soll um 37 Mio. Euro durch Kürzungen gesenkt werden, u.a. um 14,3 Mio. Euro im Dezernat IV (Bildung, Jugend, Sport) und 9,7 Mio. Euro im Dezernat V (Soziales, Integration, Umwelt). 2015 sollen Kürzungen in Höhe von 18,7 Mio. Euro, 2016: 92,1 (!) Mio. Euro und 2017 66,3 Mio. Euro folgen.[6] Um dieses Ziel zu erreichen, werden Kürzungen in laufenden Projekten nicht mehr ausreichen. Eine Zerschlagung ganzer Strukturen und Einrichtungen droht.

Zum Vergleich: Die Stadt Köln plant, 2013 ca. 180 Mio. Euro für Kultur und Wissenschaft und 28,5 Mio. Euro für die Sportförderung auszugeben. Selbst wenn diese Ausgaben komplett gestrichen würden, könnte immer noch kein ausgeglichener Haushalt erreicht werden.

»Die Stadt lebt über ihre Verhältnisse«,[7] so die neoliberalen Meinungsmacher. Das Gegenteil ist der Fall. Die Stadt konnte ihre Möglichkeiten in der Vergangenheit nicht ausschöpfen. Neben dem Ausbau von sozialen, kulturellen und Freizeiteinrichtungen sind auch Investitionen in den Erhalt der Infrastruktur und in die Weiterentwicklung der Stadt unterblieben. Der Haushalt dürfte nicht gekürzt, sondern müsste aufgestockt werden. Beispiele:

  • Vier der fünf städtischen Rheinbrücken müssen generalsaniert werden. Der Aufwand ist immens und die Kosten alles andere als überschaubar. Insgesamt 150 Mio. Euro wurden veranschlagt.[8]
  • Die bauliche Substanz vieler Schulen ist äußerst schlecht. Die Gebäudewirtschaft spricht von einem »Sanierungsstau«.[9] Allein bei den Schulturnhallen müssen viele instand gesetzt oder neu gebaut werden. Auf der aktuellen Prioritätenliste sind Projekte verzeichnet, für die insgesamt rund 40 Mio. Euro ausgegeben werden müssen. Weitere Investitionen in Höhe von rund 100 Mio. Euro seien aktuell in der Planung.[10] Außerdem steht zusätzlich noch der Neubau von neuen großen Schulen ins Haus.[11] Apropos Kinder: Es gibt viel zu wenige Spielplätze.[12] Bei den wenigen vorhandenen werden defekte Rutschen und Klettergerüste nicht ersetzt.[13]
  • Auch bei Gebäuden der Kultureinrichtungen besteht ein enormer Sanierungsbedarf. Bei den städtischen Museen ist inzwischen ein Sanierungsstau in der Höhe von 75 Mio. Euro aufgelaufen[14] Die Kosten für den Brandschutz der Zentralbibliothek werden mit annähernd 16 Mio. Euro beziffert.[15]
  • Selbst das Aussetzen bzw. der Verzicht auf in der Stadtgesellschaft umstrittene Investitionen in die Infrastruktur bzw. in die Stadtentwicklung können die finanziellen Probleme der Stadt nicht lösen, bestenfalls nur ein wenig lindern – so den musealen Ausbau der Archäologische Zone am Rathaus (52 Mio. Euro), den Ausbau eines Industriehafens im Kölner Süden, den Godorfer Hafen (70 Mio. Euro)[16] und die Neugestaltung des Rheinboulevard am Deutzer Rheinufer (23 Mio. Euro).[17]

Durch Kürzungen vor allem im Sozial-, Kultur- und Freizeitbereich und den Verzicht auf Investitionen wird kein ausgeglichener Haushalt erreicht werden können, da die Hauptursache für die Finanznöte der Kommunen die reformbedingten Steuerausfälle seit 1998 sind. Außerdem wurden die gesetzlichen Aufgaben der Kommunen durch Bund und Land erweitert, ohne für eine ausreichende finanzielle Ausgestaltung zu sorgen. Den Kommunen in NRW fehlen deshalb allein 2012 3,2 Mrd. Euro.[18] Jetzt müssen Entscheidungen fallen. Hinterlassen wir unseren Kindern und Kindeskindern »blühende Landschaften« oder Kommunen mit maroden oder geschlossenen Einrichtungen und einer verrotteten Infrastruktur?

Linke Kommunalpolitik muss sich deshalb auf die Einnahmeverbesserung konzentrieren. Kommunale Steuern wie Gewerbesteuer und die Grundsteuer können in vielen Kommunen erhöht werden. Dies sind Signale an die Landes- und Bundespolitik, dass alles getan wird, um die örtliche Finanzsituation zu verbessern. Aber auch diese Erhöhungen werden nicht ausreichen, um die strukturellen Defizite in den öffentlichen Haushalten zu beseitigen. Hier sind Bund und Land gefordert. Konzepte zur Verbesserung der Einnahmesituation liegen vor, z.B. eine Änderung des Einkommensteuergesetzes, so dass zukünftig alle Deutschen und nicht nur die hier Ansässigen ihr Einkommen in Deutschland versteuern, höhere Spitzensteuersätze, eine Vermögensteuer, geänderte Erbschaftsteuer und eine Vermögensabgabe für Millionäre.[19]

Es können aber auch ganz neue Wege einschlagen werden. Andere historische Gedankenspiele könnten weiterverfolgt werden. Gottfried August Bürger hat dies bereits vor über 225 Jahren sinnbildhaft beschrieben: »Ein andres Mal wollte ich über einen Morast setzen, der mir anfänglich nicht so breit vorkam, als ich ihn fand, da ich mitten im Sprunge war. Schwebend in der Luft wendete ich daher wieder um, wo ich hergekommen war, um einen größern Anlauf zu nehmen. Gleichwohl sprang ich auch zum zweiten Male noch zu kurz und fiel nicht weit vom andern Ufer bis an den Hals in den Morast. Hier hätte ich unfehlbar umkommen müssen, wenn nicht die Stärke meines eigenen Armes mich an meinem eigenen Haarzopfe, samt dem Pferde, welches ich fest zwischen meine Knie schloß, wieder herausgezogen hätte.«[20]

Martin Nees ist Gewerkschaftssekretär im ver.di Landesbezirk Nordrhein-Westfalen, Fachbereich Gemeinden.

Fußnoten:

[1] Das Haushaltssicherungskonzept (z.T. auch Haushaltskonsolidierungskonzept genannt) ist eine seit 1987 in den deutschen Gemeindeordnungen vorgesehene Maßnahme, die zur Sanierung kommunaler Haushalte vorgesehen ist und darauf abzielt, in einem Zeitraum von bis zu zehn Jahren eine vollständige Ausgabendeckung zu erreichen. Um überschuldete Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen wieder handlungsfähig machen, hat die rot-grüne Landesregierung im Dezember 2011 ein Stärkungspaktgesetz in den Landtag eingebracht. Für überschuldete oder von Überschuldung bedrohte Kommunen stehen damit insgesamt Konsolidierungshilfen in einem Gesamtumfang von 5,85 Mrd. Euro zur Verfügung. Im Gegenzug müssen die betroffenen Städte und Gemeinden aber einen harten Sanierungskurs einschlagen.
Zur Sicherung der Haushaltsführung von Bund und Ländern wurde vor dem Hintergrund der grundgesetzlich verankerten »Schuldenbremse« am 1. Januar 2010 ein Stabilitätsrat etabliert. Nach dem Stabilitätsratsgesetz wird jährlich die Finanzlage von Bund und Ländern dargestellt und geprüft. Im Falle von drohenden Haushaltsnotlagen soll der Stabilitätsrat Sanierungsprogramme vereinbaren. Am 23. Mai 2011 wurden Berlin, Bremen, Saarland und Schleswig-Holstein vom Stabilitätsrat wegen drohender Haushaltsnotlage unter Aufsicht gestellt. In seiner Sitzung im Dezember 2011 vereinbarte der Stabilitätsrat mit diesen Ländern Sanierungsprogramme für die Jahre 2012 bis 2016.
[2] Kölner Stadtanzeiger (KStA), 11.10.2012
[3] KStA, 5.11.2012
[3] KStA, 13.11.2012
[4] KStA, 10./11.11.2012
[6] Pressemitteilung der Stadt Köln vom 12.9.2012
[7] KStA, 25.6.2012
[8] KStA-online, 31.8.2012
[9] KStA, 28.11.2012
[10] KStA, 12.9.2012

[11] KStA, 26.4.2012
[12] KStA, 3.2.2012
[13] KStA 16.12.2011
[14] Kölnische Rundschau – online, 8.4.2011
[15] KStA, 30.10.2012
[16] KStA, 27./28.10.2012
[17] KStA, 13.2.2012
[18] Kai Eicker-Wolf, Achim Truger: Kommunalfinanzbericht 2012, eine Studie im Auftrag von ver.di NRW, Landesfachbereich Gemeinden, Düsseldorf, August 2012
[19] siehe auch: ver.di Steuerkonzept:http://wipo.verdi.de/broschueren/konzept_steuergerechtigkeit_1; Wirtschaftspolitische Informationen, Nr. 5, Oktober 2012: Vermögensabgabe und Vermögenssteuer
[20] Gottfried August Bürger: Wunderbare Reisen zu Wasser und zu Lande. Feldzüge und lustige Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen, Göttingen, 1786