Der ESM als europäische Bank oder Anleihen-Käufer

Standpunkt von Suleika Reiners* (WFC)

10.08.2012


"Wir können keine Politik gegen die Finanzmärkte machen", so 2003 der grüne Politiker Joschka Fischer. Vielmehr muss es heißen: Wir müssen die Politik unabhängig von den Finanzmärkten machen. Als Ende Juli Stimmen lauter wurden, den Krisenfonds ESM (Europäischen Stabilitätsmechanismus) mit einer Banklizenz auszustatten, klang es beinahe wie ein Durchbruch: Der ESM würde sich unbegrenzt direkt bei der Europäischen Zentralbank (EZB) refinanzieren können. Die Abhängigkeit staatlicher Finanzierung vom privaten Kapitalmarkt wäre gebrochen, die Demokratie gestärkt. - Private Anlegerentscheidungen sind nicht nur einseitig gewinnorientiert, sondern auch weitaus kurzfristiger und unberechenbarer als jeder Wahlzyklus.

Das Zurückrudern folgte prompt. EZB-Präsident Mario Draghi lehnt eine Banklizenz für den ESM ab. Der Fonds soll sich lediglich am Aufkauf von Staatsanleihen beteiligen. Dabei ist nicht einmal sicher, ob dies die Refinanzierungskosten von Krisenländern wie Spanien senkt – es bliebe dem Markt überlassen. Im letzten Jahr hatte eine ähnliche Aktion das Zinsniveau dennoch steigen lassen.

Teurer Umweg: Die Kosten mangelnder Intervention


Ein niedriger Leitzins wie derzeit 0,75 Prozent ist zweifelsohne ein wichtiges Instrument, um aus einer Rezession herauszukommen. Zugleich steckt die Eurozone seit über drei Jahren in der Rezession. Und ein niedriger Leitzins nützt wenig, um die Finanznot von Staaten zu lindern; es ist ein teurer Umweg: Banken liehen sich zu rekordniedrigen Zinsen bei der EZB Geld, um dieses teuer – für über fünf Prozent – an Krisenstaaten weiterzureichen.

Ankündigungen der EZB, zeitlich begrenzt unkonventionelle Maßnahmen zu ergreifen, bringen wenig. Mit halbherziger Intervention ist kein Brand zu löschen - er verlängert sich. Ziel darf nicht sein, gerade eben zu überleben und den Euro knapp vor dem Aus zu bewahren. Ziel muss sein, die Rezession und sozialen Kosten zu überwinden. Weit wirksamer und zielgenauer wäre es, wenn Staaten sich direkt bei einer öffentlichen europäischen Bank wie dem ESM refinanzieren könnten.

Verbleibende Pferdefüße: Austerität, Schuldenlast und Vermögenspreisblasen


Ob Banklizenz für den ESM oder Anleihen-Käufe: Nach dem Willen der Troika aus Europäischer Kommission, EZB und Internationalem Währungsfonds (IWF) ist alles mit Sparen, Privatisieren und unsozialer Steuerpolitik wie Mehrwertsteuererhöhungen verbunden. Dabei hat Austerität noch nie gerettet. Hier wiederholt sich die Dominanzpolitik, die Entwicklungs- und Schwellenländer erfahren mussten. Ob in der großen Schuldenkrise 1992, der Mexikokrise 1994, der Asienkrise 1997, der Brasilien- und Russlandkrise 1998 oder der Argentinienkrise 2002: Rettungspakete waren stets an bleierne Auflagen geknüpft und führten weiter in Rezession, soziale Ungleichheit und Armut.

Ein anderer Pferdefuß ist die bestehende Schuldenlast. Finanzkrise und Bankenrettungen haben die Staatsschulden in die Höhe schnellen lassen. Noch vor der Finanzkrise waren Irlands und Spaniens Schulden niedriger als in Deutschland. Wiederum ähnelt das rhetorische Muster dem der Nord-Süd-Beziehungen: Stets werden interne Missstände der Länder überbetont und Korruption oder laxer Steuervollzug als Hauptursachen von Überschuldung genannt. Jedoch fällt beispielsweise nicht Griechenland unter die Top 10 der Schattenfinanzzentren, sondern Deutschland. Fakt ist: Ohne eine Befreiung von der Altschuldenlast mit Zinsen, die das Wachstum überschreiten, ist eine gesunde Wirtschaft unmöglich.

Was aber, wenn das Geld, das durch eine Banklizenz des ESM geschöpft werden kann, neue Vermögenspreisblasen hervorruft? Zwar ist in einer Rezession keine Inflation zu befürchten. Gleichwohl ist nicht garantiert, dass Finanzmittel statt in sinnvolle Investitionen in Spekulationsblasen fließen. Die Gefahr besteht vor allem dann, wenn mit dem Geld Banken gerettet werden und ansonsten alles weitgehend beim Alten bleibt: die Finanzmarktregulierung im Klein-Klein verharrt und umfassende Investitionen in den sozial-ökologischen Umbau und mediterranen Wiederaufbau ausbleiben.

Leichtfüßig statt schwerfällig: Die Endlosschleife Eurokrise überwinden


Eine öffentliche europäische Bank, so durch eine Banklizenz für den ESM, sollte eine selbstverständliche, dauerhafte Einrichtung sein. Es ist der konsequenteste Weg, um Staaten aus der Abhängigkeit privater Finanzmärkte zu befreien. Statt Kürzungsprogrammen braucht es dabei Förderprogramme für realwirtschaftlich, sozial und ökologisch sinnvolle Investitionen.

Eurobonds stellen nach wie vor eine Staatsfinanzierung über den Markt dar – statt als Anleihe einzelner Länder als gemeinsame europäische Anleihe. Sie einzuführen wäre eine wichtige Ergänzung zur öffentlichen Finanzierung. Das Zinsniveau für Staatsanleihen könnte auf ein verträgliches Maß sinken, die Spekulation gegenüber einzelnen Ländern wäre gebannt. Zugleich hätten Anleger wieder eine seriöse und zugleich angemessen verzinste Form der Geldanlage.

Schon Mesopotamien zeigt: Schulden kann man streichen. An den Kosten des Schuldenschnitts sind Gläubiger, die etwa zuletzt mit Staatsanleihen spekuliert haben, zu beteiligen. Wo der Schuldenschnitt zu systemgefährdenden Verlusten führt, muss die EZB einspringen: Als Zentralbank kann sie Schulden durch neues Geld ersetzen. Genau diese Rolle sollte die EZB erfüllen, statt in ihrer angeblichen Unabhängigkeit Staaten unter Druck zu setzen.

Eine zukunftsfähige Eurozone braucht zukunftsfähige Strukturen. Zentralbankgeld für einen Schuldenschnitt und somit ohne unmittelbar produktiven Gegenwert zu schöpfen, ist nur in der Krise sinnvoll. Öffentliche Finanzen müssen grundsätzlich auch auf einer gesunden Steuerpolitik beruhen. Übersteigt das private Geldvermögen die Staatsverschuldung um mehr als das Doppelte wie in Deutschland, liegt eine Vermögensteuer nahe. Entscheidend sind zudem Regeln für den Schuldenabbau im Finanzsektor (Deleveraging), um Spekulationsblasen zu verhindern: Banken, die Hedgefonds mit Kredit aufpumpen und mit ungedeckten Kreditausfallversicherungen jonglieren, konterkarieren jede Geld- und Finanzpolitik.


Dokumente

EZB: Introductory statement to the press conference - Mario Draghi, President of the ECB, Vítor Constâncio, Vice-President of the ECB (2. August 2012)

EBZ: Speech by Mario Draghi, President of the European Central Bank
at the Global Investment Conference in London
(26. Juli 2012)

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* Suleika Reiners ist Politikberaterin für "Future Finance" beim World Future Council. Zuvor war sie zwei Jahre bei der NGO "Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung" (WEED) in der Abteilung "Internationales Finanzsystem und Verschuldung" tätig. Sie war für die Devisentransaktionsteuer-Kampagne verantwortlich. Unter anderem hat sie zur Liberalisierung von Finanzmärkten und Alternativen publiziert.
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