Notfalls in die Pleite schicken - Bankenunion Eine europäische Aufsicht ist nur sinnvoll, wenn sie jederzeit in das riskante Geschäftsgebaren von Geldhäusern eingreifen kann. Bis dahin ist es ein weiter Weg

Von Rudolf Hickel

27.10.2012 / aus: der Freitag, 26.10.2012

Am 29. Juni haben die Staats- und Regierungschefs der EU auf einem Gipfel angeregt, man möge prüfen, ob nicht die Zeit für eine europäische Bankenunion reif sei. Dieser dezente Hinweis hat zu heftigen, teils irrationalen Debatten geführt, die nicht zuletzt den jüngsten EU-Gipfel dramatisiert haben.

Freilich gehen die Kontroversen zwischen Deutschland und Frankreich nicht allein auf einen Terminstreit zurück oder Fragen wie: Wann ist eine europäische Bankenaufsicht arbeitsfähig? Was ist darunter zu verstehen? Wann gibt es den belastbaren gesetzlichen Rahmen? Können – wenn der gezimmert ist – Hilfsgelder aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM direkt an bedürftige Geldhäuser fließen – egal, ob die in Spanien, Portugal, Frankreich oder Italien liegen?

Irritationen sind auch der Tatsache geschuldet, dass der BegriffBankenunion unglücklich gewählt ist. Als Etikett legt er das Missverständnis nahe, es handle sich um ein pauschales Rettungsprogramm für Not leidende Kreditanstalten im Euroraum. Davon kann keine Rede sein. Vielmehr zielt eine solche Union auf ein funktionierendes, effizientes Aufsichtssystem, mit dem frühzeitig Fehlentwicklungen erkannt und präventiv in die Geschäftspolitik kriselnder Institute eingegriffen wird.

„Wir wollen die unheilvolle Verbindung zwischen Staaten und Banken aufbrechen“, formuliert EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, was einem indirekten Eingeständnis gleichkommt. Dass Eurostaaten bei Ausbruch der Weltfinanzkrise 2008 private Geldhäuser vor der Insolvenz bewahrten, hat nationalen Haushalten einen enormen Aderlass beschert. Der trieb die öffentliche Verschuldung nach oben, weil Bankenverluste eiskalt sozialisiert wurden. Viele Banken bedanken sich heute mit hohen Zinsen bei ihren Rettern von gestern.

Nägel mit Köpfen

Wie die EU-Kommission versichert, soll sich eine Bankenaufsicht besonders auf die Geschäfte des Finanzsektors mit der sogenannten Realwirtschaft – also der produzierenden Wirtschaft – konzentrieren. Die pointierte Formulierung, man wolle „eine Banken-Disziplinierungs-Union mit einer eingriffsfähigen Aufsicht“, beschreibt die Absichten der EU-Kommission recht treffend. Doch birgt sie viel Konfliktstoff.

Um zunächst einmal das Terrain zu sondieren, hat der mit dem Projekt befasste Binnenkommissar Michel Barnier schon vor einem Jahr ein Expertengremium um den finnischen Notenbankchef Erkki Liikanen nominiert. Dessen inzwischen vorliegende Expertise lautet: Künftig sollten bei Geldhäusern riskante Spekulationsgeschäfte ab einer gewissen Größenordnung vom Konten- und Kreditgeschäft mit Privat- und Firmenkunden getrennt sein. Damit werde verhindert, dass Banken die Einlagen von Sparern heranziehen, um Geschäftsrisiken abzusichern.

Sofort bekam Barnier von der Bankenlobby in Brüssel zu hören, hier sei höchste Vorsicht geboten. Um das Agieren der betroffenen Institute auf den Finanzmärkten nicht zu gefährden, sollten riskante Engagements erst dann vom sonstigen Bankengeschäft abgetrennt werden, wenn sie Kapital von mehr als zehn Prozent der Bilanzsumme einer Bank umfassen. Was letzten Endes gelten soll, ist offen. Es wird Teil des „rechtlichen Rahmens“ sein, der bis Jahresende von den Eurostaaten auszuhandeln ist – so jedenfalls lautet die Beschlusslage der EU-Regierungschefs seit vergangener Woche.

Soviel steht bereits fest: Eine funktionsfähige Aufsicht, die das Recht zum präventiven Eingriff in riskante Bankgeschäfte hat, bildet mit einer Mindesteinlagen-Sicherung und Insolvenzordnung eine der wichtigsten Säulen einer EU-Bankenunion. In einer Währungsgemeinschaft wie der Eurozone müssen die Sicht-, Termin- und Spareinlagen einheitlich gesichert sein. Denn die Einlagen bei einer spanischen Bank gehen genauso wie die Bestände in Österreich oder Deutschland in die EZB-Geldmenge ein. Wenn etwa in Spanien Investoren und Einleger wegen der Krise Geld abziehen und auf andere Banken im Euroraum verlagern, dann fehlt betroffenen Instituten in Madrid oder Barcelona dringend erforderliches Kapital. Deshalb müssen sich alle Sparer in der Währungsunion – in etwa – gleich sicher fühlen, damit kein Anreiz besteht, Gelder über die Grenze ins Ausland zu bringen. Das bedeutet: Über die Disziplinierung muss nichts Geringeres gestärkt werden als die Krisenresistenz von Banken, die spekulative Geschäfte betreiben und damit Einlagen von Kunden gefährden.

Am 11. September hat die Europäische Kommission versucht, Nägel mit Köpfen zu machen, und den von Kommissar Barnier vorgelegten Gesetzentwurf zur Bankenaufsicht beschlossen. Von deutscher Seite gab es teils heftigen Widerspruch. Der resultierte zunächst einmal aus der Absicht der EU-Kommission, die geplante Finanzmarktaufsicht der Europäischen Zentralbank zu übertragen, die damit neben der Geldpolitik ein zweites Aktionsfeld zu bespielen hätte. Nicht zu Unrecht hat die Bundesbank auf die gebotene scharfe Trennung beider Aufgaben hingewiesen, besteht doch die Gefahr eines Zielkonflikts: Unerlässliche Kriterien für die Geldpolitik können in einen Widerspruch zur Finanzmarktstabilisierung geraten.

Augenblicklich hat sich die Europäische Zentralbank alternativlos für den Vorrang der Marktstabilisierung entschieden. Sicher führt die durch Anleihekäufe und eine massive Geldversorgung – man denke an die Emission billiger Kredite im Dezember 2011 und im Februar 2012 – erzeugte Liquiditätsschwemme bisher zu keiner unmittelbaren Inflationsgefahr. Dazu müsste es einen sprunghaften Anstieg der Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen geben. Der ist wegen der Rezession nicht in Sicht. Gleichzeitig jedoch hat die EZB dafür zu sorgen, die Finanzmärkte generell zu stabilisieren und Lücken zu schließen, die durch den nicht funktionierenden Interbanken-Markt entstehen. Nur ist dieses Mandat derzeit stark in den Hintergrund geraten, sehr zum Missfallen der Bundesbank.

Die Bundesbank ist abgeblitzt

So kompromissgefärbt und unbefriedigend die Ergebnisse des EU-Gipfels vom 18. und 19. Oktober zur Bankenaufsicht auch ausgefallen sind – soviel dürfte geklärt sein: Am Auftrag für die EZB, das zentrale Aufsichtsgremium zu sein, wird nicht mehr gerüttelt, allen Interventionen von Bundesbank und Bundesregierung zum Trotz. Im Gegenzug hat die deutsche Kanzlerin den Zeitpunkt hinausschieben können, von dem an marode, von Insolvenz bedrohte Banken direkt auf Kredite aus dem ESM zugreifen dürfen. Viel spricht dafür, dass es frühestens Ende 2013 soweit sein wird. Angela Merkel hätte dann die Bundestagswahl längst hinter sich.

Soweit bisher bekannt ist, soll das vorgesehene Aufsichtssystem für alle etwa 6.000 Geldhäuser in der EU gelten, auch wenn die 25 Großbanken im Fokus präventiver Kontrolle stehen. Die gern von deutscher Seite erhobene Forderung, Sparkassen und Volksbanken herauszunehmen und nationalstaatlich zu regulieren, widerspricht dem Prinzip einheitlicher Standards. Dennoch erscheint die Sorge unangebracht, die EZB werde sich demnächst mit der Sparkasse Westermünsterland oder der Fürstlich Castell´schen Bank in Würzburg operativ beschäftigen und verzetteln. Alle Institute sollen zwar der gleichen Aufsichtsphilosophie unterworfen sein – das heißt, es werden verbindliche Regeln aufgestellt und eben solche Aufträge erteilt, so dass sich innerhalb dieses „rechtlichen Rahmens“ Kompetenzen an nationale Aufsichtsbehörden wie die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) in Deutschland übertragen lassen.

Was auch immer in den nächsten Monaten geschieht – eine Bankenunion, die auf einem authentischen Aufsichtssystem beruht, muss das Ziel haben, spätestens ab 2013 systemische Bankenzusammenbrüche und die Sozialisierung von Verlusten zu Lasten der Steuerzahler zu verhindern. Dazu muss es in allen Euro-Staaten einen Fonds zur Bankenabwicklung und zur Sicherung der Sparvermögen geben. Zusätzlich wäre ein Rettungsfonds einzurichten, den die Großbanken in der Eurozone durch jährliche Beiträge – gestaffelt nach den jeweils erzeugten Risiken – finanzieren, damit der Staat von den Lasten einer Insolvenz befreit bleibt.

Schließlich sollte eine schlagkräftige Bankenaufsicht nicht nur die Option, sondern das Recht zur Intervention in die Geschäftspraxis von Banken haben. Und das zu jeder Zeit! Wenn die Analysen alarmierend ausfallen, sind Auflagen zur Restrukturierung eines Instituts unerlässlich, inklusive der Option, Banken unter bestimmten Bedingungen geordnet in die Pleite gehen zu lassen.