»Für so manchen Kollegen wird es bitter«

Die Financial Times Deutschland macht dicht - ungewisse Zukunft für über 200 Redakteure. Ein Gespräch mit Lucas Zeise. Interview: Peter Wolter

24.11.2012 / Junge Welt, 22.11.2012

Der Finanzjournalist Lucas Zeise war Mitbegründer und jahrelanger Kolumnist der Financial Times Deutschland. Er ist ­regelmäßiger Mitarbeiter der jungen Welt

Sie waren an der Gründung der Financial Times Deutschland (FTD) beteiligt, haben auch jahrelang als Kolumnist für das Blatt gearbeitet. Warum ist die Zeitung jetzt am Ende, was ist schiefgelaufen?

Die FTD wurde in einer Ausnahmesituation gegründet, 1999 gab es einen Hype auf dem internationalen Aktienmarkt, den die beteiligten Verlage nutzen wollten, um ordentlich abzusahnen. Hinzu kam, daß die PR-Agenturen diese Verlage beknieten, eine Alternative zum Handelsblatt zu gründen, das seinen Anzeigenraum zu Monopolpreisen verkaufte. Schon ein Jahr später war dieser auch als Dotcomblase bekannte Hype vorüber – und damit hatte sich eigentlich auch das Geschäftsmodell der FTD erledigt.

Sie wurde also mittelbar ebenfalls Opfer der Finanz- und Wirtschaftskrise?

Der Aktienmarkt krachte ja schon 2000 zusammen, sieben Jahre später kam die Hypothekenkrise hinzu – insofern muß ich das mit Ja beantworten.

Warum konnte sich die FTD nicht gegen das Handelsblatt durchsetzen?

Sie hat durchaus Boden gewonnen, sie wurde als Zweitzeitung für die Führungsetagen der Großfirmen abonniert, hatte auch eine ganz respektable Auflage. Das änderte aber nichts daran, daß Wirtschaftsverbände und die meisten Konzernspitzen nach wie vor eher dem Handelsblatt verbunden blieben – es war und ist der treueste Berichterstatter des Kapitals.

Marxisten wie Sie sind eine Seltenheit in deutschen Redaktionen, sie werden entweder gar nicht erst eingestellt oder schnell wieder entlassen. Wie war Ihre Zusammenarbeit mit den Kollegen und mit der Chefredaktion?

Gut, da kann ich nicht klagen – ich wurde allerdings auch nicht als Marxist eingestellt. Der Vorteil der FTD war, daß sie sich inhaltlich sowohl vom Handelsblatt als auch von den Wirtschaftsmagazinen abheben wollte – es wurden also außer mir noch einige andere Exoten eingestellt. Das machte es möglich, noch nicht so ausgefahrene Wege zu gehen. Natürlich hat das bunte Spektrum verschiedener Meinungen in der Redaktion zu andauernden Konflikten geführt – das muß aber nicht unbedingt schlecht für die Inhalte und ihre Darstellung sein.

Wie sieht es jetzt für die Beschäftigten aus – die Redaktion ist betroffen, der Verlag und wahrscheinlich auch die Druckerei. Wie viele Leute müssen sich nach Ihrer Übersicht einen neuen Job suchen?

Die Zeitung wurde an vier Standorten gedruckt – diesen Auftrag haben die Druckereien jetzt verloren. Welche Auswirkungen das auf die Beschäftigten hat, vermag ich nicht zu sagen. Schlimm ist es für die Redaktion, in der über 200 Redakteure jetzt vor dem Aus stehen. Für so manchen von ihnen wird es sehr bitter, weil er wahrscheinlich keinen anständigen Ersatzjob findet.

Der Verlag Gruner + Jahr, der die FTD gemeinsam mit der britischen Pearson Group gegründet hatte, will sich aber auch von anderen Wirtschaftstiteln trennen.

Wie man hört, sollen Börse-Online und Impolse verkauft werden, G + J will nur noch das Wirtschaftsmagazin Capital weiterführen. Das kann ich gut verstehen, denn viele PR-Agenturen schalten ihre Anzeigen immer noch gerne in solchen Hochglanzblättern. Dieses komische Magazin wird also wohl überleben.

Der erste Hammerschlag für die deutsche Medienbranche war die Insolvenz der Frankfurter Rundschau, der zweite ist jetzt die Einstellung der FTD. Viele Kommentatoren führen dieses Zeitungssterben auf die wachsende Konkurrenz des Internets zurück. Ist diese Einschätzung richtig oder sehen Sie auch künftig für Tageszeitungen noch einen Markt?

Ich glaube, sie ist richtig, diese Konkurrenz macht allen Tageszeitungen zu schaffen. Das trifft nach meiner Einschätzung aber mehr auf die FR zu, denn ein großer Teil ihres regionalen Anzeigengeschäfts ist in das Internet abgewandert. Früher konnte eine solche Zeitung mit Klein- und Stellenanzeigen, mit Immobilienbeilagen und auch Großanzeigen namhafter Firmen regional gut überleben – aber das ist immer schwieriger geworden. Man kann allerdings nicht alles auf das Internet schieben – mit guten Inhalten läßt sich durchaus noch eine erfolgreiche Tageszeitung machen.