Die Bargeldschwemme – Dagobert Duck lässt grüßen

Von Rudolf Hickel

13.08.2012 / 11.8.2012

Wer kennt nicht den superreichen Dagobert Duck, den Onkel von Donald Duck. Für seinen sprichwörtlichen Geiz liefert er viele kuriose Beispiele: So verzichtet Dagobert auf den Heli­kopter und geht lieber zu Fuß durch den Dschungel. Er besorgt sich seine Zeitung aus dem Müll und kämpft mit einem Bären um ein Glas Honig im Wert von zwei Dollar. Getrieben vom Geiz und Sparwahn hortet er sein Geld durch den Kauf von Gold.

Anstatt tagtäglich auf der Suche nach den höchsten Renditen sein Vermögen zu dispo­nieren, liegt sein Gold im häuslichen Swimmingpool. Diesen Reichtum streicheln zu können, verschafft ihm gegenüber dem tagtäglichen, trostlosen Studium der Depotauszüge Glücks­gefühle. Diese Anti-Heuschrecke hat mit dem Kauf von auszuschlachtenden Unternehmen oder der Erfindung von Spekulationsinstrumenten durch Investmentbanker nichts zu tun.

Dieser Dagobert ist das Schreckgespenst in der heutigen Ökonomie. Weil er sein Geld hortet, entzieht er es dem volkswirtschaftlichen Kreislauf. Er lässt sein Vermögen in der Realwirtschaft nicht arbeiten.

Dieses Vermögen basiert jedoch auf Einkommen, das im Zuge der vorangegangenen Produktion geschaffen worden ist. Da es jedoch im Swimmingpool gebunkert wird, fließt es nicht in die Finanzierung von volkswirtschaftlichen Ausgaben an anderer Stelle.

Unglaublich, dieser schrullige Dagobert ist wieder auferstanden und treibt heute sein Unwesen. Jetzt heißt er Warren Buffet. Im zweiten Vierteljahr 2012 hat seine Investment­holding „Berkshire Hathaway“ gegenüber dem Vorquartal die Bargeldbestände um 7,5% auf 40,5 Mrd. ¤ ausgeweitet. Den großen, gefürchteten Investor, der zuvor keine profitable Gelegenheit in der Welt ausließ, scheinen die „animal spirits“, die Lebensgeister, verlassen zu haben. Dabei ist er nicht alleine. Auch in Deutschland eifern Unternehmen und Sparer ihm nach. Die privaten Haushalte in Deutschland hielten nach den Statistiken der Euro­päischen Zentralbank im Juni knapp 790 Mrd. ¤ Geld auf ihren Bankkonten, das per Sichteinlagen und Tagesgeld jederzeit verfügbar ist. Deutsche Unternehmen parkten mit 270 Mrd. ¤ gegenüber dem Vorjahr 10% mehr auf Tagesgeldkonten. Der Mut zu Sach­investitionen scheint sie verlassen zu haben. Dabei ist diese Flucht ins Bargeld nicht lukrativ. Der durchschnittliche Zinssatz, den die Banken auf das deponierte Bargeld der privaten Haushalte zahlen, lag im Juni bei 0,77%. Durch die Geldentwertung von derzeit knapp 2% werden mit dem realen Negativzins sogar Verluste beim realen Wert des Geldvermögens hingenommen.

Was sind die Gründe dieser Bargeldschwemme? Im Unterschied zu Dagobert handelt es sich eher um eine Verzweiflungstat. Als die Bargeldbestände im Umfeld der Lehman Brothers-Pleite im September 2008 nach oben schossen, war es die Angst vor dem Zusammenbruch des Weltfinanzmarktsystems, die die Bargeldhaltung nach oben getrieben hat. Heute wird die viel stärkere Flucht ins Tagesgeld und in jederzeit verfügbare Sicht­einlagen durch Ängste vor den Folgen der Euro- und Staatsschuldenkrise angetrieben. Anleger trauen den auf den Finanzmärkten erhofften Renditen nicht mehr. Praktisch hat die panische Sucht nach Sicherheit die aussichtslose Spekulation mit riskanten Ver­mögensanlagen verdrängt. Dieses Parken und Warten ist aus der Sicht des verzweifelten Anlegers durchaus rational. Gesamtwirtschaftlich wirkt die Dagobert-Manie, heute mit Bargeld auf den Bankkonten, verheerend. Normalerweise dient Geldvermögensbildung der Finanzierung von volkswirtschaftlichen Ausgaben durch Kreditvergabe an anderer Stelle. Jedoch, die Flucht in die Bargeldhaltung bei den Banken lässt den Kreislauf stocken. Pessimistische Erwartungen vertiefen die Krise. Aus den Erfahrungen mit der Weltwirt­schaftskrise Ende der 1920er Jahre spricht der englische Ökonom John Maynard Keynes von einer gefährlichen „Liquiditätsfalle“. Deutschland bewegt sich derzeit in dieser Falle: Geld im Überfluss findet wegen pessimistischer Erwartungen erst einmal nicht den Weg in die reale Wirtschaft. Stagnation, ja Deflation sind die Folge.

Wie kann diese Falle außer Kraft gesetzt werden? Im Zentrum steht die tiefe Ver­trauenskrise, die die wirtschaftlichen Aktivitäten erlahmen lässt. Die Ursache liegt in der Euro- und Staatsschuldenkrise, die es zu überwinden gilt. Die Politik der nötigsten Ad hoc-Maßnahmen, die den nächsten EU-Krisengipfel erforderlich machen, treibt die Vertrauens­krise voran. Dagegen ist Mut und Entschlossenheit der Politik gefordert. Überzeugungskraft durch eine Vision, die endlich die einheitliche Währung durch eine vergemeinschaftete Finanz- und Wirtschaftspolitik fundiert, ist verlangt. Der Lohn durch eine aus der derzeitigen Parkposition startenden Wirtschaft für Einkommen und Arbeitsplätze wäre gewiss.