Der Preis des Geldes

Von Prof. Dr. Christina von Braun

06.12.2012 / DGB gegenblende, 03.12.2012

Historisch gab es immer drei Möglichkeiten, den Wert des Geldes zu beglaubigen – und alle drei standen am Ursprung des Geldes. Erstens wird Geld durch materielle Werte (Grund und Boden, Waren, Edelmetalle etc.) garantiert. Zweitens verleiht der Stempel des Souveräns einer Währung ihre Glaubwürdigkeit. Drittens gab es eine ‚theologische’ Beglaubigung, die aus dem antiken Opferkult stammt. Das germanische Wort ‚gelt’ heißt ursprünglich ‚Götteropfer’, und die erste Münze Griechenlands hieß ‚obolós’: Das bedeutet Bratenspieß und verwies auf das Werkzeug, mit dem verdiente Mitglieder der Gemeinschaft am Opfermahl teilnehmen durften. Vom Wort ‚obolós’ leitet sich der Obolus in der Kirche ab.

Die ersten Münzen befanden sich in den Tempeln der Fruchtbarkeitsgöttinnen, wo diese Opferzeremonien durchgeführt wurden. Später wurde das Opfer durch eine Münze substituiert, auf die Opferwerkzeuge oder die Hörner des Stiers, dem höchsten Opfertier, geprägt wurden. Das Abbild genügte, um dem Geld seinen Wert zu verleihen: Es war im Tauschgeschäft mit den Göttern von diesen angenommen worden; darin bestand sein Wert, auch im zwischenmenschlichen Handel. Dass sich auch das moderne Geld auf diese Form der Beglaubigung beruft, zeigt nicht nur die Architektur großer Bankhäuser und Börsen, die oft der griechischer Tempel nachgebildet ist, sondern ist auch an den Geldzeichen zu erkennen: Laut Alfred Kallir sind die beiden Striche im Dollar, dem englischen Pfund (₤) und neuerdings auch dem Euro Relikte der Stierhörner.[i]

Die ersten beiden Formen der ‚Deckung’ büßten im Laufe der Geschichte immer mehr ihre Glaubwürdigkeit ein: Herrscher missbrauchten ihre Macht über die Emission des Geldes, um schlechtes Geld unter die Leute zu bringen und durch Inflationen die Staatskasse zu sanieren. Auch die materielle Beglaubigung verlor an Bedeutung: Je abstrakter das Geld wurde – von der Münze, über Wechsel, Papiergeld bis zum elektronischen Zeichen – desto weniger galt diese Form der Deckung. Das geschah endgültig mit der Ablösung vom Goldstandard, der letzten Anbindung an eine selbst nur noch symbolische ‚Materie’. Heute findet gerade mal ein Bruchteil des weltweit zirkulierenden Kapitals in Wirtschaftswerten seine Entsprechung. Umso nachdrücklicher wurde aber das Bedürfnis nach der theologischen Beglaubigung des Geldes, die nach einem Opfer verlangt. Bedenkt man nun, dass jede Opferhandlung – ob es sich um Tiere oder Früchte der Felder handelt – eigentlich den Opfernden selbst meint (ein Opfer hat nur Wert, wenn der Opfernde etwas von sich selbst damit gibt), so begreift man, warum immer mehr Menschen dran glauben müssen, damit wir alle ans Geld glauben können.

Das Geld der Finanzbranche

In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren sind bei den Mitgliedern der Finanzbranche die höchsten Einkommenszuwächse zu verzeichnen, während der Lohn der untersten Einkommensschichten stagniert, zurückging oder Menschen wurden ganz auf die Straße gesetzt. Sehr oft steigt der Aktienwert eines international operierenden Unternehmens mit der Zahl der entlassenen Mitarbeiter. Das gilt nicht erst seit der Finanzkrise von 2008. Als die Deutsche Bank im Februar 2005, trotz Rekordergebnissen, die Streichung von 6400 Stellen verkündete, verteidigte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt die Entscheidung mit dem Argument, dass die „ausreichende Gewinnerzielung“ eines Unternehmens Voraussetzung sei, „um der sozialen Verantwortung gerecht zu werden“.[ii] In Wirklichkeit waren es die Entlassenen, denen die ‚soziale Verantwortung’ aufgebürdet wurde: Sie hatten mit ihrer Existenz für den Wert des Geldes einzustehen. Auch bei Konkursen zahlen sie den Preis des Geldes. Beim Zusammenbruch von Enron lag die geschätzte Verschuldung bei 64 Milliarden Dollar. Es war das siebtgrößte Unternehmen der USA.[iii] Fünftausend Menschen verloren ihren Job, das Altersruhegeld von tausenden von Mitarbeitern löste sich in nichts auf. Kurz vor dem Konkurs hatte der Konzern seine eigenen Compliance-Regeln abgeschafft.[iv]Die Tatsache, dass die Aktien eines Unternehmens steigen, sobald es ihm gelingt, die Zahl der Arbeitnehmer zu reduzieren, wird zumeist mit der wirtschaftlichen Logik der Rationalisierung erklärt. In Wirklichkeit entspricht es der Logik des sakralen Opfers.

Die Spaltung in zwei ‚Dienstleistungen’ ist der Grund dafür, dass die Schere zwischen Gutverdienenden und gering Entlohnten immer weiter auseinander geht. In den USA verdient heute ein Vorstandschef etwa das Vierhundertfache des normalen Durchschnitts-Arbeitnehmers, manchmal sogar mehr. Vor einigen Jahrzehnten lag das Niveau beim Vierzigfachen. Ende des 19. Jahrhunderts hatte der Gründer der Bank Morgan Stanley, John Pierpoint Morgan, noch festgelegt, dass der Bestbezahlte seiner Firma nicht mehr als das Zwanzigfache des Geringstverdienenden erhalten durfte. Als John P. Morgan diese Regelung aufstellte, hing das Geld noch am Tropf des Goldstandards. Inzwischen wird es nur noch durch Menschenleben beglaubigt.

Die Opfer und die Geldlosen

Karl Marx dachte nicht in Kategorien des sakralen Opfers. Seine Industrieunternehmer brauchten die lebendigen Körper der ‚Geldlosen’: als Arbeitskraft zur Akkumulation des Kapitals.Im Finanzkapitalismus ist das anders. Der, der über Geld verfügt, bedarf des ‚Geldlosen’, damit das Kapital seinen Wert nicht verliert. In dieser Konstruktion liegt der entscheidende Unterschied zum Industriekapitalismus des 19. Jahrhunderts. Bei Karl Marx war die Wertsteigerung des Kapitals der Arbeit jener geschuldet, die am Gewinn nicht beteiligt wurden. Im Finanzkapitalismus geht es nicht um die Ausbeutung von Arbeitskraft, sondern um die Aussonderung von Menschen, die zu dem ‚Rohstoff’ gemacht werden, der den Werterhalt des Kapitals garantiert. War für Keynes die Verhinderung der Arbeitslosigkeit noch ein zentrales Anliegen, so bedarf der Finanzkapitalismus der Verwerfung von Menschen.

Die auf die Finanzkrise von 2008 folgende Arbeitslosigkeit (sechs Millionen Arbeitslose allein in den USA) wurde als Konsequenz des deregulierten Marktes gesehen. Aber sie ist eher eine dem Finanzkapitalismus inhärente Notwendigkeit. Das immer ‚virtueller’ gewordene Geld (der größte Teil des heute umlaufenden Geldes ist reines Kreditgeld, also kaum mehr als ein Zeichen im Computer) verlangt nach immer ‚echteren’ Opfern: Menschen, die den symbolischen Tod zu erleiden haben.Ist es das, was der Vorstandsvorsitzende von Goldman-Sachs, Lloyd Blankenfein, meinte, als er verkündete, die Finanzinstitute „vollbringen nur das Werk Gottes“?[v]

Chancen, Risiken und Nebenwirkungen des Geldes

Das Geld schafft soziale Mobilität: von unten nach oben. Das Geld hat aus Randständigen Eliten gemacht, Leibeigene befreit und die unbeweglichen Klassenstrukturen des Feudalismus aufgebrochen. Aber es impliziert auch soziale Mobilität nach unten. Das galt schon für die Antike, wo es – noch unterhalb der Klasse der Sklaven – die total Verworfenen und Randständigen gab, die abjectissimi: Bettler, Witwen, Waisen, Kranke und Alte. Sie waren die ‚sozial Toten’. Heute, so hat Zygmunt Bauman in seinem Buch Verworfenes Leben. Die Ausgegrenzten der Moderne an Beispielen wie dem Enron-Skandal gezeigt, vollziehen sich ähnliche Prozesse der ‚Verwerfung’. Doch im Finanzkapitalismus geht das schneller als zuvor, und dabei passiert es immer häufiger, dass Mensch von der einen Dienstleistung zur anderen wechseln: Aus Agenten werden Beglaubiger des Geldes.

Nach der Lehman Pleite von 2008 wuchs bei vielen Gutverdienenden die Angst, auf die Seite der ‚Verlierer’ zu geraten. Auf die Folgen dieser Angst ging das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in einer Studie vom Juni 2010 ein. Laut DIW wuchs im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts sowohl die Gruppe der Reichen als auch die der Armen – ein Phänomen, das sich auch in anderen Industrieländern und auf globaler Ebene im Verhältnis von reichen und armen Ländern beobachten lässt. Dazu schreiben die Experten: „Die Polarisierung der Einkommen kann die soziale Kohäsion gefährden, da die stabilisierende Wirkung einer breiten Mittelschicht nachlässt“ – mit der Folge einer „Statuspanik“, das heißt, der Tendenz, „eine andere Bevölkerungsgruppe für diesen Status-Verlust verantwortlich zu machen und so zur Ausbreitung von diskriminierenden Einstellungen (wie Ausländerfeindlichkeit und Fremdenhass) beizutragen.“[vi]

Abstieg und Tod

Hinter der Furcht vor dem ‚Statusverlust’ steht der Horror, auf die andere Seite des sakralen Opferkults zu geraten. Der französische Schriftsteller Georges Bataille hat die Angst des Reichen vor der Armut als Angst vor dem Tod beschrieben. „Das Grauen, das die Reichen vor den Arbeitern empfinden, die Panik, die Kleinbürger bei der Vorstellung ergreift, in die Lage der Arbeiter zu geraten, beruhen darauf, dass die Armen in ihren Augen stärker als sie selbst unter der Peitsche des Todes stehen. Bisweilen mehr als der Tod selbst, sind diese trüben Spuren des Schmutzes, der Ohnmacht, des Verderbens, die auf ihn zugleiten, Gegenstand unseres Abscheus.“[vii] Das Geld, das einerseits dazu beitrug, Menschen aus der Leibeigenschaft zu befreien,[viii] hat andererseits auch eine Barriere errichtet, die der zwischen Leben und symbolischem Tod entspricht.

Mit ökonomischer Rationalität ist der Unterschied zwischen Arm und Reich nicht zu erklären. Der Wirtschaftshistoriker Richard Wilkinson und die Epidemiologin Kate Pickett haben in ihrem Buch The Spirit Level: Why Greater Equality Makes Societies Stronger[ix] nachgewiesen, dass soziale Ungleichheit für die Wirtschaft unrentabel ist. Sie argumentieren, dass sie Kosten für psychische Erkrankungen, Schulversagen, Kindersterblichkeit, niedrige Lebenserwartung, und Kriminalität verursacht, die die Gesellschaft teuer zu stehen kommen. Soziale Ungerechtigkeit schade der Volkswirtschaft: nicht nur wegen der hohen Bewachungs- und Krankheitskosten, sondern auch wegen der niedrigen Produktivität. In Ländern mit geringeren Einkommensunterschieden ist sie höher als in denen mit großem Einkommensgefälle. Ähnlich argumentiert auch James K. Galbraith, der das University of Texas Inequality Project leitet, an dem neue Messwerte für ökonomische Prozesse entwickelt werden. Wenn man soziale Ungleichheit und wirtschaftliche Effizienz miteinander vergleicht, erkenne man schnell, dass Länder mit weniger Ungleichheit im Lohngefüge auch weniger Arbeitslosigkeit produzieren. Soziale Ungleichheit führe zu einer extremen Instabilität des Wirtschaftssystems. Galbraith schlägt vor, das untere Ende der Lohnskala anzuheben mit dem Ziel (und eben das ist bemerkenswert), die Effizienz der Wirtschaft zu stärken.[x]

Von der Autorin ist zuletzt erschienen: Der Preis des Geldes: Eine Kulturgeschichte; Aufbau-Verlag 2012

[i] Alfred Kallir, Sign and Design: The Psychogenetic Sources of the Alphabet, London 1961, S. 243. (dt.: Sign and Design. Die psychogenetischen Quellen des Alphabets. Berlin 2002), S. 40.

[ii] Spiegel-Online, 13. 2. 2005.

[iii] Colin Crouch, Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus, übers. aus d. Englischen v. Frank Jakubzik, Frankfurt/M. 2011, S. 101.

[iv] Hans Leyendecker, Die große Gier. Korruption, Kartelle, Lustreisen: Warum unsere Wirtschaft eine neue Moral braucht, Berlin 2007, S. 252.

[v] Im Interview mit John Arlidge in der Sunday Times of London, zit. n. New York Times, 11. 11. 2009.

[vi] Jan Goebel/Martin Gornig/Hartmut Häußermann, Die Polarisierung der Einkommen. Die Mittelschicht verliert, in: Wochenbericht des DIW, Berlin Nr. 24, 2010.

[vii] Georges Bataille, Michelet, in: Michelet, Die Hexe, mit Beiträgen von Roland Barthes und Georges Bataille, hg. v. Traugott König, München 1984, S. 258.

[viii] Georg Simmel, Philosophie des Geldes, in: Gesammelte Werke, Berlin 1977, Bd.1, S. 375 ff.

[ix] Deutsche Ausgabe: Gleichheit ist Glück. Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind. Berlin 2009.

[x] James K. Galbraith, in: Wirtschaftsweise ratlos? Deutschlandfunk v. 27..11. 2011.