»Der Text ist ein richtiges Ärgernis«

Scharfe Kritik an dem Protestaufruf von 172 Wirtschaftsprofessoren: Unterstes Stammtischniveau. Gespräch mit Rudolf Hickel

08.07.2012 / Interview: Ralf Wurzbacher, jw vom 7.7.2012

Rudolf Hickel ist Professor für Finanzwirtschaft und Forschungsleiter Finanzpolitik am Institut für Arbeit und Wirtschaft (IAW) an der Universität Bremen

Der Protestaufruf von 172 Wirtschaftsprofessoren um den Chef des Münchner IFO-Instituts Hans-Werner Sinn gegen die Zustimmung der Bundeskanzlerin zur sogenannten Bankenunion schlägt hohe Wellen – auch in der Ökonomenzunft. Was paßt Ihnen nicht an dem Vorstoß?

Es ist schon seltsam, wie man mit so wenig Substanz große Wellen auslösen kann. Der Text ist ein richtiges Ärgernis. Dieses Pamphlet ist zutiefst unwissenschaftlich, erschreckend plump und suggeriert die Vorstellung, man wisse etwas besser, ohne es zu begründen. Das ist unterstes Stammtischniveau.

Ein paar Beispiele bitte?

Die Darstellung, eine europäische Einlagensicherung sei »schlechterdings unmöglich«, ist einfach Quatsch. Natürlich lassen sich die Einlagen und Ersparnisse von Bankkunden wirksam schützen, wenn man das will. Diese Regulierung hat uns bereits die Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre gelehrt. Genauso unsinnig ist die Basisthese, wonach eine Bankenunion auf eine kollektive Haftung für Bankenschulden hinausläuft und das Ganze nur ein Subventionsprogramm für die Wallstreet und die City of London sei. Auch das stimmt nicht. Hier trifft sich Rechts- und Links­populismus.

Die Unterzeichner des Appells wollen keine Haftung der Steuerzahler für Bankschulden, keine Bankenrettung um jeden Preis, und sie wollen die Krisenlasten von Gläubigern und Vermögenden getragen sehen. Könnte all das nicht auch von Ihnen kommen?

Der Unterschied ist der: Sinn und seine Mannen torpedieren mit solchen Sprüchen die Beschlüsse des jüngsten EU-Gipfels. Ich dagegen halte diese in Teilen für richtig, gerade weil sie erstmals eine Abkehr von der bislang verfehlten Krisenpolitik signalisieren. Es soll eben keine Bankenrettung per se geben. Vielmehr sollen auf der Basis einer Aufsicht in der Nähe der Europäischen Zentralbank Hilfen nur unter strengen Auflagen erfolgen und beispielsweise die zu rettenden Institute zwangsweise verstaatlicht werden. Hinzu kommt ein Restrukturierungsfonds, in den die Banken einzahlen und mit dem gerade verhindert würde, daß die Steuerzahler weiter abgezockt werden.

Heißt das, Sie gehen mit den Gipfel-Beschlüssen konform?

Es gibt viel zu wenige Festlegungen, weil sie die Bundeskanzlerin verhindert hat. Deshalb ist es auch Blödsinn zu schreiben, die Kanzlerin sei zu irgend etwas gezwungen worden. Frau Merkel hat im Gegenteil eine wirklich konsequente Bankenunion verhindert. Die würde nämlich beinhalten, daß die Großbanken schrumpfen, bestimmte Geschäfte verboten werden, eine umfassende Einlagensicherung und eine zentrale Bankenaufsicht installiert wird und notleidende Institute knallhart umstrukturiert werden. All das erst würde die Bevölkerung wirksam gegen Risiken abschirmen. Aber das wenige, was in diese Richtung in Brüssel angedacht wurde, wollen Sinn und Konsorten platt machen.

Was ist Sinns Mantra »Banken müssen scheitern dürfen« anderes als Ihr Plädoyer »Zerschlagt die Banken«?

Sinn redet nicht vom Verbot von Eigenhandel, mit dem Banken ohne Kundenbezug in die eigene Tasche wirtschaften, und auch nicht davon, diese abenteuerlichen Spekulations­instrumente abzuschaffen. Nein, er will die Banken weiter machen lassen wie bisher, ohne zu sagen, wer die Kosten trägt, wenn sie vor die Wand fahren. Ich will Prävention, daß die Banken auf ihre dienende Funktion für die Wirtschaft schrumpfen und die Risiken für die Allgemeinheit minimiert werden. Wir brauchen ein Konzept, womit die Größe und die politische Macht der Banken zerschlagen wird.

Selbst Sahra Wagenknecht von der Linkspartei gab Sinn in Teilen recht, indem sie ihm beipflichtete, mit den Brüsseler Beschlüssen drohe eine »Schuldenunion zugunsten der Banker«. Irrt also auch Sie?

Wenn sie das Schuldenmanagement als eine Vergesellschaftung der Krisenkosten kritisiert, liegt sie vollkommen richtig. Aber die Bankenunion soll ja für die Zukunft gerade verhindern, daß die Bevölkerung für die Machenschaften der Finanzmafia bluten muß. Das sieht sicher auch Frau Wagenknecht so. Sinn und seine Truppe dagegen mißbrauchen und verzerren wohlbegründete linke Positionen, nur um zur D-Mark zurückzukehren.