»Regierungswechsel allein ändern nichts«

Attac Frankreich will gegenüber Präsident Hollande als starke soziale Bewegung auftreten

15.08.2012 / ND vom 3.8.2012

Aurélie Trouvé ist Kopräsidentin von Attac Frankreich. Über die Bedeutung des Politikwechsels in ihrem Heimatland für die sozialen Bewegungen sprach Stephan Lindner mit der 32-jährigen Ökonomin und Hochschuldozentin.

nd: Frankreich hat mit François Hollande einen neuen Präsidenten - nur ein neuer Name oder auch eine gute Nachricht für die sozialen Bewegungen?

Trouvé: Dass Nicolas Sarkozy weg ist, ist natürlich gut. Wir sind aber trotzdem sehr besorgt, dass Hollande dieselbe Politik betreiben könnte wie seine europäischen Kollegen Giorgos Papandreou, José Luis Rodriguez Zapatero und José Socrates zuvor in ihren Ländern. Hollande will zum Beispiel auch den Fiskalpakt unterzeichnen. Er will ihn nur um einige Maßnahmen für Wachstum ergänzen. Dabei sagt er nicht einmal, was für ein Wachstum er will. Wird es eins auf Kosten der Natur und der Beschäftigten sein? Zudem lässt uns die Summe dieses Wachstumspakets aufhorchen. Es geht formal um 120 Milliarden Euro - eine Mogelpackung. Denn die Hälfte davon war schon im Rahmen der EU-Regionalpolitik fest eingeplant. 60 Milliarden Euro zusätzlich sind angesichts der Austeritätspolitik und des Bedarfs an sozialen und ökologischen Investitionen fast nichts.

Was befürchten Sie, wenn die französische Regierung den Fiskalpakt unterzeichnet?

Dann werden wir in Frankreich dieselbe Kürzungspolitik wie in den anderen südeuropäischen Ländern erleben. Dafür werden schon die ganzen neuen Möglichkeiten für Sanktionen sorgen. Das nächste Jahr wird schrecklich werden, wenn es in Frankreich und anderen Ländern keine starken sozialen Bewegungen gibt.

Wie stark ist der Widerstand in Frankreich gegen den Fiskalpakt?

Bisher war in Frankreich Wahlkampf. Jetzt bleibt nicht mehr viel Zeit, um gegen den Fiskalpakt zu mobilisieren. Die Abstimmung in Frankreich wird Ende September, Anfang Oktober erwartet. Wir hoffen, dass die Grünen dagegen sein werden und natürlich die Linksfront. Es gibt auch einige prominente Mitglieder der Sozialisten, die angekündigt haben, mit nein zu stimmen. Bei den Gewerkschaften haben sich der Allgemeine Gewerkschaftsbund CGT und die Lehrergewerkschaft dagegen ausgesprochen. Aber sie haben ihre Mitglieder noch nicht mobilisiert. Damit das passiert, müssen wir eng zusammenarbeiten.

Was haben Sie vor?

Wir wollen einen Brief an alle Abgeordneten schreiben, in dem wir fragen, wie sie abstimmen wollen. Dafür wollen wir auch Zehntausende Unterschriften sammeln und die Antworten im Internet veröffentlichen. Am Tag der Abstimmung soll es eine Großdemonstration geben. Damit das klappt, brauchen wir aber ein breites Bündnis.

In Frankreich ist mit der Linksfront ein neuer Akteur entstanden, da sich die Kommunistische Partei und die Linkspartei zusammengeschlossen haben. Hat sich dadurch die Kooperation mit den Parteien verbessert?

Wir haben auch schon vorher mit beiden Parteien zusammengearbeitet. Es sind aber Personen bei Attac aktiv, die Mitglieder der Grünen oder der Sozialisten sind, und solche, die gar keine Parteien mögen. Alle wünschen sich bei Attac, dass wir uns unsere Offenheit bewahren. Bei uns kommen unterschiedliche Weltanschauungen zusammen. Ich glaube, auch die Linksfront wünscht sich Attac als einen solchen Ort. Der Zusammenschluss ändert nichts an unserer Autonomie.

Glauben Sie, es ist eine Gefahr, wenn nur eine einzige politische Partei ein Programm macht, das dem von Attac sehr ähnelt?

Tatsächlich haben wir mit der Linksfront sehr viele Forderungen gemeinsam. Manchmal inspirieren wir uns auch gegenseitig. Aber wir arbeiten auch mit anderen Parteien zusammen wie den Grünen. Das hängt vom jeweiligen Thema ab. Auch andere haben manchmal gute Ideen, die wir teilen können. Unsere Aufgabe ist, alle Parteien zu beeinflussen. Außerdem zeigt die Geschichte: Regierungswechsel ändern nichts, wenn es nicht auch starke soziale Bewegungen gibt.

Europa steckt in einer tiefen Krise. Wie kann der Widerstand effektiver werden?

Gegen den europäischen neoliberalen Block müssen sich auch soziale Bewegungen europäisch organisieren, so wie wir es schon bei der Dienstleistungsrichtlinie und beim Verfassungsvertrag versucht haben. Akteure wie Attac, die bereits über eine europäische Koordinierung verfügen, haben da eine große Verantwortung. Eine wichtige Rolle kann auch die Joint Social Conference oder das im November geplante Treffen Florenz 10+10 spielen. Im Frühjahr findet auch das Weltsozialforum in Tunesien statt und 2013 ein weiteres großes Treffen in Griechenland.