Weniger Rente und mehr arme und minijobbende Alte

Matthias W. Birkwald, Sprecher für Rentenpolitik

29.08.2012 / 28.08.2012

Vorboten der heranrauschenden Welle von Altersarmut

Beständig sinkende Renten für Neurentnerinnen und -rentner, steigende Zahlen in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie bei den minijobbenden Menschen im Rentenalter haben eines gemeinsam: Sie sind die Vorboten einer neuen Altersarmut.

Weniger Rente

  • 14 Prozent weniger Rente für neue Erwerbsgeminderte seit dem Jahr 2000
  • 7 Prozent weniger Rente bei neuen Altersrenten für langjährig Versicherte seit 2000
  • Westdeutsche Frauen erreichen mit eigener Rente nicht einmal das Grundsicherungsniveau


Mehr arme Alte

  • 60 Prozent mehr arme Alte in der Grundsicherung seit 2003

Malochen bis zum Tode?

  • 60 Prozent mehr minijobbende Menschen im Rentenalter seit 2000
  • Von den 762.000 minijobbenden Alten sind 118.000 75 Jahre und älter

Angesichts der Antworten der Bundesregierung auf seine KLEINE ANFRAGE zu aktuellen Rentenzahlen fordert Matthias W. Birkwald, rentenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag:

"Das darf nicht so weitergehen. Wir rennen sehendes Auges in eine Massenaltersarmut. Der Absturz der Renten muss gestoppt werden."

"Das sind die deutlichen Vorboten der heran rauschenden Welle neuer Altersarmut. Wir müssen heute etwas dagegen tun, um nicht morgen vor unlösbaren Problemen zu stehen. Wer heute zu miesen Löhnen schuften muss oder gar keinen Job mehr kriegt, hockt morgen in der Altersarmut. Ohne einen gesetzlichen Mindestlohn, ohne eine Verzicht auf die Kürzungsfaktoren in der Rente und ohne eine Solidarische Mindestrente wird der Kampf gegen die Altersarmut nicht zu gewinnen sein. Die Zuschussrente aus dem Hause von der Leyen ist ein zahnloser Tiger im Kampf gegen Altersarmut."

60 Prozent mehr minijobbende Menschen im Rentenalter - 120.000 sind 75 Jahre und älter

Ein weiterer Indikator für eine steigende Altersarmut ist die Entwicklung der minijobbenden Menschen im Rentenalter. Je stärker die Renten sinken werden, desto existenzieller wird der Zuverdienst im Alter. So ist die Zahl der ausschließlich geringfügig Beschäftigten Menschen im Rentenalter seit dem Jahr 2000 bis 2011 um knapp 60 Prozent oder 281.507 auf 761.736 gestiegen. Darunter waren im Jahr 2000 knapp 64.000 und im Jahr 2011 86 Prozent mehr, also 118.084 Minijobberinnen und Minijobber, die 75 Jahre und älter sind.

Weniger Rente – vor allem in Ostdeutschland

Zunächst scheint es so zu sein, dass die Neurentnerinnen und -rentner des Jahres 2011 im Vergleich zu den Menschen, die im Jahr 2010 in Rente gegangen sind, mehr Geld erhalten. Der durchschnittliche Zahlbetrag aller Versichertenrenten, also der Alters- und Erwerbsminderungsrenten, ist um knapp ein Prozent von 657 Euro auf 663 Euro gestiegen. Wer 2011 in die Rente für langjährig Versicherte (jene, die 35 Jahre und mehr in der Rente versichert waren) ging, erhielten gegenüber den Neurentnerinnen und Neurentnern des Jahres 2010 durchschnittlich knapp vier Prozent mehr Rente.

Die auf den ersten Blick zwar nicht blendenden, aber letztendlich doch guten Nachrichten erweisen sich bei genauerer Betrachtung als trügerisch. Denn die guten Nachrichten gelten nicht für alle Rentenarten und auch nicht einheitlich in Ost- und Westdeutschland. Zum anderen widersprechen sie dem langfristigen Trend der vergangenen zehn Jahre. Während also der Durchschnitt für alle Versichertenrenten in Deutschland 2011 gegenüber 2010 gestiegen ist, sind die Versichertenrenten für Ostdeutsche gesunken – von 721 Euro im Jahre 2010 um 0,6 Prozent auf 717 Euro im Jahre 2011. Die Renten bei voller Erwerbsminderung sind sogar bundesweit gesunken – von 640 Euro im Jahre 2010 um 0,9 Prozent auf 634 Euro. Das ist deshalb besonders hervorzuheben, weil die Erwerbsminderung einer der zentralen Risikofaktoren für Altersarmut ist.

Auch im langfristigen Trend sind die Zahlbeträge bei den Renten wegen voller Erwerbsminderung drastisch gesunken. Sie sanken seit 2000 bis 2011 in Westdeutschland um 14,4 Prozent von durchschnittlich 743 Euro auf 636 Euro und in Ostdeutschland um 12,3 Prozent von 717 Euro auf 629 Euro. Das sind Beträge, mit denen nicht einmal das Niveau der Grundsicherung bei Erwerbsminderung für 18 bis 64-Jährige in Höhe von durchschnittlich 642 Euro erreicht wird.

Im gleichen Zeitraum sind auch die Altersrenten – und zwar im Osten wie im Westen – drastisch gesunken. Wer im Jahr 2000 erstmalig eine Altersrente für langjährig Versicherte erhielt, dem wurden durchschnittlich 1021 Euro pro Monat aus der Rentenkasse überwiesen. Bis 2011 ist der durchschnittliche Zahlbetrag für diese Rentenart bei Neurentnerinnen und Neurentnern auf 953 Euro, also um 6,7 Prozent gesunken. Auch hier wird deutlich, dass die Renten in Ostdeutschland stärker zusammenschrumpfen als in Westdeutschland.

Von diesem Trend der sinkenden Zahlbeträge bei Rentenneuzugängen sind überwiegend Männer betroffen. Die Zahlbeträge für westdeutsche Frauen, die in eine Altersrente gingen, sind hingegen gestiegen – jedoch im Durchschnitt auf ein Niveau, das nach wie vor unterhalb der Grundsicherung im Alter liegt. Da Witwenrenten für Frauen nach wie vor eine wichtige Einkommenskomponente im Alter sind, wirken sich die sinkenden Rentenzugangszahlbeträge bei den Männern auch auf Frauen aus.

Mehr arme Alte

Seit die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung im Jahr 2003 in Kraft getreten ist, sind immer mehr Menschen auf sie angewiesen: Von 439.000 im Jahr 2003 stieg diese Zahl um mehr als 80 Prozent auf insgesamt 797.000 im Jahre 2010, mehr als die Hälfte davon waren Frauen. Während 2003 knapp 258.000 65-Jährige und Ältere Grundsicherung bezogen, waren es im Jahr 2010 bereits 412.000, zwei Drittel davon Frauen. Das ist ein Anstieg um 60 Prozent.

Auch hier ist besonders die Entwicklung der erwerbsgeminderten Menschen im Alter von 18 bis unter 65 Jahren in der Grundsicherung bedenklich. Ihre Anzahl hat sich mehr als verdoppelt. Sie stieg von 181.000 auf 385.000. Im Gegensatz zur Grundsicherung für 65-Jährige und Ältere besteht die Mehrheit (56 Prozent) unter den 18 bis unter 65-Jährigen aus Männern. Diese Menschen werden unter den heutigen Bedingungen mit großer Wahrscheinlichkeit auch im Alter von Armut betroffen sein.

Die Grundsicherungsquote bei den 65-jährigen und Älteren war im Jahr 2010 mit 2,5 Prozent zwar gering. Daraus, wie die "Fünf Weisen" (der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung), zu schlussfolgern, dass "Altersarmut derzeit nicht als gesellschaftlich relevantes Problem bezeichnet werden kann", ist jedoch irreführend. Denn längst nicht alle, die Anspruch auf die Grundsicherung haben, beantragen sie auch. Die Quote der Nichtinanspruchnahme beträgt derzeit ungefähr 60 Prozent.

Derzeit sind die Grundsicherungsquoten der Menschen im Rentenalter in den ostdeutschen Bundesländern geringer als in den westdeutschen Bundesländern. Und auch die Armutsrisikoquote in dieser Altersgruppe ist in Ostdeutschland (12,7 Prozent) geringer als in Westdeutschland (14,1 Prozent). Doch in Zukunft wird Altersarmut überwiegend ostdeutsch sein. Da in Ostdeutschland die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung mehr als 90 Prozent des Bruttoeinkommens im Alter ausmachen und sich dies offenbar auch in Zukunft nicht wesentlich ändern wird, sind die in Ostdeutschland rasanter als in Westdeutschland sinkenden Zahlbeträge bereits die Vorboten ostdeutscher Altersarmut.