Im Sog der europäischen Wirtschafts- und Finanzkrise

Von Bernhard Müller

01.12.2012 / sozialismus.de, vom 30.11.2012

Die Arbeitsmarktzahl für den November signalisieren eine deutliche Trendwende bei der Beschäftigungsentwicklung in Deutschland. Auch wenn dies offiziell eher noch schöngeredet wird, wächst die Arbeitslosigkeit im Jahresvergleich. Dieser Trend wird sich verstärken, wenn auf nationaler wie europäischer Ebene nicht mit arbeitsmarkt- und wirtschaftpolitischen Maßnahmen gegengesteuert wird.

Die europäische Wirtschafts- und Finanzkrise hinterlässt auch in der bundesdeutschen Wirtschaft immer stärkere Bremsspuren. So ist das reale Bruttoinlandsprodukt nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im dritten Quartal 2012 nur noch um 0,2% gewachsen. Die schwache Dynamik ist Ausdruck des rezessiven Sogs, der weite Teile der Eurozone infolge der europäischen Wirtschafts- und Finanzkrise erfasst hat. Die aktuellen Lage- und Erwartungsindikatoren sowie die Kapazitätsauslastung und die Auftragseingänge lassen für das vierte Quartal 2012 bestenfalls Stagnation erwarten.

Dies hat selbstverständlich Folgen für den deutschen Arbeitsmarkt. So ist die Belebung in diesem Herbst deutlich schwächer ausgefallen als in früheren Jahren. Im November sank die Arbeitslosigkeit im Vergleich zum Oktober geringfügig um 2.000 auf 2,751 Mio. Im Vergleich zum November 2011 waren 38.000 Menschen mehr arbeitslos gemeldet, wie die Bundesagentur für Arbeit (BA) mitteilte. Die Arbeitslosenquote liegt unverändert bei 6,5%.

Im Vergleich zum Vorjahr ist die Arbeitslosigkeit im Bereich der Arbeitslosenversicherung (SGB III) um 95.000 oder 12% gestiegen, nach +68.000 oder +9% im Oktober. Damit liegt diese Form der Arbeitslosigkeit den sechsten Monat in Folge über dem Vorjahresniveau. Insgesamt 806.000 Personen erhielten im November Arbeitslosengeld, 87.000 mehr als vor einem Jahr. Dagegen liegt die Arbeitslosigkeit im Rechtskreis SGB II weiter unter dem Vorjahreswert: Im November hat sie ihn um 56.000 oder 3% unterschritten, nach -51.000 oder ebenfalls -3% im Oktober. Die Unterbeschäftigung, die auch Personen mitzählt, die an entlastenden Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik teilnehmen – und damit die tatsächliche Arbeitslosigkeit – beziffert die BA auf 3,75 Mio. Personen. 113.000 weniger als im November 2011.

Dass die Unterbeschäftigung im Vorjahresvergleich deutlich abgenommen hat, während die Arbeitslosigkeit gestiegen ist, hängt damit zusammen, dass infolge des von der schwarz-gelben Bundesregierung eingeleiteten Kahlschlags entlastende Arbeitsmarktpolitik im Saldo abgenommen hat. Insgesamt befanden sich im November 206.398 oder 17% weniger Arbeitslose in einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme.

Das größte Minus verzeichnete die Förderung der Selbständigkeit (-102.000). Weitere Abnahmen gab es bei Maßnahmen mit vorruhestandsähnlichen Wirkun-gen11 (Saldo von -38.000), bei Beschäftigung schaffenden Maßnahmen (einschließlich Beschäftigungszuschuss; -29.000) und bei der beruflichen Weiterbildung (einschließlich der Förderung Behinderter; -8.000). Fremdförderung (+10.000) und Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung (einschließlich der Förderung Behinderter; +10.000) haben etwas zugenommen.

Die im bisherigen Jahresverlauf noch relativ gute Arbeitsmarktlage hat im Verbund mit den Kürzungen vor allem bei den Eingliederungsleistungen dazu geführt, dass die Bundesagentur für Arbeit in diesem Jahr noch einen Überschuss von ca. zwei Mrd. Euro erwirtschaften wird. Damit wird es wegen der Konjunkturabschwächung und weiteren arbeitsmarktpolitischen Demontageaktionen von Schwarz-Gelb im nächsten Jahr vorbei sein. So hat die Bundesregierung beschlossen, die Bundesbeteiligung zur teilweisen Kompensation der Beitragsreduzierung 2007ff. und den Beitrag der BA für Leistungen zur Eingliederung in Arbeit sowie für Verwaltungsausgaben im Bereich des SGB II ab dem Haushaltsjahr 2013 entfallen zu lassen. Da über den so genannten MwSt.-Punkt mehr eingenommen als über den Eingliederungsbeitrag ausgegeben wurde, belastet der Wegfall den BA-Haushalt im mittelfristigen Finanzplanungszeitraum bis 2016 um 4,5 Mrd. Euro.

So rechnet denn auch die BA für 2013 mit einem Defizit von einer Mrd. Euro – auch weil die Behörde die finanzielle Vorsorge für Kurzarbeit verdreifacht hat. BA-Vorstand Raimund Becker sagte, im laufenden Jahr liege die Zahl der Kurzarbeiter bei rund 65.000. Vor allem in industrienahen Branchen könnten es aber mehr werden. »Wir erwarten steigende Kurzarbeit im Wesentlichen im produzierenden Gewerbe, dem Maschinenbau und in der gesamten Wertschöpfungskette der Automobilindustrie«.

Gleichwohl gibt sich die Arbeitsagentur noch immer relativ gelassen – und spricht lediglich von einer »Seitwärtsbewegung«. »Der Arbeitsmarkt reagiert auf die nachlassende konjunkturelle Dynamik robust«, so der BA-Vorstandsvorsitzende Frank-Jürgen Weise. Dennoch rechnet er mit einem Anstieg auf drei Millionen Arbeitslose im Januar und mit mehr Kurzarbeit im kommenden Jahr. Gleichzeitig werde aber die Beschäftigung voraussichtlich stabil bleiben.

Auch Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) betreibt immer noch Schönfärberei. Sie nannte den Arbeitsmarkt »in unruhigem Umfeld weiterhin widerstandsfähig«. Die Regierung beobachte den erwarteten leichten Anstieg der Arbeitslosigkeit aufmerksam. »Es gibt aber keinen Grund für hektische Reaktionen«, sagte sie. »Das gilt auch für das Thema Kurzarbeit. Hier liegt die Inanspruchnahme noch unter dem Niveau des Vorjahres und im Rahmen des Üblichen.«

Auch angesichts der zum Teil dramatischen Entwicklung auf den Arbeitsmärkten in den europäischen Nachbarländern ist diese arbeitsmarktpolitische Passivität fatal. Beispiel Frankreich: Dort steigt die Arbeitslosigkeit in großen Schritten, im Oktober sind 45.400 neue Arbeitslose hinzugekommen, wie das Arbeitsministerium mitteilte. Diese Entwicklung dürfte sich noch geraume Zeit fortsetzen. Ende Oktober waren in Frankreich 3,1 Mio. Personen arbeitslos. Das entspricht einem Anstieg von 10,6% in den vergangenen zwölf Monaten. Wenn man die geringfügig Beschäftigten hinzu rechnet, dann waren Ende Oktober 4,59 Millionen Franzosen arbeitslos. Die Rekordzahl von 3,2 Mio. Arbeitslosen aus dem Januar 1997 rückt damit immer näher. Fachleute erwarten, dass sie Anfang kommenden Jahres überschritten wird. Nach Berechnung des Statistikamtes Insee beträgt die Arbeitslosenquote derzeit knapp 10%.

Angesichts der sich verstärkenden rezessiven Entwicklung in der Eurozone und den immer massiveren Rückwirkungen auf die deutsche Wirtschaft wäre eine arbeitsmarkt- wie wirtschaftspolitischer Paradigmenwechsel dringend erforderlich. Neben Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik (inkl. der in der vergangen Krise eingeführten Sonderregelungen zur erleichterten Kurzarbeit) geht es dabei auf nationaler wie europäischer Ebene um Investitionsprogramme vor allem in die öffentliche Infrastruktur, um die nationalen Ökonomien zu stabilisieren und die Arbeitslosigkeit einzudämmen.